Ein Prospero der Baukunst

Zum Tod von Hans Hollein (1934 – 2014)

Jahrzehnte lang traf man Hans Hollein dort, wo man Stars der Szene vermutet: auf Biennalen, von denen er einige selbst organisierte, auf internationalen Symposien, in Eliteschulen wie der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er von 1967 bis 1976 unterrichtete, und an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst, bei den großen Preisvergaben. Die renommierteste dieser Auszeichnungen, den Pritzker-Preis, erhielt er 1985 selbst. Ich traf ihn, wo man ihn am wenigsten erwartete: in einem entlegenen Gebirgstal des Karakorum-Gebirges in Nordpakistan. Eine Einladung des Aga Khan hatte eine Reisegesellschaft dorthin geführt, wo zwanzigtausend Anhänger des Khan, Ismaeliten, leben. Dort eilte Hollein wie ein Berggeist mit wehendem, schütterem Haupthaar durch die beiden Burgen von Hunza, zückte den Zollstock – nehmen eigentlich alle Architekten den Zollstock mit auf Reisen? –, vermaß sie, gab Ratschläge zu ihrer Sanierung. Über dem Tal thront das Rakaposhi-Massiv, ein weißer Riese von fast achttausend Meter Höhe.

Das Montane muss dem gebürtigen Wiener in den Genen gelegen haben. Zur Familie gehörten Steiger und Bergbauingenieure. Einer von Holleins frühen Miniaturbauten, das Juweliergeschäft Schullien I am Wiener Graben (1972), betrat man durch einen Riss in der kristallinen Miniaturfassade. Auch der erste Großbau seiner Karriere, das Museum in Mönchengladbach, eingeweiht 1982, ist in einen Berg hinein komponiert. Wer die mäandernden Wege empor zu Abteimünster und Pfarrkirche steigt, kann sich nicht sicher sein, ob er sich nicht jeweils schon über den unterirdischen Kabinetten des Museumslabyrinths bewegt. Faszinierendster Höhlenbau wäre die Guggenheim-Filiale in Salzburg geworden, für die er den Mönchsberg ausweiden wollte. Dessen innere Natur- und Raumwunder hätten jedes Kunstwunder überspielt, das man darin zeigen wollte.

Was er in Salzburg nicht realisieren durfte, ermöglichte ihm Ex-Staatspräsident Giscard d’Estaing, ein gebürtiger Auvergnat. In dieser vulkanischen Landschaft des französischen Zentralmassivs konnte Hollein einen speläologischen Traum verwirklichen. In seinem Museums- und Themenpark Vulcania (2002) klingen archaische Rituale an, der Abstieg in den Hades, Dantes Inferno, Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde. Gelegentlich grollt es unterirdisch. Rot glühende Dämpfe steigen auf, die einen bevorstehenden Vulkanausbruch suggerieren. Gediegene wissenschaftliche Informationen werden mitgeteilt, aber drastische Effekte nicht gescheut. Kulmination dieser artifiziellen Landschaft à la Hollein ist ein Kegelstumpf mit gespaltener Wandschale, außen mit Basalt verkleidet, innen mit goldfunkelndem Titanzink.

Hans Hollein: Vulcania, Europäischer Park für Vulkanismus, Auvergne, Frankreich 1994–2002, Foto: Wolfgang Pehnt

So sehr die Höhlenmetapher Holleins Werk bestimmte, sie war nur eines der Symbolfelder, auf denen er sich bewegte wie ein Schachgroßmeister im Spiel gegen zahlreiche Simultangegner. Ein anderes ergab sich aus dem Uralt-Diktum der Architekturtheorie, das Bauwerk sei eine Stadt im kleinen. Bauvolumina brach Hollein auf und wechselte Handschrift und Material innerhalb ein- und desselben Gebäudekomplexes wie in einer widersprüchlich entstandenen Stadt. In Mönchengladbach umstehen ein Hochhaus, dessen Talseite aufgesprengt ist wie eine Kristalldruse, zinkblechverkleidete Werkhallen und ein marmornes Tempelchen eine Piazza, als sei dort eine Akropolis im Entstehen begriffen.

