Buch der Woche: Venezianische Wohnkultur der Renaissance

Leben mit Palladio

Das Buch von Antonio Foscari füllt eine Lücke. Die enorme Bedeutung und Wertschätzung, die der vicentinische Architekt Andrea Palladio nicht nur bei Architekten und Kunsthistorikern seit dem 19. Jahrhundert genießt, können wahrscheinlich gerade noch Schinkel, Mies oder Kahn auf sich vereinigen. Wahrscheinlich zu Recht: Auch jenseits der gebauten Form ist Palladio – mindestens genauso wie Schinkel – ein „Veredler aller menschlichen Verhältnisse“. Diese Schönheit des Gebrauchs wird in Antonio Foscaris schmalem, nur in Englisch vorliegendem, ausgezeichnet lesbaren Buch anschaulich. Das Resultat geht weit über eine traditionelle architektonische Analyse hinaus. Der Autor, Architekt und Architekturhistoriker, entstammt nicht nur der Familie der Brüder Nicolò und Alvise Foscari, die sich zwischen 1550 und 1560 von Palladio eine Villa am Ufer der Brenta auf dem Festland bei Venedig erbauen ließen, er wohnt auch in jener sogenannten „Malcontenta“, die er nach Verfall und Besitzerwechsel für sich und seine Familie zurückgekauft und wieder hergerichtet hat.

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Das Leben mit einem solchen Haus muss heute eine Herausforderung sein. Denn die Raumdisposition der drei Stockwerke, von denen das obere einen offenen Dachstuhl hat, entspricht keineswegs heutigen Wohngepflogenheiten. Antonio Foscari hat sich der Sinnsuche mit weitgespanntem Interesse gewidmet. Dabei gelingt es dem Palladio-Spezialisten nicht nur, die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu umreißen, unter denen eine solche casa einer ratsfähigen venezianischen Familie entstehen konnte, sondern auch, den ursprünglichen Sinn der Raumanordnung der Villa Foscari zu rekonstruieren und das Leben in ihm vor fast 500 Jahren lebendig werden zu lassen.

Für die Anlage eines Landhauses, wie sie sich viele Familien aus Venedig im 16. und 17. Jahrhundert leisteten, spielten nicht nur ästhetische Überlegungen eine Rolle, wie man sie vorbildlich in Plinius‘ Briefen über seine Landgüter in Ostia und am Comer See finden konnte. Vielmehr dienten die villegiature gleichermaßen als Orte des otium (der Muße) im antik-römischen Sinn wie auch der Machtausweitung der patrizischen Kaufmannsfamilien Venedigs über lukratives Agrarland. Diese Doppelfunktion bewegte sich stets im Rahmen politischer Angemessenheit: So durfte ein Landhaus nicht als palazzo erscheinen, da dieser Status nur der Residenz des Dogen in Venedig zukam. Wohl auch deshalb wurde das Obergeschoss der Villen oft als Kornspeicher verwendet. So ließ sich die landwirtschaftliche Nutzung der „Villen“ augenfällig vorführen. Bei anderen Bauten Palladios übernahmen die barchesse, die Seitenflügel der casa, die Funktion als Speicher. Antonio Foscari hat die oftmals sinnfälligen Hinweise auf ursprüngliche Nutzungen bis ins Detail aufgespürt. So verhinderten in der „Malcontenta“ horizontale, halbhoch im Raum angebrachte und um die Türen herumgeführte Bänder aus poliertem Gips, dass Mäuse und andere Nager im Gefahrenfall in das sichere Dachwerk des Obergeschosses flüchten konnten.

Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf dem piano nobile, dem Repräsentationsgeschoss der casa. Auch dessen Raumfolge erklärt sich historisch und architekturtheoretisch: An einem kreuzförmigen Zentralraum liegen rechts und links je drei Räume unterschiedlicher Größe, deren Lage nach Möglichkeit schöne Ausblicke ermöglichen soll. Jeweils eine Flucht ist dem padrone, dem Herrn, und der Dame des Hauses zugeordnet. Im Falle der Foscari-Villa nutzte jeweils einer der Brüder ein appartamento, das aus den drei stanze prime im ersten Obergeschoss und drei analogen stanze del sotto im Erdgeschoss bestand.

