Buch der Woche:

Schwimmbäder

Im diesjährigen Sommer jagt ein Hitzerekord den nächsten. Da erscheint für einige das türkisblaue Chlorwasser öffentlicher Schwimmbäder so verlockend wie nie. Für all die Architekturaffinen, die sich selbst nicht ins kühle Nass stürzen können, empfehlen wir die neue Publikation „Schwimmbäder“ von Matthias Oloew, die sich mit der 200-jährigen Geschichte des Bäderbaus beschäftigt.

Reinhold Kiehl / Heinrich Best, Stadtbad Neukölln, Berlin 1912-1914, Große Halle (ehemalige Herrenschwimmhalle), Foto: Elke A. Jung-Wolff. Das Interieur aus der Erbauungszeit ist weitgehend erhalten.

Es liege „einiges im Argen“ bei der „Betrachtung und Würdigung der Entwicklungsgeschichte der Bauaufgabe Schwimmbad“, so Autor Matthias Oloew, denn Schwimmbad-Bauten seien in den letzten Jahrzehnten nur marginal besprochen und untersucht worden. Der Mangel an wissenschaftlicher Auseinandersetzung führt unter anderem dazu, dass die Bauwerke einfacher abgerissen werden können, da die Denkmalpflege kaum fundierte Grundlagen zur Unterschutzstellung besitzen. So etwa in Essen, wo im nächsten Jahr der Rückbau des Hauptbades mit seiner markanten geknickten Glasfassade bevorsteht. Nicht nur wissenschaftlicher Selbstzweck ist es also, dass nun eine umfassende Monografie zu dem Thema geliefert wird, sondern handfester Beitrag zum Schutz der teilweise bemerkenswerten baulichen Zeugnisse.

Matthias Oloew: Schwimmbäder. 200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades. Reimer Verlag, Berlin 2019

Womit man schon bei der grundlegenden Frage angelangt ist, was die Bauaufgabe eigentlich so bedeutend macht und worin der Auftrag von Schwimmbädern liegt. Bereits hier offenbaren sich die fundamentalen Wandlungen, die unsere Gesellschaft innerhalb der letzten beiden Jahrhunderte erfahren hat. Wie die Publikation zeigt, standen im 19. Jahrhundert Körperpflege und Gesundheit im Vordergrund, was beispielsweise aus einer Resolution des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege hervorgeht: „Eine wichtige Aufgabe der praktischen Hygiene besteht darin, die Reinigung des Körpers durch Bäder volksthümlich zu machen. Zu diesem Zwecke muss die systematische Vermehrung der Badegelegenheiten, namentlich von Brausebädern, Hand in Hand gehen mit durchgreifender Anregung zur Ausnutzung derselben.“ Gerade die Gesundheitsvorsorge für ärmere Menschen stand bei diesem eher pragmatischen Ansinnen im Fokus. Erst um die Jahrhundertwende verschob sich der Schwerpunkt auf den Sport und damit die Verbindung von Bewegung und Freizeitgestaltung – Schwimmbecken wurden nun wichtiger und verdrängten die Reinigungsbäder.

Carlo Jelkmann, Rudolf Gleye, Heinrich Tessenow, Stadtbad Mitte, Berlin 1927-1930, Foto: Elke A. Jung-Wolff

Auch hätten die öffentlichen Bäder im Ansatz vorweggenommen, „was politisch erst nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt wird“, so Oloew, nämlich „die Demokratisierung der Gesellschaft“. Somit waren sie nun „eine Vorsorgeeinrichtung für das ganze Volk“. Die Gebäude selbst werden in der Zeit des Historismus auch Teil der städtischen Repräsentationsarchitekturen, sie erinnern etwa im Innern an Basiliken, besitzen aufwendiges Dekor und knüpfen teilweise auch an antike Ausstattungsformen an. In der Zwischenkriegszeit näherte sich der Hallenbadbau immer mehr dem Industriebau an – gerade durch den auftretenden Wunsch, eine stärkere Verbindung zwischen Außen und Innen herzustellen sowie Licht und Luft in die Bäder zu lassen.

Dass zum „gesunden Volkskörper“ schließlich doch nicht alle Menschen gleichermaßen gezählt wurden, zeigte sich bereits seit 1900 im Bäder-Antisemitismus in deutschen Kur- und Badeorten, im Zuge dessen Juden in den Urlaubsorten ausgegrenzt und diskriminiert wurden. Ob der Antisemitismus auch in Schwimmbädern eine Rolle spielte, wird in der Publikation nicht thematisiert, hier wird eher auf die Bedeutungsverschiebung der Einrichtungen im Nationalsozialismus hingewiesen: Als „Stätten der Zucht statt der Lebensfreude“ werden sie nun zu Bausteinen im Ertüchtigungs- und Erziehungsapparat des autoritären Staates. Die Bausprache unterscheidet sich jedoch nicht großartig von dem, was in der Weimarer Republik gebaut wurde, hier bewahrte sich eine großzügige Sachlichkeit.

Den eigentlichen Schwerpunkt des Buches stellt jedoch die Zeit nach 1945 dar, in der zahllose Schwimmbäder errichtet worden sind. Für die Nachkriegszeit, die der Darstellung nach ein Kontinuum bis heute darstellt, schafft Oloew in über 200 Seiten eine Kategorisierung, die von Sommerbädern, Stadtbädern, über „Schwimmpaläste“ ,„Normalbäder“ und Hallenfreibäder bis hin zur Badelandschaft reicht. Jeder Typus wird mit einer ganzen Reihe von Beispielbauten erläutert, was den enormen Rechercheaufwand der Veröffentlichung veranschaulicht.

Stadtbad Wuppertal „Schwimmoper“, Wuppertal 1957

Dabei stellt der Autor auch die Frage nach den sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die den Wandel der Bauformen bedingen. Wie Oloew darstellt, ist dabei heute gerade das „schöne Erlebnis“ in der individualisierten Erlebnisgesellschaft von großer Bedeutung, wobei er den Begriff der Daseinsvorsorge in Stellung bringt. Daseinsvorsorge – ein zentrales Thema in Bezug auf die öffentliche Bauaufgabe des Schwimmbads – sei heute, dafür plädiert der Autor, als eine Erfüllung möglichst pluraler Bedürfnisse zu verstehen. Denn damit könne die integrative Kraft der Bauaufgabe voll ausgeschöpft werden. Für diejenigen, die sich ein reich bebildertes Fotobuch ersehnt haben, ist der Band insgesamt vielleicht weniger interessant; für alle aber, die einen Blick über den architektonischen Beckenrand hinaus werfen wollen, bietet er jedoch viele interessante Erkenntnisse.
Elina Potratz

Matthias Oloew: Schwimmbäder. 200 Jahre Architekturgeschichte des öffentlichen Bades. 392 S. m. 22 Farb- u. 234 sw-Abb., 79,– Euro, Reimer Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-496-01617-5

 

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