Buch der Woche: Ruhr-Universität Bochum

Statusbericht einer Vision

1962 wurde ein Ideenwettbewerb ausgelobt, zu dem auch internationale Größen wie Ludwig Mies van der Rohe, Alvar Aalto und Walter Gropius eingeladen waren. Gefragt waren Lösungsansätze für die Aufgabe, wie programmatische Bildungsreformen und –konzepte am Rande Bochums ihren architektonischen Widerhall in der ersten Universitätsneugründung der Bundesrepublik Deutschland finden könnten. 85 Entwürfe wurden seinerzeit eingereicht, das Düsseldorfer Büro Hentrich, Petschnigg & Partner ging als Sieger aus dem Verfahren hervor.

Beginn der Erdarbeiten für die ersten drei Gebäude war im Januar 1964, bereits anderthalb Jahre später konnte der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Grund dafür waren unter anderem die streng rational organisierten Prozesse auf der Baustelle, wo durch einheitliche Rastermaße eine Art Fertigteil-Ortbeton-Hybrid eingesetzt werden konnte, dessen Teile zwar auf der Baustelle gegossen wurden, dann aber als immer gleiches Element für alle Bauabschnitte eingesetzt werden konnten. Die weiteren Institutsgebäude wurden entsprechend rasch in den folgenden vier Jahren fertiggestellt. Die Arbeiten im Bereich des zentralen Forums aber wurden erst weitere zwei Jahre später, 1971, angestoßen. Mit seiner Vollendung 1974 konnte die Gesamtplanung von Helmut Hentrich, Hubert Petschnigg und ihren Büropartnern vorerst als abgeschlossen angesehen werden – wenngleich wenige Jahre später auf beiden Seiten der Universitätsstraße bereits mit diversen Ergänzungen begonnen wurde.

Nichtsdestotrotz wurde die Ruhr-Universität im Herbst 2015 unter Denkmalschutz gestellt – also fast genau fünfzig Jahre nach Beginn des Lehrbetriebs. Konstante in dieser Ära waren die steten Diskussionen, die das Projekt in vielerlei Hinsicht umrankten. Anlässlich dieses fünfzigjährigen Bestehens der Institution Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben die Kunsthistoriker Cornelia Jöchner, Richard Hoppe-Sailer und Frank Schmitz im Berliner Gebrüder-Mann-Verlag ein umfangreiches Kompendium über diese bis heute kontrovers diskutierte Bildungseinrichtung herausgegeben. Eine wahre Fülle wissenschaftlicher Essays versammelt das Buch „Ruhr-Universität Bochum – Architekturvision der Nachkriegsmoderne“: Auf gut 350 Seiten finden sich Beiträge von Alexandra Apfelbaum, Christof Baier, Dorothee Böhm, Till Briegleb, Dietrich Erben, Olaf Gisbertz, Hans Hanke, Sonja Hnilica, Richard Hoppe-Sailer, Markus Jager, Cornelia Jöchner, Elmar Kossel, Jörg Lorenz, Anna Minta, Stefan Muthesius, Yvonne Northemann, Klaus Jan Philipp, Carsten Ruhl, Frank Schmitz, Elisabetz Szymczyk, Annette Urban und Kerstin Wittmann-Englert sowie zahlreiche Fotografien.

