editorial

posaunenengel

Seit nicht mehr erinnerbarer Zeit haben Politiker mehr und mehr vermieden, auf die Begründung ihres Handelns hinzuweisen. Sollte es, was wir hoffen, tatsächlich auch von anderen als eigennützigen Motiven geleitet werden, haben sie die Pflicht, über Optionen, Szenarien und mögliche Entwicklungen aufmerksam zu machen, die ihre Politik – das heißt: ihre Planung – begründen sollten. Stattdessen hat sich in der Politik das Gefühl breitgemacht, dem „Volk“ nicht die volle Wahrheit zumuten zu können, weil sich sonst die Stimmung gegen die Überbringer der Nachricht wenden könnte. Tragisch: Das Volk hat’s gemerkt, und Teile davon üben sich in immer lauter vorgetragenem Misstrauen gegenüber Politik und Medien.

Diesem vom Blick auf die nächste Wahl geleiteten Vorgehen verdanken die apokalyptischen Reiter der AfD – Petry, Gauland, Höcke und von Storch – und ihre Freunde den Terraingewinn: Sie sagen zwar nicht, was die Menschen wissen sollten, aber das, was manche hören wollen. Die Rechtspopulisten haben die Lücke, die die utopiefreien Volkparteien eröffnet haben, durch die laute Vorstellung von dystopischen Zukunftsvisionen geschlossen. An die Stelle konstruktiver politischer Vorstellungen, die verbinden und motivieren könnten, haben sie endzeitliche Szenarien der Bedrohung gesetzt, die dem unterschwelligen Empfinden der von Globalisierung, Migration, den gewalttätigen Ausläufern des Islam offenbar überraschten Bevölkerung entspricht. Ein von der CDU in die AfD gewechselter Politiker formulierte kürzlich, seine neue Partei greife „die Nöte und Ängste der Menschen auf, die ja auch einen ernsthaften Hintergrund haben“. Jenseits aller Tatsachen und Wirklichkeiten („post-truth politics“) postulieren diese Totengräber der Demokratie, was und wer in diesem Staat nicht sein soll und darf, und gerieren sich damit als Wortführer des Heers der Nichtwähler und Politikenttäuschten, der Abgehängten und Verschwörungstheoretiker. Man müsse politische Linien bis an ihr Ende denken, sagt Gauweiler in typischer AfD-Manier dazu: „Wir müssen Aussagen zuspitzen, um hörbar zu werden“: „Fiction is Reality“.

Foto: Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

Die politischen Entwicklungen in den USA, in Polen und Ungarn zeigen gerade, dass demokratische Systeme und ihre Freiheiten anfällig sein können, wenn ihr ureigentliches Glücksversprechen an Glaubhaftigkeit verliert. Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe fordert inzwischen, dass auch die Linke mit populistischen Thesen auftreten müsse, um der Rechten Paroli bieten zu können. Gewinnen werde die Seite, die am ehesten benennen kann, in welchen Bereichen der Mensch einen Platz findet, der nicht bereits von der Marktwirtschaft besetzt ist. Auch Mouffe glaubt an eine Zukunft der Demokratie: „Wenn wir die Krise der Demokratie überwinden wollen, müssen wir Grundelemente der demokratischen Entscheidung wiedereinführen.“ Das allerdings setze eine neue Gesellschaft voraus, die sich der Errungenschaften dieser Gesellschaftsform von neuem bewusst werde.

Damit sind tatsächlich zwei wichtige Ankerpunkte eines gesellschaftlichen und politischen Umdenkens benannt. Wir müssen eine Politik entwickeln, die die Ziele des Landes, in dem wir leben, in der globalisierten Welt genau benennt, vermittelt und nachvollziehbar verfolgt. Wir brauchen dafür eine Mentalität, die Ehrlichkeit in der Politik als wichtigste Eigenschaft eines Gewählten begreift und von den falschen Botschaften der post-faktischen Posaunenengel zu unterscheiden weiß. Die gewählten Vertreter der Demokratie müssen dafür verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Wie das gelingen kann, weiß im Moment wahrscheinlich niemand ganz genau. Deshalb ist es an der Zeit, sich mit allem Ernst und allem Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht, daran zu machen. Denn ob sich die Demokratie, so wie wir sie durch das Grundgesetz als Verheißung eines freien und selbstbestimmten Lebens verstehen müssen, aus sich selbst so erneuern kann, entscheiden letztlich: wir.

Andreas Denk

Der erste Teil dieses Kommentars erschien unter dem Titel „ritter, tod und teufel“ in der architekt 6/16. Foto: Andreas Denk.

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