kritischer raum

Ein schöner Gebrauch

Bauten der Bildungslandschaft Altstadt Nord in Köln von gernot schulz : architektur, Köln, 2013 – 2020

Die „Bildungslandschaft“ im Norden des Kölner Zentrums geht auf eine gemeinsame Initiative der Stadt und der Montag-Stiftung Jugend und Gesellschaft in Bonn zurück. Die Stiftung setzt sich seit 1998 unter anderem für die Entwicklung einer Pädagogischen Architektur ein, die eine Alternative zum richtlinienkonformen kommunalen Schulbau sein soll. Ein erstes Experimentierfeld dafür ergab sich vor 14 Jahren im Quartier am Klingelpützpark in unmittelbarer Nähe zum Kölner Ring. Die grundsätzliche Idee war es, an dieser Stelle ein bereits bestehendes Schulangebot zunächst mit sechs Einrichtungen für Kinder und Jugendliche so zu bündeln und zu erweitern, dass an einer zentralen Stelle der Stadt eine vollständige „Bildungskette“ für alle Altersgruppen der Bevölkerung angeboten werden kann. Das Schulquartier mit dem angrenzenden Park sollte auch den umgebenden Stadtteil interessant für junge Familien machen.

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: Stefan Schilling Fotografie

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: Stefan Schilling Fotografie

Die Montag-Stiftung engagierte sich insbesondere für eine Konzeptionsphase, die der „Bedarfsplanung“ dient, aber in der HOAI nicht abgedeckt ist. Dabei war ein entscheidendes Kriterium, dass sich mehrere der beteiligten Institutionen mit Ansätzen der Reformpädagogik identifizierten, für deren Umsetzung sie jedoch andere Raumformen und -nutzungsmöglichkeiten brauchten. Die im herkömmlichen Schulbau auf das Minimum heruntergenormten Flure spielen gerade bei der Reggio-Pädagogik eine große Rolle, bei der nach dem „ersten Lehrer“, dem Kind selbst, und dem „zweiten Lehrer“, seinem sozialen Umfeld, der Raum als „dritter Lehrer“ in Erscheinung tritt.

Auf der Grundlage einer städtebaulichen Planung der Wiener Büros Feld 72 und Plansinn lobten Stadt und Stiftung 2013 einen Wettbewerb aus. Diesen gewann Gernot Schulz (Köln) mit Topotek 1 (Berlin) als Freiraumplaner. Nach sieben Jahren Bauzeit sind jetzt die ersten Bauteile vollständig ausgestattet und in Betrieb, einige sind noch im Innenausbau.

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

Architektonisch hat Gernot Schulz die Einheit in der Vielfalt gesucht. Der Kern der Bildungslandschaft besteht aus vier Gebäuden. Alle Gebäudegrundrisse entwickeln sich aus Variationen und Kombinationen verschieden großer Fünfecke. Die flach gedeckten Stahlbeton-Neubauten sind mit grauen Ziegelklinkern verkleidet. Zwei Fensterformate, ein großes mit horizontalen Lamellen und ein holzgefasstes kleineres Tableau mit Lüftungsklappe perforieren alle Fassaden. Die identischen Gestaltungsmittel verstärken einerseits den Eindruck der Zusammengehörigkeit der Bauten, sorgen aber andererseits für unterschiedliche Fassadenbilder, das heißt: letztendlich für sehr verschiedene Ein- und Ausblicke. Die städtebauliche Konzeption nimmt den Wunsch nach einer erkennbaren Quartiersbildung sehr ernst: Der räumlich eindrucksvollste Gang durch die Anlage ergibt sich vom verkehrsbefreiten Gereonswall von Norden her. Der Weg inszeniert eine von Norden nach Süden in der Höhe ansteigende, homogen wirkende Architekturlandschaft. Sie wird durch die sich platzartig erweiternde und wieder verengende Wegeführung und die malerische Wirkung der unregelmäßigen assemblierten Bauteile zu einem Raumerlebnis.

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: Stefan Schilling Fotografie

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: Stefan Schilling Fotografie

Südlich eines letzten Stücks der mittelalterlichen Stadtmauer mit dem Mühlenturm, der zum point de vue der Anlage geworden ist, entwickelt sich der flache Auftakt der Anlage. Hier liegt zur Linken der eineinhalbgeschossige Eingang zum Neubau des Fröbel-Kindergartens, der sich mit fünf ineinandergeschachtelten fünfeckigen Bauteilen halbkreisförmig um einen parkseitig gelegenen Gartenhof legt. Auf der anderen Seite rahmt die auf sägezahnartigem Grundriss aufgebaute eingeschossige Aula der Célestin-Freinet-Gemeinschaftsgrundschule den Weg. Die Schule besteht im Wesentlichen aus einem denkmalgeschützten Altbau, den Karl Hell Ende der 1950er Jahre entwarf. Dessen gediegene ornamentale Wandgestaltung und auch die rautengefassten farbigen Verglasungen haben die Architekten mit Sorgfalt und Sachverstand erhalten.