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Die Funktion der Räume im Hauptgeschoss hat Foscari unmittelbar der Lektüre von Palladios zweitem der „Quattro Libri dell‘ architettura“ entnommen. Ähnlich wie für Alberti ist auch für Palladio der Aufbau eines Hauses analog zum menschlichen Körper, bei dem die Gliedmaßen so verteilt seien, dass sie das Ganze schön und anmutig machen. Der kreuzförmige Hauptraum war dem Empfang von Gästen und großen Gastmählern vorbehalten. Der größte Raum im Süden diente den Besitzern als Schlafgemach, das der nahegelegene Fluss mit einer schönen Aussicht und im Sommer mit kühler Luft versah. Bei Kälte ließ sich das Zimmer durch einen Kamin heizen. Der mittlere Raum war das Gästezimmer, das dem Empfang und der Übernachtung diente. Dabei wurde die Einladung politischer Gäste offiziell ungern gesehen, weil man in der Lagunenstadt sehr darum bemüht war, private Absprachen von Funktions- und Machtträgern zu vermeiden, um die höchst fragile Machtbalance in der Stadt nicht zu gefährden. Gäste waren also eher virtuosi amici, Gelehrte oder Künstler, mit denen der Hausherr Zeit verbrachte.

Vom Mittelzimmer mit quadratischem Grundriss wurde ein camerino, eine kleine Form des studiolo, abgetrennt, in dem der Hausherr seinen literarischen und wissenschaftlichen Neigungen kontemplativ nachgehen konnte. Im anschließenden kleinsten, landeinwärts gelegenen Raum nahmen die Besitzer zumeist allein, nur gelegentlich im Kreise der Familie die marenda (Morgenspeise), das desinar (Mittagessen) und die cena (Abendmahlzeit) zu sich. Die Möblierung dieser Räume muss man sich äußerst spärlich vorstellen. Das einzige aufwendigere Möbelstück war das Bett. Es gab Tische, Stühle und viele Truhen, in denen Wichtiges und Wertvolles aufbewahrt wurde. Ansonsten prägten großformatige Wandmalereien mit mythologischen Inhalten den Raumeindruck.

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Andrea Palladio, Villa Foscari bei Venedig, 1550–1560, Foto: via Lars Müller Publishers

Die Raumdisposition des piano nobile wiederholt sich im Erdgeschoss, das der Aufenthaltsort der famiglia minuta war, also all jener Personen, die den Betrieb des Haushalts aufrecht erhielten. Das tonnengewölbte Geschoss war erheblich niedriger und barg die Küchenräume, die Vorratshaltung, die Waschküche, die Heizung und die tinelli – kleine Speiseräume, in denen die Kinder der Familie speisten. Im Zentralraum wickelte der Hausherr Geschäfte ab.

Antonio Foscari: Living with Palladio in the Sixteenth Century, Lars Müller Publishers, Zürich 2020

Antonio Foscari: Living with Palladio in the Sixteenth Century, Lars Müller Publishers, Zürich 2020

Dem Kochen, den Speisen und den Mahlzeiten hat Alessandro Foscari besonderes Interesse gewidmet. Seine Schilderungen der unterschiedlichen Produkte, der Zubereitung der Mahlzeiten und der Duftnoten, die das Untergeschoss durchzogen, bilden einen besonders anschaulich beschriebenen und bebilderten Abschnitt des Buches. Zuletzt arbeitet der Autor die Rolle von Tanz, Musik und Festlichkeit im Leben eines Patrizier-Haushalts heraus. Das Beispiel des Aufenthalts des französischen Thronanwärters Henri de Valois bei Alvise und Elisabetta Foscari in der Malcontenta 1574 beschreibt zugleich die Bedeutung dieser Familie in der venezianischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts wie auch den Höhepunkt in der Geschichte des Hauses. Antonio Foscari ist mit seinem Buch über das „Leben mit Palladio“ eine ganz andere „homestory“ gelungen, die den gesamten sozialgeschichtlichen Kontext der italienischen Villa und ihrer famiglia in ihrer ganzen Fülle wiedererstehen lässt.
Andreas Denk

Antonio Foscari: Living with Palladio in the Sixteenth Century. Translated by Lucinda Byatt. 128 Seiten, 25.- Euro, Lars Müller Publishers, Zürich 2020, ISBN 978-3-03778-638-3

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