editorial

ritter, tod und teufel

Der deutsch-französische Publizist und Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit sprach neulich bei einer TV-Diskussion wahre Worte. Er sähe in der gegenwärtigen politischen Situation den großen Mangel, dass niemand in der Lage sei, der Emotionalisierung der Politik durch die Rechtspopulisten – nicht nur in der BRD –  entgegenzuwirken. Anstatt das Ideal einer offenen und freien Gesellschaft mit Leidenschaft zu verteidigen, starre man in Deutschland auf die AfD und staune über deren mitunter kuriosen Aussagen. Statt der Schockstarre angesichts des Erfolgs des Postfaktischen sei es längst nötig geworden, selbst zu sagen, was man möchte.

Cohn-Bendits Analyse ist richtig, geht aber nicht tief genug: Denn die Sprachlosigkeit der hiesigen Bürgergesellschaft beruht nicht nur auf Überraschung oder Unfähigkeit zur Artikulation. Sie beruht auf einer Hilflosigkeit, dem Fehlen einer großen, verbindenden Idee für den Staat, die Gesellschaft, und die einzelnen Menschen, die in ihr leben. Die Erfahrung des Neoliberalismus der achtziger und neunziger Jahre und seiner gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Folgen, das gleichzeitige Ende des „real existierenden Sozialismus“ und die damit einhergehende ideologische Alternativlosigkeit  sowie die stillschweigende allgemeine Akzeptanz des hochentwickelten Individualismus als gesellschaftspolitisches und soziales Leitbild  haben offenbar die Mehrheit der Gesellschaft zu einem Haufen positivistisch gestimmter Hedonisten werden lassen.

Bestes Symptom dieser schleichenden Entpolitisierung sind die immer ähnlicher werdenden „Volksparteien“, denen es nicht nur an großen Unterschieden, sondern an großen Ideen mangelt. Allein die Lektüre des Programms, mit dem die Kanzleramtsverteidigerin Merkel in den Wahlkampf ziehen will, ist zum Weinen: „Weiter so“, heißt die Parole, als ob es Altersarmut, Klimawandel, Migration, Segregation und soziale Schere und Entfremdung als gesellschaftliche Probleme nicht gäbe. Dass es sie gibt, merkt indes jeder: Kein Wunder, dass bei solch intrinsischem Politikgebaren bei manchen oder vielen ein Verlust der Orientierung in einer immer unübersichtlicher werdenden globalisierten Welt eintritt, dass Menschen angesichts einer Unzahl möglicher Erklärungen um ihre Besitztümer, ihre Arbeit, ihre Rente, um das Wohl ihrer Kinder, und um die Zukunft fürchten. Es ist ein bisschen wie bei der Deutschen Bundesbahn: Wenn ein Zug nicht kommt, sucht man in der Regel auf dem Bahnsteig vergeblich nach einem Beamten, der einem verbindlich sagen kann, warum und wieviel der Zug verspätet ist, ob er noch kommt oder ganz ausfällt.

Kurzum: Die demokratischen Parteien haben es versäumt, eine Perspektive, eine umfassende Vorstellung der Art und Weise zu vermitteln, wie sich die Gesellschaft unter wandelnden Voraussetzungen gestalten lassen kann. Nicht zuletzt der Verzicht auf ein nach dem Ende der DDR und der Sowjetunion ideologisch gebrandmarktes utopisches Denken hat die immer wieder von Merkel postulierte „Alternativlosigkeit“ politischen Handelns erst ermöglicht. Der heute oft verwendete Begriff der „zwingenden Notwendigkeit“ hat mehr noch als die legendäre „normative Kraft des Faktischen“ die Möglichkeit politischer Veränderungen durch unterschiedliche Wahlentscheidungen auf Nano-Stärke zusammenschrumpfen lassen. Dass dabei die so genannten Medien auch eine Rolle spielen, ist unbestritten. Indes ist weniger eine Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht verantwortlich als vielmehr der Overflow an nicht verifizierbaren Informationsmöglichkeiten durch Blogs und angebliche soziale Netzwerke, die nicht mehr zwischen Vermutung, Gerücht und Lüge unterscheiden, um entweder möglichst viele „Klicks“ zu erzielen oder möglichst  viele Menschen zu manipulieren. In den USA konnte Donald Trump auf medialem Weg offenbar vermitteln, dass jedes noch so krude Handeln eines spontanen Machtmenschen reizvoller sein könnte als ein „Weiter so“ mit dem „Establishment“ der Berufspolitikerin Hillary Clinton. Der Wahlsieg Trumps hat einen hohen Preis auf Kosten der Demokratie: Sein durch Populismen, Demagogien, Verdrehungen und Beschimpfungen geebneter Weg zur Macht geht eine ganz andere Richtung wie der Pfad des demokratischen Ideals, dessen Anfang zumindest wir zu kennen meinen…

Andreas Denk

Teil II dieses Kommentars erscheint unter dem Titel „posaunenengel“ in der architekt 1/17; Foto: Andreas Denk

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