16 Stationen. Wanderungen im Remstal

Station 4+5: Schwäbisch Gmünd bis Lorch

Station 4: Schwäbisch Gmünd
Florian Nagler Architekten, München
Geokoordinaten: 48.805220, 9.792834

Florian Nagler Architekten, Schwäbisch Gmünd, Foto: Andreas Denk

Oberhalb von Schwäbisch Gmünd, im Ortsteil Rehnenhof, hat Florian Nagler eine alte Linde zu einem Sitz-, Tanz- und Schaubaum ausgebaut. Eine einfache, handwerklich gefügte Konstruktion aus massiven Balken für die Geschossdecken und Stützen und filigranem Stabwerk für die Wandabschlüsse umgibt jetzt den Stamm des alten Baums und weist eine natürliche und zwei künstliche Plattformen aus: Die untere, auf einem alten Steinsockel aufsitzende Fläche hat der Münchner Architekt dem Verweilen und dem Picknick zugeeignet. Eine steile Treppe führt hinauf in das erste Turmgeschoss, das zum Musizieren und zum Tanz einladen soll. Damit erinnert Nagler an die alte Tradition der Tanzlinden, die insbesondere in Süddeutschland oft der Mittelpunkt dörflicher Feste und Bräuche waren. Solche oft kunstvoll geleiteten Bäume trugen meist ein Podest, damit man in der Baumkrone tanzen konnte. Bei Bedarf lassen sich die Öffnungen der neuen Tanzlinde zum Tal sogar durch Segeltuchvorhänge schließen, so dass die Festivitäten auch bei Wind und Regen stattfinden können.

Florian Nagler Architekten, Schwäbisch Gmünd, Foto: Andreas Denk

Eine weitere Treppe führt zur zweiten Plattform, die knapp unter Wipfelhöhe der alten Linde ansetzt und unter dem Blätterdach einen grandiosen Blick auf die Altstadt von Schwäbisch Gmünd und das Vorland der Schwäbischen Alb eröffnet, das mit grünen Hügeln am Horizont ihren Abschluss findet. Florian Nagler ist mit seinem Bauwerk nicht nur die originelle Wiederbelebung einer alten Tradition gelungen, sondern auch eine vielfältig nutzbare Architektur, die das Leben des Ortes bereichern wird. Mehrere Kisten mit Leergut deuten schon jetzt darauf hin, dass sich die Möglichkeiten von Naglers schönem soziokulturellen Bauwerk bereits in interessierten jugendlichen Kreisen herumgesprochen haben. Besser kann es nicht laufen.

Florian Nagler Architekten, Schwäbisch Gmünd, Foto: Andreas Denk

Station 5: Lorch
Hild und K Architekten BDA, München
Geokoordinaten: 48.799287, 9.704608

Hild und K Architekten BDA, Lorch, Foto: Andreas Denk

Auf dem Gelände des romanischen Klosters in Lorch, dem Familienkloster der Hohenzollern, steht der sogenannte „Luginsland“, ein bewohntes Fachwerkhaus, das einstmals, hoch über dem Tal gelegen, wahrscheinlich zur Überwachung der Fernhandelsstraße gedient hat. Dionys Ottl, Partner von Andreas Hild und Matthias Haber bei Hild und K, schlug vor, das Gebäude mit einer neuen, dem Thema gemäßen weißen Fassade auszustatten. Dafür haben die Architekten die Bürgerschaft Lorchs aktiviert. 55 Frauen aus der Heimstiftung des Klosters, aus Schulen, aus Institutionen und Vereinen der Stadt und andere Ehrenamtliche haben mit einer groben Strickware aus wetterfesten Nylontauen in genau vorbereiteter Größe Ornamente, Bilder und Schriftteile gestrickt, die über dem Obergeschoss und dem Dach des Hauses zu einem textilen Überwurf zusammengesetzt worden sind. Der weiße Umhang hebt das Gebäude durch sein „All-over“ aus seiner Umgebung hervor und belebt das architektonische Thema der Bekleidung – ein Problem, das das Münchner Architekturbüro auch bei anderen Bauaufgaben immer wieder beschäftigt hat – mit einer originellen Variante.

Hild und K Architekten BDA, Lorch, Foto: Andreas Denk

Zugleich ist die „Klosterarbeit“ eine feine Erinnerung an die in Klöstern gepflegte Handarbeit. Sie vermittelt mit einer klugen Form der Bürgerbeteiligung nicht nur die Idee der Architekten, sondern dürfte auch Jórun Ragnarsdóttirs Konzept der „16 Stationen“ nachhaltig in der Erinnerung von Stadt und Region verankern. Nach dem Ende der Gartenschau soll die „Vorhangfassade“ zur Hülle eines Aussichtspavillons in der Form des „Luginslands“ im Klosterbezirk werden.
Andreas Denk

Hild und K Architekten BDA, Lorch, Foto: Andreas Denk

Andreas Denk erforscht in seinem architektonischen Reisetagebuch die 16 „Stationen“ im Remstal und kommentiert die architektonischen Erzeugnisse, die die ungewöhnliche Gartenschau im Schwäbischen hervorgebracht hat. Die bisherigen Stationen finden sich hier:
Station 0: Im Remstal. Ein architektonisches Reisetagebuch
Station 1: Essingen
Station 2+3: Mögglingen bis Böbingen an der Rems

Remstal Gartenschau 2019
bis 20. Oktober 2019
Die meisten Gartenschauflächen sind zu jeder Zeit für die Gartenschau-Besucher geöffnet.
Weitere Informationen unter:
www.remstal.de

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert