Kritischer Raum

Mit den Augen der anderen

Luisenblock West für den Deutschen Bundestag von Sauerbruch Hutton,
Berlin 2020 – 2021

Holz ist nicht gerade das, woran die Abgeordneten des Deutschen Bundestags bislang im Arbeitsalltag gewöhnt waren, atmet das Berliner Regierungsviertel doch noch recht einheitlich den Geist der Jahrtausendwende: Das „Band des Bundes“ sollte die Hälften der geteilten Stadt verbinden, Stahlbeton und Glas eine verlässliche, transparente Parlamentsarbeit verheißen. Der neue Luisenblock West ist anders. Er argumentiert weniger symbolisch, sondern in seiner zeitgemäßen Holzhybridbauweise vielmehr praktisch. Dabei greift der Bau mit seiner Höhe, der silbrig-grauen Fassade aus Aluminiumpaneelen oder den Höfen, die der H-förmige Grundriss ausbildet, durchaus auch Motive der benachbarten Abgeordnetenhäuser auf.

Der gepflasterte Eingangshof wird vom Fahrdienst des Bundestags gerne als Warteplatz genutzt; der erst kürzlich begrünte Pausenhof changiert noch zwischen der Künstlichkeit eines Golfplatzes und der Beengtheit eines Gefängnishofs. Denn er ist von einer gebäudehohen Glaswand begrenzt, die dem Lärmschutz gegen die direkt angrenzende, hochfrequentierte Bahntrasse von und zum Hauptbahnhof dient. Immerhin integriert das tragende Stahlgerüst auch gleich das Fluchttreppenhaus.

Sauerbruch Hutton, Luisenblock West, Berlin 2020 – 2021, Foto: Jan Bitter

Das Besondere ist nun aber der Innenraum, der zu weiten Teilen aus Holz besteht. Davon ausgenommen und aus Sicherheitsgründen in Beton gegossen sind das Sockelgeschoss und der offene, etwas großzügig als „Atrium“ titulierte Erschließungskern. Die 400 Büros jedoch bestehen aus vorfabrizierten Brettsperrholz-Modulen von 3,20 Meter Breite und 6,75 Meter Länge. Für Besprechungsräume und Großraumbüros sind zuweilen zwei Module kombiniert worden. Im Gegensatz zur Fassade, wo es wegen der nötigen Hinterlüftung ohnehin nicht möglich gewesen wäre, sind die Holzwände im Innern durchgehend sichtbar belassen und nur leicht lasiert. Am Anfang habe es fürchterlich geknarzt, heißt es im Flurfunk, doch inzwischen empfinde man das allgegenwärtige Holz als sehr wohltuend. Für den ersten Moment täuscht das Material auch darüber hinweg, dass – natürlich vor allem bedingt durch den modularen Aufbau – der Raumeindruck mit Mittelflur und Bürozellen durchaus behördlich ist. Dafür, dass die gleichmäßige Verteilung der immergleichen Fenster nach außen keinen tristen Eindruck vermittelt, sorgen die in gleichmäßigem Rhythmus, aber (scheinbar) zufälliger Abfolge vorgehängten farbigen Gläser, die zwar im Regierungsviertel, nicht aber bei einer Autorschaft von Sauerbruch Hutton überraschen. Einerseits ist ihr Verweis auf die politischen Farbidentitäten offensichtlich, andererseits werden sie durch die schiere Anzahl fast zu einem augenzwinkernden Kommentar zur fraglichen Aussagekraft der wöchentlichen Sonntagsfrage mit ihren Säulendiagrammen – wobei sich statt Blau nur Türkis im Farbreigen findet. Der Effekt der farbigen Gläser auf das Raumlicht im Innern ist wegen des dominanten fruchtig roten Teppichs eher gering. Dafür tauchen sie die Welt vor dem Fenster in ein anderes Licht – und gerade solch ein Perspektivwechsel, das Sehen der Welt mit den Augen derer, die nicht unmittelbar zur eigenen Klientel gehören, macht doch einen guten Politikstil aus.

