16 Stationen. Wanderungen im Remstal

Station 0: Im Remstal

Ein architektonisches Reisetagebuch

Warum bewirbt sich eine wunderbare Flusslandschaft, in der kleine Städte, Fachwerkhäuser, Streuobstwiesen, Maisfelder und Weinberge das Landschaftsbild prägen, um eine Gartenschau? Das fragt man sich, wenn man von Stuttgart in das westlich gelegene Remstal einfährt. Was könnte nachhaltiger sein als der schwäbische Regionalismus, bei dem Landschaft, Architektur und Wirtschaftsweisen wahrscheinlich immer schon eine bodenständige Mentalität begründet haben, die die Menschen des Remstals bis heute prägt?

Doch der Weg ins Tal führt durch die Stuttgarter Peripherie. Er zeigt die Probleme, die aus der Verschmelzung von Metropole und Umland resultieren: die schier nicht eindämmbare Ausweitung des „Speckgürtels“ mit seinen antiurbanen Siedlungsstrukturen, die Zentrumslosigkeit der Siedlungen, die mediokren Einfamilienhausagglomerate und die nur an Verkehrsgunst, Rendite und Gewinn orientierten, zufällig erscheinenden Ansiedlungen von Industrie, Gewerbe und Handel. Das trifft inzwischen auch das nur noch stellenweise idyllische Remstal, denn die Bundesstraße B 29, die durch das Tal führt, ist hier Entwicklungsträger der von den Kommunen allzu sehr erwünschten Ökonomisierung der Landschaft, aber auch Verursacher einer unerhörten Landzerstörung.

Remstal 2019, Foto: Andreas Denk

Remstal Gartenschau 2019
Diese Entwicklung war offenbar Grund genug für die Bürgermeister der 16 Städte und Gemeinden im Tal, darüber nachzudenken, was man zur Stabilisierung und Verbesserung der Situation tun könnte. Sie nutzten die Möglichkeit zu einer „kleinen Gartenschau“, die in Baden-Württemberg immer zwischen zwei Landesgartenschauen veranstaltet wird, um etliche, für Gartenschauen typische landschaftliche Verbesserungen am Fluss – Renaturierungen, Begrünungen, Parkanlagen, Freizeiteinrichtungen und dergleichen mehr oder weniger sinnvolle Dinge – vorzunehmen. Am interessantesten jedoch scheint ein ungewöhnliches architektonisches Projekt: Unter dem Titel „16 Stationen“ haben die Gemeinden ebenso viele Bauwerke bei Architekten aus ganz Deutschland in Auftrag gegeben, die die Stuttgarter Architektin Jórunn Ragnarsdóttir als Kuratorin ausgesucht und begleitet hat. Jede Gartenschau-Gemeinde bekam eins der ausgewählten Architekturbüros zugelost, darunter Schulz und Schulz, Staab, Brandlhuber, Hild, Schröder, Nagler und andere mehr. Jedes Büro konnte für einen selbstgewählten Ort eine spezifische Landmarke entwerfen, die entlang eines imaginären Wegs die Gemeinden an der Rems miteinander verbinden sollten.

16 Stationen
Im Dezember 2016 trafen sich die Architekten mit den Ortsbürgermeistern zu einem Kolloquium im Remstal, bei dem die Standorte festgelegt und besichtigt wurden. Die Entwürfe der Büros wurden im Mai 2017 in Schorndorf und im Juli 2017 im Wechselraum des BDA Baden-Württemberg in Stuttgart ausgestellt. Seit Mai dieses Jahres sind die Arbeiten fertiggestellt und an ihren Orten zu besichtigen.

Mit der Annäherung an die Bauwerke stellen sich Fragen: Was haben die 16 „Follies“ eigentlich mit der Remstal-Realität zu tun? Sind die Landmarken tatsächlich Identitätsträger oder können sie es werden? Und was verstehen Architekten heute unter Ortsspezifik?

Andreas Denk erforscht die 16 „Stationen“ im Remstal und kommentiert die architektonischen Erzeugnisse, die die ungewöhnliche Gartenschau im Schwäbischen hervorgebracht hat: Seinen Weg und seine Beobachtungen dokumentieren wir in den nächsten Tagen.

Remstal Gartenschau 2019
bis 20. Oktober 2019
Die meisten Gartenschauflächen sind zu jeder Zeit für die Gartenschau-Besucher geöffnet.
Weitere Informationen unter:
www.remstal.de

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