Aus diesem Füllhorn von Texten ragen einige hervor – gut sind sie alle. Bemerkenswert sind da zum einen die Interviews mit Protagonisten der Ruhr-Universität, um die das Buch angereichert ist. Etwa das Gespräch mit Wolfgang Pehnt – der selbst an der RUB lehrte –, in dem der renommierte Analytiker deutscher Architektur den Bau und seine Geschichte ebenso angenehm differenziert wie fachlich kompetent einordnet und mit einigen persönlichen Anekdoten aus der Zeit seiner eigenen Lehre vor Ort anreichert. Auch die als „Architekturkritik“ überschriebene Baubeschreibung von Till Briegleb ist lesenswert, ordnet sie doch die Um- und Neuplanungen der vergangenen Jahre in Relation zum Bestand ein – das Urteil fällt nicht unbedingt zugunsten der Neubauten aus. Der Stuttgarter Architekturhistoriker Klaus-Jan Philipp wiederum seziert die Trias aus Entstehungszeit, Typologie und Materialität, in der die Ruhr-Universität – wie andere Hochschulbauten auch – einzuordnen ist, und kommt in einem feinen Textfluss zu dem Schluss, dass Material und Typus in einem unmittelbaren Zusammenhang zu sehen sind – nicht nur wegen der semantischen Qualitäten des verwendeten Betons.

Ausführlich wird zudem die Freiraumgestaltung von Georg Penker begutachtet. Auch Penker selbst kommt in einem Interview zu Wort. Ein ganzes Kapitel widmet sich der Kunst, die die Bauten in den Innen- wie Außenräumen bereichert und als Teil der „Kunstsammlung der Ruhr-Universität“ in einer eigenen, sehenswerten Sammlung zusammengeführt ist. Ein sich anschließender Teil porträtiert auf rund sechzig Seiten die einzelnen Bauten auf dem Areal der Ruhr-Universität. Von der ehemaligen Mensa von Bruno Lambart, der heutigen „Blue-Box“ der Hochschule Bochum, über die Institutsbauten von Eller Moser Walter + Partner bis hin zum zentralen Audimax von Hentrich, Petschnigg & Partner. Das ansonsten durchweg mit Schwarz-Weiß-Fotos bebilderte Buch wird schließlich mit einem knappen Farbtafelteil abgerundet. Diese – produktionstechnisch sicher nachvollziehbare – Aufteilung ist neben dem arg trockenen Layout der Wermutstropfen dieser inhaltlich so überzeugenden Publikation. Durch diese beiden Stilmittel aber bekommt das Buch eine sehr wissenschaftliche Anmutung, die ihrer Entstehung und ihrer sachlichen Fundierung wohl gerecht wird, beim Lesen und Anschauen aber wenig Freude bereitet.

Dennoch ist das Buch in seiner Zusammenschau aus fundierter historischer Aufarbeitung, architekturgeschichtlicher Einbettung, theoretischem Hinterfragen, kritischer Beschreibung und analytischer Bestandsaufnahme ein Werk, das weit mehr ist als übliche Publikationen, die sich einzig einem Projekt annehmen. Nicht nur für Fans der Architektur der 1960er und -70er Jahre (mit Hang zum Brutalismus) ist dieses Buch eine wahre Fundgrube.

David Kasparek

Richard Hoppe-Sailer, Cornelia Jöchner und Frank Schmitz (Hrsg.): Ruhr-Universität Bochum – Architekturvision der Nachkriegsmoderne, 352 S., 29 farb. und 230 sw-Abbildungen, Hardcover, 79,- Euro, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-7861-2744-4

Fotos: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW/Thorsten Koch, RUB

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hatten wir die Ruhr-Universität an den Ruhrschnellweg verlegt, tatsächlich handelt es sich bei der genannten Straße um die Universitätsstraße. Wir haben den Fehler korrigiert.

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Ein Gedanke zu “Statusbericht einer Vision

  1. Vielen Dank für den schöen und informative Text, der leider zwei Fehler enthält: 1) nicht in den Ingenieurwissenschten wurde der Lehrbetrieb aufgenommen, sondern in geites- und sozialwissenschaftlichen Fächer – allerdings in Gebäuden, die später, nach Fertigstellung der übrigen Gebäude den Ingenieuwissenschaftlichen Fächern zugeteilt worden sind. 2) die Ruhr-Uni ist mehrere Kilometer südlich des Ruhrschnellwegs angesiedelt, so dass der Hinweis auf „Ergänzungen auf dessen beiden Seiten“ fehl am Platz ist. Mit freundlichen Grüßen Josef König

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