kern und these

Architekten und Großprojekte: Notizen zu einer berufspolitischen Frage

„Der Staat als Bauherr ist ein Versager“. Dieses starke Diktum schrieb der Berliner Architekturkritiker Falk Jaeger im November 2012 anlässlich der Desaster-Baustellen Stuttgart 21, Elbphilharmonie und Flughafen BER in einer Kolumne für das Momentum-Magazin. „Ob städtische, Landes- oder Bundesbauten, kaum ein Projekt wird zum geplanten Termin eingeweiht, und kaum eines bleibt im Kostenrahmen“, erläutert Jaeger. Als Schuldigen macht er also die Bauherrenseite aus. Zu Recht?

Sollten wir tatsächlich gegenwärtig eine signifikante Häufung von aus dem Ruder laufenden Bauprojekten der Öffentlichen Hand erleben, könnte dies auch ein Hinweis auf dauerhaft veränderte Rollenverteilungen am Bau sein, bei denen der Architekt nicht mehr das Zentrum des Geschehens ist, sondern so etwas wie der Designer für den schönen Schein. Bezeichnend, dass die Bauherren des Berliner Flughafens jedenfalls  glaubten, von heute auf morgen folgenlos 300 Planer nach Hause schicken zu können – ein Fehler, den sie kurz darauf stiekum korrigieren mussten, um wenigstens etwas von der Expertise auf die Baustelle zurückzuholen.

Kathedrale Saint Pierre in Beauvais, Frankreich, ab 1225,  Foto: Jan Sokol

Allerdings hat es Skandal-Baustellen schon immer gegeben. Gotische Kirchen wurden nach dem Trial-and-Error-Verfahren gebaut. So stürzte die Kathedrale von Beauvais zweimal ein, bis sie aus Geldmangel unvollendet blieb. Die Mühe hat sich dennoch gelohnt: Chor und Vierung haben mit einer Innenhöhe von 48 Metern das bis heute höchste Kirchengewölbe der Welt. Auch der Kölner Dom wurde im Mittelalter nicht fertig, sondern erst im 19. Jahrhundert mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden bautechnischen Möglichkeiten des Industriezeitalters vollendet. Bayerns König Ludwig II. versenkte so viel Geld in sein Schloss Neuschwanstein, dass er entmündigt wurde. Das royale Märchenschloss wurde nie ganz fertig, Kapelle und markanter Bergfried blieben ungebaut.

Im 20. Jahrhundert wurde es dann üblich, aus dem Ruder gelaufene Bauvorhaben dennoch zu vollenden, um sie nicht halbfertig liegenzulassen – koste es, was es wolle. Das 1971 begonnene Aachener Klinikum hatte bei seiner Einweihung 1984 mit zwei Milliarden Mark fast das Vierfache der ursprünglich veranschlagten Summe gekostet. Das Berliner ICC, inzwischen aus der Nutzung gefallen und mit völlig ungewisser Zukunft, war zu seiner Eröffnung 1979 mit enorm gestiegenen Baukosten von fast einer Milliarde Mark das teuerste Gebäude West-Berlins. Es hatte sich der sattsam bekannte Mechanismus etabliert, Baukosten für die politische Entscheidungsfindung bewusst zu niedrig anzusetzen, um das Projekt überhaupt „durchzukriegen“. Ist es erst einmal unwiderruflich begonnen worden, steigen die Kosten dann unweigerlich.

Unweigerlich? Nicht unbedingt. Zumindest die Berliner Neubauten für die Bundesregierung, die von der damaligen Bundesbaudirektion betreut wurden, blieben im Wesentlichen im Zeit- und Kostenrahmen. Auch das im Entstehen begriffene, inhaltlich fragwürdige Rekonstruktionsprojekt Humboldtforum/Berliner Schloss ist kosten- und zeittechnisch bislang ein Musterschüler – sieht man einmal von den notorisch fehlenden Spenden für die pseudobarocken Fassaden ab.

gmp, Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt, Berlin 1998 ff., Foto: Andre Dierker (via flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0)

Mal scheint es also zu klappen mit der Kosten- und Terminsicherheit – und mal nicht. Der BDA hat im vergangenen Jahr in einem Faltblatt zu „Planungs- und Bauprozessen bei Großprojekten“ thesenartig analysiert, was falsch läuft und worauf zu achten ist. Demnach werden bisher vielfach zentrale Eckpunkte wie Kosten- und Zeitrahmen ohne professionelle Vorarbeit entschieden. Abhilfe schaffe die frühzeitige Einbindung von Architekten in die Vorbereitung und eine klare Definition des Bedarfs. Das zweite in dem Papier benannte Manko: Eine häufig ausschließlich betriebswirtschaftlich ausgerichtete Projektsteuerung mit nur geringem planungs- und bauspezifischen Hintergrund ist mit der Koordination der Beteiligten überfordert. Hier kommt die ganzheitliche Verantwortung des Architekten ins Spiel, die zu stärken sei. Schließlich werden faire und wettbewerbsorientierte Vergabeverfahren an Planer und Ausführende gefordert, um das kooperierende Verhalten aller Beteiligten zu stärken.

Diese Empfehlungen sollten nicht als Interessen einer Lobbygruppe abgetan werden. Architekten sind mit ihrer – bisher – generalistischen Ausbildung und Berufspraxis dazu geeignet, zentrale Koordinationsleistungen zu erbringen. Dass andere Berufsgruppen dies jedenfalls fallweise auch nicht besser können, zeigen die eingangs genannten Skandal-Projekte auf unnötig deutliche Weise.
Benedikt Hotze

Bund Deutscher Architekten BDA (Hrsg.): Stärkung der ganzheitlichen Verantwortung des Architekten. Planungs- und Bauprozesse bei Großprojekten. Faltblatt, Berlin 2014

Im Internet stehen die Kernthesen des BDA unter derarchitektbda.de/stellung-beziehen/ zum download bereit.

Fotos: Jan Sokol / Andre Dierker (via flickr.com/CC BY-NC-SA 2.0)

 

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