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

Nach wenigen Metern weiteren Wegs wird eine Staffelung der Baukörper in die Tiefe und in die Höhe sichtbar: Der Kindergarten steigt auf zwei Geschosse an, die Grundschul-Aula geht über in den dreigeschossigen Klassentrakt des Altbaus. Zwischen den beiden Bauten wird schon das Zentrum der Anlage sichtbar: das dreigeschossige Studienhaus, das in zwei Geschossen die Bibliothek mit Selbstlernzentrum aufnimmt und einen unterteilbaren Saal für alle Schulformen der Bildungslandschaft birgt. Im Zentrum des Hauses bürgt eine große Treppe mit Sitzstufen nebst einer fünfeckigen Sitzgruppe für kleinere Kinder für den partizipativen und menschenfreundlichen Geist, der die gesamte Anlage durchweht. Zum Studienhaus hin erweitert sich der Weg zu einer angerartigen Ausbuchtung, nach deren Durchschreiten sich der Besucher entscheiden muss: Rechts geht man am Studienhaus vorbei zur neuen dreigeschossigen Erweiterung von Hells Bau an der Kyotostraße. Dorthin führt letztlich auch der Weg, der links zwischen dem Studienhaus und dem Eingang der viergeschossigen, mit einem Grundriss auf drei großen Fünfecken aufgebauten „Realschule am Rhein“ verläuft.

Hält man sich ganz links, gelangt man vorbei am Gartenhof des Kindergartens mit seinen begeh- und bespielbaren Dachflächen und dem Nordteil der Realschule in den Klingelpützpark und erlebt dabei, wie sich der massive und dichte Schul- und Kindergartenkomplex allmählich in die Parklandschaft verliert. Von hier führt der Weg zur Mensa und zum Werkstattgebäude mit mehreren Ateliers an der nordöstlich gelegenen Vogteistraße, die ebenfalls von Gernot Schultz entworfen wurden.

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

gernot schulz : architektur, Bildungslandschaft Altstadt Nord, Köln 2013 – 2020, Foto: gs:a

Die Güte der Pädagogischen Architektur von Gernot Schulz wird sich indes erst im Innern der Häuser erweisen. Fast alle Gruppen- und Klassenräume sind trotz der fünfeckigen Wabenstruktur der architektonischen Hülle als orthogonale Räume oder Raumfolgen konzipiert. Da sie aber fast immer an zwei Außenwände stoßen, verändert sich zumeist ihre Raumform in ein unregelmäßiges Trapez. Noch mehr Auswirkungen hat diese pragmatische, aber zugleich höchst variantenreiche Raumbildung für die verbindenden Flächen dazwischen, deren komplexe Figuren sich als unregelmäßige Vielecke im Grundriss abbilden. Die ungeheure Anregung dieser Raumfolgen ist mit einer mitunter schwierigen Orientierung in den Gebäuden nicht zu teuer erkauft. Die Zugehörigkeit unterschiedlicher Räume zum selben Lern- oder Spielcluster haben die Architekten durch farbige Fassungen geklärt: So sind die vier Gruppen des Kindergartens mit hellen Farben gekennzeichnet, die nicht nur Orientierung, sondern auch Identität geben. Das trifft auch auf die Gruppenräume der Realschule und auf die „Lernorte“ im Erweiterungsbau der Grundschule zu, die der klassenübergreifend in Clustern stattfindende Reformunterricht erfordert. Jede Raumeinheit verfügt über Aufbewahrungsschränke, Garderoben und Sitzecken mit einer starkfarbigen Fassung von Räumen und Möbeln, die von Blau über Hellgrün, Orange bis zu Brombeer reicht.

Die Räume der Gebäude aber erfüllen sich nicht nur durch ihre anregenden Grundrisse oder aufregende farbige Innerlichkeit: Die Öffnungen der Gebäude rahmen gezielt Szenen des Lebens draußen, so wie die Einblicke von außen in die Gebäude absichtsvoll Eindrücke vom Leben drinnen vermitteln. So offenbart sich die gedankliche Ebene der Kölner „Bildungslandschaft“ im alltäglichen Leben.
Andreas Denk

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