editorial

zwischenrufe oder ohrfeigen?

Kaum jemand dürfte die Entwicklungen in den USA in den letzten Amtstagen Donald Trumps teilnahmslos verfolgt haben. Trumps aufwiegelnde Statements, die verletzte Eitelkeit eines Egomanen und der Starrsinn des alten Mannes, schließlich der Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol haben bei intensiven Beobachtern die ganze Gefühls­palette von Mitleid, Fassungslosigkeit bis Entsetzen aktiviert. Selbst bei Menschen, die sich eher als unpolitisch bezeichnen würden, haben die amerikanischen Ereignisse mindestens Befremdnis ausgelöst. Auch dass die Szenen aus Washington zumindest strukturelle Ähnlichkeit mit den Bildern hatten, die noch vor einiger Zeit die Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker auf der Treppe des Berliner Reichstags abgaben, war schnell klar. Die Anfälligkeit des demokratischen Staatswesens gegenüber dem fortschreitenden Populismus und den verschiedenen Desinformationsblasen im Internet gilt nicht nur für „the land of the free“ und „the home of the brave“.

Auch in Deutschland verändert sich derzeit die politische Kultur, die sowieso ein recht pflegebedürftiges Pflänzchen in unserem demokratischen Biotop ist. Vor einiger Zeit hat ein Redaktionsteam der Süddeutschen Zeitung in einer Enquete das veränderte Beifall-, Zwischenruf- und Lachverhalten der Mitglieder des Deutschen Bundestags untersucht. Beim Lachen über Redner und die Inhalte ihrer Ansprachen hält die AfD bei weitem die Spitze. Bei Zwischenrufen die GRÜNEN. Hier tut sich die AfD durch taktisches Verhalten hervor: Bei einer Debatte zur EU-Grenzkontrolle unterbrachen AfD-Abgeordnete Detlev Seif von der CDU im Schnitt alle 15 Sekunden. Quintessenz der SZ: Seitdem die sogenannte „Alternative für Deutschland“ als Fraktion den Sitzungen beiwohnt, sei die politische Debatte im Parlament deutlich schärfer geworden, die Polarisierung habe zugenommen. Es seien häufig „emotionalisierte, schaufens­terorientierte Debatten, die nichts zur Problemlösung beitragen, die verletzend sind” zitiert die SZ den Politik-Professor Wolfgang Schroeder. „Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei“, heißt es schließlich in einem Strategiepapier der Rechtsextremisten 2016.

Auch die Anzahl der Ordnungsrufe im Hohen Hause hat sich erkennbar erhöht. Allein im Jahre 2020 sprach das Präsidium des Bundestags 20 Ordnungsrufe und eine Rüge gegen Abgeordnete aus. Zwei Drittel der Ordnungsrufe ergingen einer Recherche der „Augsburger Allgemeinen“ zufolge wegen unbotmäßiger Äußerungen gegen Abgeordnete der AfD-Fraktion. In den vergangenen Monaten hätten AfD-Abgeordnete es vor allem darauf angelegt, „durch gezielte Provokationen die parlamentarischen Institutionen und Abläufe verächtlich zu machen“, sagte der Abgeordnete Wolfgang Kubicki (FDP) dem „Spiegel“. Dennoch solle man die Anzahl der Ordnungsrufe nicht überbewerten, solange alles im Bereich der Fairness bliebe. Ob das tatsächlich immer für die AfD gilt, bleibt fraglich: Im zitierten AfD-Strategiepapier hieß es schon 2016, man dürfe vor „sorgfältig geplanten Provokationen“ nicht zurückschrecken, um bei der eigenen Klientel den Eindruck der Protestpartei zu befördern.

Foto: Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

Auch im außerparlamentarischen Diskurs ist es zuletzt zu überraschenden Übergriffen gekommen: Sogar die architektonische Debatte schlägt inzwischen über die Stränge. Bei einem Streitgespräch ohne Publikum im Deutschen Architekturmuseum über die Sanierung des Frankfurter Schauspielhauses soll sich der Mainzer Immobilienmakler Matthias Müntze, der sich für einen Wiederaufbau des Schauspielhauses von 1902 einsetzt, als Journalist ausgegeben haben, um Zutritt zu bekommen. Als ihn der Direktor des DAM erkannte und mit dem Hinweis auf das Hausrecht des Museums verwies, habe Müntze erst den Hausmeister in die Hand gebissen, dann dem Museumsdirektor die Maske vom Gesicht gerissen und ihn angepustet. Schließlich habe er ihn geohrfeigt. Peter Cachola Schmal spricht von „einer bisher nicht gekannten Verrohung des gesellschaftlichen Umgangs in unserer Stadt“ und hat Anzeige wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruch erstattet. Müntze wiederum behauptet, Schmal habe ihn zu Boden geworfen und an den Haaren gezogen, was sich in einem Video, das im Internet zu finden ist, indes nicht erkennen lässt.

Weitreichender als Müntzes im Video eher unbeholfen wirkende Attacke auf den sicherlich stärkeren Museumsdirektor war eine Aktion des Architekten Thomas Albrecht, von der wir dringlichst hoffen, dass sie ein Einzelfall bleibt. Der langjährige Partner der Münchner Architekten Hilmer & Sattler, deren Büro am Berliner „Schlossbau“ nicht unwesentlich beteiligt war, hatte sich über einen mokanten Beitrag des BDA-Kritikerpreisträgers Niklas Maak (FAZ) über das „Schloss“ geärgert. In einem Brief an die Herausgeber der Zeitung beklagte sich Albrecht nicht nur über die hämische Attitüde Maaks, der das Schloss lächerlich mache. Vielmehr forderte er das Gremium zu Maßnahmen auf: „Sie müssen Herrn Maak aus Ihrem Blatt entfernen, er zieht Ihr Niveau ins Unendliche hinab.“ Mag man den Ärger des gekränkten Architekten verstehen oder nicht: Was zuviel ist, ist zuviel. Das gilt nicht nur für die Wortwahl. Man hätte dem Herrn Albrecht einen gutmeinenden Berater gewünscht, der ihm erst empfohlen hätte, den Brief über Nacht liegen zu lassen und am nächsten Morgen zu zerreißen. Damit hätte er nicht nur eine gewisse Größe bewiesen, sondern auch eine unangenehme Diskussion erspart.
Andreas Denk

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