persönliches

Kurt Ackermann (1928–2014)

„Hier spricht Kurt Ackermann“, so seine immer gleiche Ansage bei jedem Telefonat, das wir in den letzten Jahren, Jahrzehnten, geführt haben. Nach einem knappen und freundlichen Austausch von aktuellen Lebens- und Arbeitsumständen kam er direkt zur Sache. Immer. Offen und durchdacht wurden seine Anfragen, Forderungen, Bitten und Einschätzungen vorgebracht, keine Umwege gemacht, war der Anlass des Gesprächs noch so schwierig. Ja. Schwierig konnte es mit ihm auch werden, denn er war jemand, der sehr genau wusste, was er wollte, was er von anderen wollte und dieses auch verlauten ließ, manchmal in leisen Tönen, die jedoch nichts an Deutlichkeit vermissen ließen, oft auch lauter, mit klarer Ansage: Das will ich nicht, so nicht und so nicht. Kurt Ackermann war ein Mensch, der anderen Menschen gut sortiert und – vor allem – verbindlich gegenübertrat, man wusste genau, wo er stand und auch, wo man in seiner Einschätzung selbst verortet war.

Stiller wurde es um ihn, der zu den bedeutenden Vertretern der Nachkriegsmoderne in Deutschland gehörte, in den letzten Jahren, nachdem sein Sohn Peter Mitte der Neunziger das Büro wesentlich übernahm, worauf er sehr stolz und glücklich war, dass einer der Söhne das Werk weiterführt. „In meinem Herrsching bin ich gut aufgehoben für meinen Lebensabend“, meinte er einmal, „hier habe ich alles, was ich brauche. Schöne Umgebung, freie Natur, und – mein Haus.“ Anfang der sechziger Jahre baute Kurt Ackermann das Wohnhaus für seine Familie in Herrsching am Ammersee, mehr als fünfzig Jahre später steht das Gebäude – nach einer im Jahre 2000 vorgenommenen Sanierung der Holzverschalung – immer noch „ohne modische Attribute sehr anständig dort oben“, so sein Bauherr und Architekt. Er sprach öfter von den ersten Reaktionen seiner Nachbarn und Mitbürger damals, die nicht verstehen konnten, warum man in diese liebliche Landschaft ein Stahl-Glas-Holz-Haus hineinsetzt, mit Flachdach gar, das überhaupt nicht den bayerischen Gepflogenheiten entsprach. Diese Geschichten liebte er und erzählte sie mit dem typischen Ackermann’schen Schmunzeln in den Augen.

Kurt Ackermann wurde 1928 im mittelfränkischen Insingen über Rothenburg-Tauber geboren. Nach eine Lehre als Maurer und Zimmermann studierte er in München am Polytechnikum und an der TH München Architektur. Seine eigentliche Prägung, so Kurt Ackermann in einem Gespräch über seinen Werdegang einmal, kam eher anderswo her: Er hörte in Karlsruhe Vorlesungen von Egon Eiermann, die ihn nachhaltig beeindruckten. Mit 21 Jahren fing er an zu bauen, die ersten Wohnbauten entstanden, die Häuser Viktor Gartner (1955) und Rickert (1958/59) und das Haus Dr. Peters (1957–58). Alle drei Häuser sind, obwohl deutliche Unterschiede in der architektonischen Auffassung zu erkennen sind, von einer ernsthaften Haltung geprägt, die der jeweils individuellen Aufgabe eine entsprechende Antwort geben.

Haltung war ohnehin eines von Kurt Ackermanns Lieblingsthemen, er liebte es, über dieses omnipräsente Gebilde „Haltung“ nachzudenken, es zu definieren und darüber zu sprechen, die persönliche Haltung und die richtige Grundeinstellung im Bauen war ihm nie versiegender Quell der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt an sich. Ackermann sagte einmal, er wolle keinen Stil verfolgen, nie, sondern „architektonische Haltung“ sei ihm wichtiger. Und das sah man seinen Bauten an.

Ende der fünfziger Jahre gewann der Industriebau eine gewichtige Rolle in seinem Werk. Nach einem gewonnenen Wettbewerb entstand die Hopfenhalle Mainburg (1957/58), etwas später war der Beginn der jahrelangen Bautätigkeit am Zementwerk Märker (1958–2003) und auch beim Bau der Fertigungshalle für BMW (1962/63) spielen Technologie und Konstruktion eine große Rolle. „Mein Bestreben war immer“, so Ackermann, „eine Übereinstimmung  zwischen funktionalen Bedürfnissen, konstruktiver Logik und den Möglichkeiten des Materials zu finden…diese freien Faktoren werden miteinander in eine Wechselwirkung gebracht, die durchgängig, fast selbstverständlich wird.“

Eine lange Reihe von beachtenswerten und vorbildlichen Bauten entstand in den vielen Jahrzehnten reger Bautätigkeit: unter anderen die Hypobank München-Schwabing (1961–1966), die Universität Regensburg (1966–1974), die Offiziersschule der Luftwaffe Fürstenfeldbruck (1974–1977), das Klärwerk Gut Marienhof bei München (1975–1988), das Eislaufzelt im Olympiapark (1980–1983), das Konstruktionsbüro Gartner in Gundelfingen (1988-1991), das Hauptpumpwerk in Berlin-Wilmersdorf (1991–1998), das Amt für Abfallwirtschaft München (1993–1999) und die Halle 13 der Messe Hannover (1995–1997) – um nur die wichtigsten zu nennen.

