Buch der Woche: Der Himmel unter West-Berlin

Underground Pop

Wie schön muss es gewesen sein, als man beim Bau der ersten U-Bahnsysteme realisierte, dass damit nun eine bisher unbekannte Gattung des öffentlichen Raums gestalterisch bespielt werden konnte. Durch die mit dem unterirdischen Verkehrsmittel verbundenen, neuen räumlichen Situationen – Eingänge, Treppen, Verteilerebenen und Bahnsteige – tat sich hier eine völlig neuartige Typologie auf, die fast ausschließlich aus einem abgekapselten „Innen“ besteht, ausgehöhlt aus dem Festkörper des Erdreichs und in gewissem Maße entkoppelt von der überirdischen städtischen Welt.

Nicht überall und zu jeder Zeit wurde das Potential und die Besonderheit dieser untergründigen Orte in der architektonischen Ausgestaltung gänzlich ausgeschöpft. Während auf der einen Seite die berühmte Moskauer Metro steht, die mit palastartiger Ausstattung des Massentransportmittels eine propagandistische Meisterleistung vollbrachte, so wurde etwa im Westberlin der Nachkriegsjahre eine funktional-sachliche Sprache bemüht. Die Publikation „Der Himmel unter Westberlin“ von Verena Pfeiffer-Kloss präsentiert nun die wechselhafte Geschichte der Westberliner U-Bahnhofgeschichte, die überraschenderweise im Großteil von nur einem Architekten geprägt wurde: dem Baudirektor Rainer G. Rümmler.

Konstanzer Straße: Landesdenkmalamt Berlin, W. Bittner

Eine beachtenswerte Leistung der Autorin ist dabei zum einen die Erfassung der insgesamt 58 von 76 Stationen, die Rainer G. Rümmler zwischen 1959 und 1994 entwarf. Wie ein einzelner Architekt so enormen Einfluss auf den gebauten Raum einer Stadt nehmen konnte (Rümmler schuf nebenbei auch über hundert überirdische Bauten), ist nur durch seine Tätigkeit in der Senatsbauverwaltung zu erklären. Lange war es gang und gäbe, dass Projekte komplett aus der Hand des Senats stammten – während heute sicher der Vorwurf der Mauschelei zu vernehmen wäre. Pfeiffer-Kloss hat nun alle Rümmlerschen Stationen mit ihren wichtigsten Daten und Gestaltungsideen sowie Fotografien erfasst und diese katalogartig in ihrer Publikation aufbereitet – jede U-Bahn-Haltestelle wird auf einer Seite präsentiert und somit vergleichbar gemacht. Die Katalogabschnitte, die auf mehrere Blöcke im Buch verteilt sind, richten sich dabei nach zeitlichen und gestalterischen Phasen des Architekten. Die den Katalogteil umgebenden Textteile des Buches beschreiben die Entwicklung der Berliner Untergrund-Architekturen schließlich im Detail: Während die frühen Stationen der 1960er Jahre recht zurückhaltend mit farbigen Riemchen verkleidet wurden, zeichnete sich Ende der 1960er der Umschwung zur knallbunten Pop Art-Gestaltung ab. Zunächst wurden dabei lackierte Eternitplatten für großflächige Farbwirkungen genutzt – laut Pfeiffer-Kloss in zeitlichem Zusammenhang zur Farbfeldmalerei von Künstlern wie Yves Klein.

Adenauer Platz Bahnsteig im Ursprungszustand 1978: BVG Archiv

Im Laufe der 1970er Jahre wurden die Stationen zunehmend als Unikate aufgefasst, mit ganz eigenwilligen Ausgestaltungen von Hintergleiswänden, Pfeilern, Decken und Eingangsgebäuden als „Ausdruck von Aufschwung, Selbstbewusstsein und künstlerischem Avantgardismus“. Besonders kontrovers wurde der Bahnhof Fehrbelliner Platz Anfang der 1970er Jahre diskutiert, der mit seinem leuchtend roten, skulpturalen Pop-Art Pavillon innerhalb der umgebenden Bebauung aus der NS-Zeit ein bauliches Ausrufezeichen setzte. Großformatige, poppige Ornamentik wird an anderer Stelle verbunden mit symbolischen Elementen – etwa der Flagge Norwegens an der Haltestelle Osloer Straße.

Stützen Altstadt Spandau: Verena Pfeiffer-Kloss

Nach einer kurzen Phase Ende der 1970er Jahre mit großflächigen Keramikfliesen-Ornamenten, denen man Banalität vorwarf, trat Rümmler mit seinen überbordenden postmodernen Untergrundarchitekturen in eine letzte gestalterische Phase ein. Bezüge zu Geschichte und Umgebung waren nun gefragt: Die Bahnhöfe sind voll von zeichenhaften Anspielungen – an der Haltestelle Rohrdamm etwa verweisen die Wandbilder mit Zahnrädern und Zangen auf die Siemenswerke oberhalb der Station. Wie an diesen letzten Stationen Rümmlers an der Linie U7 (die vor kurzem unter Denkmalschutz gestellt wurden) noch einmal deutlich wird, möchte Rümmler „unverwechselbare Orte“ schaffen, die Identifikation, aber auch schnelle Erkennbarkeit durch die Fahrgäste während der Einfahrt ermöglichen.

Wie Pfeiffer-Kloss darlegt, bilden sich in Rümmlers U-Bahnhöfen mehrere Jahrzehnte der Architekturgeschichte ab, in denen der Architekt immer wieder mit neuen Ansätzen überraschte: „Dabei war er mal Avantgarde, mal Early Adopter; in jedem Fall war er stets am Puls der Zeit und änderte in genauer Beobachtung des Zeitgenössischen seine Formensprache“. Den Sprung heraus aus dem Spezialthema hin zu größeren Zusammenhängen der Geschichte von Architektur, Verkehrsplanung, Kunst und Gesellschaft gelingt der Autorin durchweg, dabei erspart sie dem Leser einen unkritischen Lobgesang auf Rümmler und schafft dennoch Sensibilität für die Qualitäten der Orte – zusammen mit der tollen Layout-Gestaltung eine durchweg gelungene Blickfeld-Erweiterung auf unsere unterirdischen Alltagswelten.

Elina Potratz

Verena Pfeiffer-Kloss: Der Himmel unter West-Berlin. Die post-sachlichen U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer G. Rümmler, 384 Seiten, urbanophil Verlag, Berlin 2019, ISBN: 978-3982-0586-0-3

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