Sauerbruch Hutton, Luisenblock West, Berlin 2020 – 2021, Foto: Jan Bitter

Ein bedenklicher Politikstil wiederum hat mittelbar überhaupt erst zur Notwendigkeit dieses Gebäudes geführt. Vor der Bundestagswahl 2021 erweckte die Große Koalition nämlich den Eindruck, die Abgeordneten seien sich selbst die Nächsten, als sie eine von FDP, Linken und Grünen vorgelegte Wahlrechtsreform blockierte. Durch die in Zeiten gesellschaftlicher Fragmentierung steigende Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten wuchs die Gesamtzahl der Sitze, die ohnehin schon über der vorgesehenen Marke lag, weiter an. Weil zusätzliche Abgeordnete auch einen steigenden Bedarf an Büroräumen bedeuten, hatte das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung bereits Anfang 2020 einen temporären System- oder Modulbau für eine Nutzungsdauer von vorerst 15 Jahre ausgeschrieben (wohlgemerkt nicht als Planungswettbewerb, sondern als Verhandlungsverfahren mit vorgelagertem Teilnahmewettbewerb). Den Zuschlag erhielt der Hamburger Generalübernehmer Primus developments gemeinsam mit dem Vorarlberger Holzmodulbau-Spezialisten Kaufmann Bausysteme sowie Sauerbruch Hutton. Das Trio hatte in dieser Konstellation vor einigen Jahren bereits ein Studierendenwohnheim in Hamburg errichtet und damit das Vertrauen der Behörde gewonnen. Diese konnte in der Begründung des Zuschlags gar nicht oft genug die Dringlichkeit des Vorhabens betonen und hatte daher wohl den Auswahlprozess zulasten der Lösungsvielfalt schlank gehalten.

Immerhin überzeugt das Ergebnis – umso mehr, wenn der Rückweg am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus vorbeiführt. Denn hier ist das „Band des Bundes“ nicht nur geografisch, sondern auch prozessual an ein Ende gelangt. Ein Anbau, im Parlamentssprech MELH II genannt, sollte der Raumnot eigentlich bereits bis 2014 Abhilfe mit 300 Büros schaffen. Von außen wirkt er weitgehend fertiggestellt, der Zugang ist jedoch mit Brettern und Stacheldraht verrammelt. Wegen komplexer und sich potenzierender Baumängel ist inzwischen von einer Fertigstellung frühestens 2024 die Rede, sogar der Abriss steht im Raum.

Sauerbruch Hutton, Luisenblock West, Berlin 2020 – 2021, Foto: Jan Bitter

Demgegenüber markiert der Luisenblock West einen Neustart: zügig, kostengünstig, modular und aus Holz. Alle Gestaltungsentscheidungen wurden bereits am Prototypen getroffen, sodass die Module zu einem Grad von 85 Prozent vorfabriziert werden konnten. Vom Werk in Berlin-Köpenick aus wurden sie dann sukzessive just in time zur Baustelle transportiert und dort montiert. Der Kostenrahmen von 70 Millionen Euro und die geplante Bauzeit von 15 Monaten wurden eingehalten. Und auch für die Umweltverträglichkeit hat die planende und ausführende Troika gesorgt: In den kommenden 15 Jahren lässt sie so viele Bäume nachpflanzen, wie nötig sind, um die verbauten 5000 Kubikmeter Holz zu kompensieren. Auf lange Sicht soll der Bau auch wieder rückwärts abgewickelt werden können, indem die Module recycelt oder woanders aufgebaut werden. Aktuell ringt der Bundestag wieder um eine Wahlrechtsreform. Sollte diese nicht gelingen, stünde zunächst wohl eher eine Aufstockung des Luisenblocks an.
Maximilian Liesner

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