In den BDA wurde Kurt Ackermann im März 1962 berufen. Er war im bayerischen BDA-Landesvorstand tätig (1965–1967) und wurde Mitglied des BDA-Präsidiums von 1971 bis 1975. Auch im – von Ingeborg Flagge neu gegründeten – Redaktionsausschuss der Zeitschrift der architekt machte er sich zu schaffen (1972–1978) und war maßgeblich beteiligt an dem Zustandekommen des von Otl Aicher gestalteten Redesign der Zeitschrift (ab 1974). Die Anliegen des Verbandes waren ihm immer richtig und wichtig, und daran hat er, auch bei der einen oder anderen Auseinandersetzung über Sachthemen, nie einen Zweifel gelassen.

Aber nicht nur Bau- und  Verbandstätigkeiten trieben den Architekten und Konstrukteur Kurt Ackermann um. Als Hochschullehrer und Direktor des Instituts für Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart hat er von 1974 bis 1993 wesentlich zu einem ganzheitlichen Verständnis von Architektur und Konstruktion beigetragen und neue, andere Wege der interdisziplinären Zusammenarbeit aufgezeigt. In seiner Anfangszeit an der Hochschule richtete er eine Modellwerkstatt ein, in der Architekten und Bauingenieure gemeinsam Modelle bauten, die anschließend auf Effizienz und Tragverhalten überprüft wurden, um aus diesen Erfahrungen den Studierenden beizubringen, wie sich Konstruktion und Materialien unter Druck und Zug verhalten. Neben seiner Tragwerkslehre  führte er im Fach Baukonstruktion die Zusammenarbeit im Entwerfen von Architektur- und Bauingenieurstudenten ein – zu dieser Zeit ein innovativer Ansatz.

Die große Wertschätzung, die seine Architekturauffassung und seine Lehre erfuhr, drückte sich nicht zuletzt auch in Gastprofessuren und zahlreichen Ehrungen aus. Er lehrte als Gastprofessor an der TU Wien und der TH München, war viele Jahre Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1976–1984), er organisierte gemeinsam mit Otl  Aicher die Wanderausstellung „Industriebau“ (1984–1991) – und natürlich erhielt er zahlreiche Preise: unter anderen den 1967 verliehenen Förderpreis der Landeshauptstadt  München, einige Male war er Preisträger des BDA-Preises Bayern, er erhielt den Ehrenpreis der Stadt München für Wohnungsbau, den Förderpreis der Deutschen Ziegelindustrie. Allein sechsmal nahm Kurt Ackermann den Deutschen Stahlbaupreis in Empfang, wurde 1983 und 1989 mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet, 1984 mit dem Mies-van-der-Rohe-Preis. 1994 erhielt er die Heinrich-Tessenow-Medaille in Gold und 1996 die Leo-Klenze-Medaille des Freistaates Bayern. Er war Ehrenmitglied des BDA-Bayern, Mitglied  der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und der Akademie der Künste Berlin sowie Ehrendoktor der TU Wien. Eine Ehrung gefiel ihm besonders, weil sie nur wenigen Europäern zuteil wurde: die Honorary Fellowship of the American Institute of Architects AIA. „Jetzt machts net soviel Wind…“ würde er sagen, der Kurt Ackermann.

Wenige Tage vor seinem Tod am 6. Mai telefonierten wir miteinander, er war schwach von den letzten Monaten schwerer Krankheit, das konnte man hören, aber unbeirrt in seinen Zukunftswünschen: „Wenn’s wieder einmal in München sind, dann treffen wir uns und gehen gemeinsam essen und plaudern, gell?“

Kurt Ackermann war eine faszinierende Persönlichkeit, in seiner Geradlinigkeit, seiner Unbeirrtheit und Sturheit durch alle Strömungen, Tendenzen und Moden hindurch, er bot viel Reibungsfläche, war oft unbequem, fordernd und fördernd zugleich, aber es zeichnete ihn absolute Verlässlichkeit aus und Verbindlichkeit in jeder Beziehung. Er wird uns fehlen, in diesen Zeiten.

Alice Sàrosi

Foto: David Kasparek

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