Kritischer Raum

Gang durch die Leere

Herzog & de Meuron, Erweiterung Museum Küppersmühle, Duisburg 2013–2021

„Privatgrundstück – Betreten ausschließlich zur Durchquerung gestattet!“, grantelt ein kleines Schild im Platanenhain vor dem Erweiterungsbau des Museums Küppersmühle im Duisburger Innenhafen. Was angesichts der Problematik pseudo-öffentlicher Orte in Städten sofort aufhorchen lässt, erweist sich beim Blick in die Lokalmedien schnell als juristische Posse, um im Falle beschädigter Bäume eine rechtliche Handhabe zu haben. Dass es diesen Platz überhaupt gibt, geht auf die Baugesetzgebung zurück. Diese fordert nämlich für Hochbauten einen Abstand von mindestens 40 Metern zu Bundesautobahnen, von denen eine – und hier entspricht das Ruhrgebiet seinem Klischee – fast direkt am Museum vorbeiführt. So definiert deren schräge Trassenführung die Form des Parks und nicht zuletzt auch die angrenzende Gebäudekante.

Geplant war die Beziehung zur Autobahn einst noch inniger: 2008 hatten Herzog & de Meuron schon einmal eine Erweiterung des von ihnen selbst Ende der 1990er-Jahre in ein Kunstmuseum umgebauten Getreidespeichers entworfen. Sie sahen einen transluzenten, leuchtenden Kubus vor, der – ähnlich ihrer zeitgleich geplanten Elbphilharmonie – oben auf die Silos aufgesetzt werden sollte. Die damaligen Renderings lassen erkennen, welcher Stellenwert der Sichtbarkeit im Vorbeirasen auf der Autobahn beigemessen wurde. In der Umsetzung scheiterte dieser Entwurf an den mangelhaften Schweißnähten der Stahlkonstruktion, die daher zuerst auf dem Boden neben dem Bestandsbau stehen blieb und später unverrichteter Dinge verschrottet werden musste.

Herzog & de Meuron, Erweiterung Museum Küppersmühle, Duisburg 2013 – 2021, Foto: Simon Menges

Doch der Standort neben (und nicht auf) dem Bestand blieb ironischerweise bestehen. Statt im wahrsten Sinne des Wortes noch einen draufzusetzen, strebten Herzog & de Meuron diesmal den Eindruck an, die Erweiterung sei „schon immer da gewesen“. Dazu führten sie die Backstein-Fassaden weiter und zitierten die Lisenen des Bestands – nicht jedoch, ohne ihre eigene Sig­natur zu hinterlassen. Ähnlich wie bei ihrem Vitra Schaudepot in Weil am Rhein wurden die Klinker mittig gebrochen, was den monolithischen Wänden eine lebendige Struktur und nuancierte Mehrfarbigkeit verleiht – insbesondere an der Schauseite Richtung Platanen (und Autobahn), wo die Steine zudem in expressionistischer Manier schräg zueinander gestellt sind. Eine Botschaft an diejenigen, die bei hohem Tempo keine Augen für solcherlei Details haben, kann sich auch dieser Entwurf nicht verkneifen. So prangt hier in riesigen, aufwendig aus Formsteinen gemauerten Lettern „Küppersmühle“.

Im Innern wurden die ursprünglichen Ausstellungbereiche um 2500 Quadratmeter beziehungsweise 36 Räume erweitert. Insgesamt stehen jetzt 6100 Quadratmeter zur Verfügung, um die Werke aus der umfangreichen Sammlung Ströher, die das Museum nach der Pleite des ersten Erweiterungsversuchs inzwischen auch betreibt, für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Den Schwerpunkt der Sammlung bildet namhafte Kunst aus Deutschland seit 1945. Sie umfasst unter anderem Werke von Josef Albers, Willi Baumeister und Karl Otto Götz sowie – eine Generation später – Georg Baselitz, Candida Höfer, Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, A. R. Penck, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Rosemarie Trockel.

