Plädoyer für einen Paradigmenwechsel

Sparen oder gewinnen?

Die Debatte um die Sparsamkeit wird uns schon über einen längeren Zeitraum hinweg mit Macht ins Bewusstsein gedrückt. Vor allem von Seiten der Politik, wenn man das tägliche Krisenpalaver verfolgt. Die Bundesregierung redet vom ‚Sparpaket‘ und erweitert damit das Vokabular vom Sparbuch, Sparstrumpf, Sparschwein; von der Sparlampe bis zur Energieeinsparverordnung – eine staatlich beschlossene Verordnung über das Sparen von Energien.

Energien-Sparen, ein psychischer Defekt? Warum brauchen wir Verordnungen über das Sparen und nicht darüber, wie wir Energien gewinnen? Als Beispiel sei die gesamte Gesundheitsvorsorge mit den vielfachen Sportaktivitäten genannt, die hauptsächlich dazu da ist, Energien zu sammeln.

Dieses verordnete Energiesparen hat jedoch einen entscheidenden Fehler: Wir haben so viele im Überfluss vorhandene solare Energien, dass wir uns fragen müssen, warum es dieses eigenartige Absurdum einer Sparverordnung überhaupt geben muss.

Haben wir etwa ein Problem mit dem Sparen? Ist Sparen nicht auch eine besonders subtile Form von Angst? Die Kunst der Reduktion ist, was das Planen und Bauen angeht, oftmals mit einem erheblichen Mehraufwand an Hirn und Herz verbunden; im sparsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur ist eine besondere Art von Sorgfalt erforderlich. Unsere Koch- und Esskultur baute bislang immer auf einem sorgfältigen und sparsamen Umgang mit Lebensmitteln auf. Die regionale Küche hat ihre Spezialitäten oftmals auf einer besonderen Art von Resteverwertung gegründet.

So sind die Brotsuppen und Semmelknödel entstanden. Das wird wohl niemand ernsthaft als Konsumverzicht oder Kostenreduzierung empfinden. Diese Tugenden sind über die pervertierte industrielle Fertigung von Lebensmitteln verloren gegangen. Die Folgen münden in der Vernichtung dieses Überflusses – und dies angesichts des Hungers in der Welt.

Während das Sparen beim Autofahren vermeintlich unsere Freiheit raubt, müssen wir feststellen, dass es wohl kaum etwas Irrationaleres gibt, als über dieses Thema nachzudenken. Vor allem aus der Sicht der Planer und Architekten. Unter bestimmten Aspekten wird Sparen auch als ästhetische Erfahrung wahrgenommen. Doch das Spannendere ist und bleibt das Gewinnen.

Sieht man von der wöchentlichen Ziehung der Lottozahlen einmal ab, könnte Gewinnen wirklich das Zukunftsthema der Architektur und des Städtebauens werden. Denn allein das Gewinnen von Energien und die Ideen dazu bieten erheblich mehr Erfindungs- und Gestaltungspotentiale als die Langweiligkeit der Verschönerungsindustrie der ihrer dicken Packung aus Styropor oder Mineralwolle. Dieser Anreiz wird nur dann noch größer, wenn wir auch anstreben, die alten Strukturen des Bauens abzurufen, um das Gewinnen mit architektonischen Mitteln voranzutreiben. Denn das Gestalten mit der aufgesetzten Technik kann letztlich jeder – und dieses befördert lediglich die leidige Diskussion, ob Architektur Kunst sei oder Technik.

Hatten wir der technischen Ausrüstung, kurz TGA genannt, nicht schon einmal die Oberhand gelassen? Mentalitätshistorisch haben wir die industrielle Revolution mit der dauerhaften Umgestaltung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände durch eisernes Sparen und kluges Einteilen erschaffen. Mit der gleichen Mentalität wurden die Folgen der beiden Weltkriege überwunden.

Der andere Blick auf das Energie-Gewinnen könnte einen Paradigmenwechsel im Bewusstsein befördern, dessen Ausblick auf Architektur und Städtebau jedenfalls andere Perspektiven eröffnet als die Welt des Abschottens und Dichtens, des Einhüllens und Verbergens, des Verpackens und Verkleinerns.
Günter Pfeifer

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