War die Maschinerie der Bilderproduktion einmal angeworfen, gab es für den Szenographen Hollein kein Halten. Sie erfasste Bau und Gerät, Großes und Kleines, Kristallflakons und Nippes, Uhren und Brillen, Türklinken und Möbel, Bühnenbilder und sogar einen Bösendorfer-Flügel. „Alles ist Architektur“ war sein Lieblingswort. Ebenso gern benutzte er das Bonmot, Architektur sei zweierlei: Bewahrung der Körpertemperatur. Und Kult, Ritual. C. G. Jung, der Erforscher kollektiver Archetypen, und Sigmund Freud waren für ihn Berufungsinstanzen. Freuds unordentliches Nebeneinander von Arztsessel und Patientencouch übersetzte er in ein akkurates Kombinationsmöbel aus Sessel und Liege. Aber das war postmoderne Ironie. Träume sind nie akkurat.

Es wirkte wie Koketterie, wenn auf den Briefköpfen und lakonischen Glückwunschkarten Holleins als Berufsbezeichnung „Staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker“ stand. Aber vielleicht war dieser Titel, der laut Paragraph 292 der österreichischen Zivilprozessordnung zur Führung des Staatswappens berechtigt und Tätigkeiten untersagt, die mit der Würde des Standes nicht vereinbar sind, eine notwendige vertrauensbildende Maßnahme bei Klienten, die Holleins überbordende Phantasie misstrauisch machte. Gebaut und entworfen hat der „staatlich befugte Ziviltechniker“ schließlich an vielen Ecken der Welt, in Berlin und Frankfurt, in Teheran und Madrid, in Lima und Vaduz; in Wien und St. Pölten sowieso. Darunter waren Schulen, Verwaltungsgebäude, Stadtvillen und auffällig viele Häuser für die Kunst.

Allen Regeln der Zivilprozessordnung zum Trotz bewirtschaftete Hollein ein weites Zauberreich der Metaphorik. In den Studienjahren, die er in den USA verbrachte, faszinierte ihn die Kapsel- und Raketenästhetik der Raumfahrtindustrie ebenso wie die Töpferarchitektur der Pueblos. Manche Ideen fand er in der Kunstgeschichte. Beim Mönchengladbacher Museum stand Mantegnas Gemälde aus der Mailänder Brera Pate; das Bahrtuch über dem perspektivisch verkürzten Körper des toten Christus schlägt Falten wie die verschlungenen Wege am Abteiberg. Andererseits holte er sich gern Anregungen aus der jeweiligen Nachbarschaft. Anpassungsarchitektur wurde es trotzdem nie, sondern Zitatarchitektur, Collagearchitektur, Unanpassungsarchitektur. Bei Hollein musste man niemals bangen, es fiele ihm zu wenig ein. Das Gegenteil war der Fall. Richtig weh tat es den Wienern an jenem Ort, an dem sie am empfindlichsten sind, an St. Stephan, wo Hollein das Kaufhaus Haas zu verantworten hatte (1990). Dort schälte er einen nackten Glaskörper aus einem Mantel aus Gneis und Quarzit und bekrönte das Ganze mit einer Art Sprungschanze. Und einem Pavillönchen noch darüber.

In seiner sensationellen Erscheinung, seinen Klippen und Abgründen stellt Holleins Werk so etwas wie ein Rakaposhi-Massiv dar. In der Sprache der Hunzakuts bedeutet der Name „Glänzende Wand“. Dass Bauen mehr sein kann als Funktionserfüllung auf dem kürzesten Wege, dass es erzählen, plaudern, erinnern, manchmal auch: an Tiefenschichten rühren kann, hat dieser Prospero der Baukunst uns als Botschaft hinterlassen.

Wolfgang Pehnt

Hans Hollein: Museum für Moderne Kunst, Frankfurt Main 1982-1990, Foto: Wolfgang Pehnt


Hans Hollein: Alles ist Architektur
12. April bis 28. September
Museum Abteiberg Mönchengladbach
Informationen hier und hier

25. Juni bis 5. Oktober 2014
Österreichisches Museum für Angewandte Kunst, Wien
Informationen hier

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