Herzog & de Meuron, Erweiterung Museum Küppersmühle, Duisburg 2013 – 2021, Foto: Simon Menges

In den white cubes ist, bis auf unterschiedliche Fensterformate und -anzahl, kaum ein Unterschied zwischen Alt- und Neubau festzustellen. Dafür sind die Übergänge höchst imposant: Sie führen über eingezogene Stege mitten durch die Silos – beziehungsweise durch das riesige, dunkle Vakuum, das sechs von ihnen nach ihrer Entfernung hinterlassen haben – vorbei an den effektvoll beleuchteten korrodierten Stahloberflächen. Während die Silos im Altbau noch versteckt hinter den weißen Wänden liegen und sich der Zugang recht unvermittelt auftut, bezieht der Neubau sie in eigens auf sie ausgerichteten Galerien gestalterisch mit ein und inszeniert auch gut sichtbar beim Betreten die sauberen Schnitte durch Betonmasse und stählernen Überzug.

Hier wird deutlich, dass das gestalterische Potential für einen Erweiterungsbau von Anfang an im Bestand lag. Statt des ursprünglich geplanten Spektakels einer leuchtenden Kiste, das sich nach der ersten Überraschung schnell abgenutzt hätte, erzeugen der Blick in die und der Gang durch die Leere eine tief empfundene Überwältigung, die sich auch wiederholen lässt und zu der man daher bestimmt mehrfach zurückkehrt.

Herzog & de Meuron, Erweiterung Museum Küppersmühle, Duisburg 2013 – 2021, Foto: Simon Menges

Dass ein solches Wieder-und-Wieder-Erleben möglich ist, zeigt seit 25 Jahren das Herzstück des damaligen Bestandsumbaus: Das ovale Treppenhaus aus terrakottafarben eingefärbtem, edel geschaltem Sichtbeton wirkt so poetisch wie eh und je – und hat sich zur Wiederholung im Anbau empfohlen, wo eine etwas kompaktere, aber gerade dadurch noch stimmungsvollere Variante mit Hang ins Sakrale entstanden ist. Aus den angrenzenden white cubes entfaltet der Blick durch die farblich abgestimmten Türrahmen ins scheinbar lodernde Treppenhaus eine immense Sogwirkung. So ist es Herzog & de Meuron gelungen, neben den puristischen Ausstellungsräumen, denen bei aller Angemessenheit auch etwas Zweckmäßiges anhaftet, mit den Silos und den Treppenhäusern zwei Räume entgegengesetzter, elementarer Erfahrungen von Schatten und Licht, Kälte und Wärme sowie Weite und Geborgenheit zu kreieren.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich das Büro nicht in allen Kontexten so sicher bewegt, wie ihr wenige Jahre altes Wohnhochhaus „Beirut Terraces“ im Libanon zeigt. Eine Twitter-Userin deckte kürzlich auf, dass zum Luxusambiente dort nämlich auch sogenannte „Maid Rooms“ zählen: nur knapp vier Quadratmeter kleine, fensterlose Kammern plus Kleinst-Bad für die Bediensteten, bei denen es sich oft um Arbeitsmigrantinnen handelt, die im Sklaverei-ähnlichen Kafala-System gefangen sind. Herzog & de Meuron versicherten gegenüber einem Schweizer Boulevardmedium, Alternativen empfohlen zu haben, aber schlussendlich an die Anordnung der Bauherrschaft gebunden gewesen zu sein. Es stellt sich also die Frage, wie eines der weltweit renommiertesten Architekturbüros den Übergang in ein Zeitalter bewerkstelligt, in dem der Verzicht auf ethisch und ökologisch verwerfliches Bauen die gesamtgesellschaftlich eingeforderte oberste Maxime der Profession ist – und es nicht mehr ausschließlich auf den künstlerischen Ausdruck ankommt, durch den die Generation der Stararchitekten sich seit den 1990er-Jahren zu Marken ihrer selbst entwickelt hat.
Maximilian Liesner

Herzog & de Meuron, Erweiterung Museum Küppersmühle, Duisburg 2013 – 2021, Foto: Simon Menges

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