Wall, Rauch, Gursky

Ungleiche Gesellschaft

Drei Bilderschöpfer sind in der Hannoveraner Kestnergesellschaft versammelt, die in dieser Kombination zuvor noch nie zu sehen waren: Es handelt sich um die Fotografen Jeff Wall und Andreas Gursky und den Maler Neo Rauch.

Das Eingangsbild bringt sie zusammen: Gurskys Fotografien „Lehmbruck I“ und „II“ von 2013/14 zeigen den Glaskubus im Duisburger Lehmbruckmuseum, in dem – wie immer bei Gursky dank nachträglicher Retuschen – das Who is Who moderner Skulpteure versammelt ist. Die „Metallic Venus“ von Jeff Koons kann man hier erkennen, auch Arbeiten von Alexander Calder, Duane Hanson, Wilhelm Lehmbruck und Aristide Maillol. Dazwischen steht – und damit schließt sich der Kreis zum Gezeigten in der Kestnergesellschaft – Neo Rauchs Bronzeskulptur„Nachhut“ und an der Wand hängt ein Leuchtkasten von Jeff Wall. Die Plastik von Neo Rauch ist quasi aus dem Foto in die „reale“ Welt transferiert worden und begrüßt den Ausstellungsbesucher gleich in der Ausstellungshalle. Das Gursky-Bild zitiert Kunstgeschichte und demonstriert auf der zweiten Ebene die Zeigefunktion des Museums: Er zeigt etwas im Bild, das selbst eine Zeigesituation (die Kunstschätze des Lehmbruckmuseums) darstellt. Das Foto selbst ist ein materielles Objekt an der gebauten Ausstellungswand, das beleuchtet werden muss, um sichtbar zu sein, das aber auch konserviert werden muss, um in ferner Zukunft noch existent zu sein und in den musealen Kreislauf des Bewahrens und Ausstellens aufgenommen werden zu können

Neo Rauch: Nachhut, Bronze, schwarz patiniert 193 x 95 x 175 cm, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, David Zwirner, New York/London, Foto: Uwe Walter, Berlin

Von Gursky sind in der Ausstellung weitere großformatige Fotografien präsent. Einige bekannte wie „F1 Boxenstopp 1“ (2007) oder die für ihn typischen großformatigen Wimmelbilder mit Darstellungen von in Produktionsabläufe eingebundenen Menschenmassen, die Teil eines Bildmusters werden. Dazu kommen einige neue Arbeiten wie „SH I“ und „SH IV“, in denen vor aus Blockbustern entlehnten Hintergründen eine Frau mit einem Roboter knutscht und ein einsamer Spiderman in den Eckladen eines Hochhauses starrt. Die Suche des Rezipienten nach einer zweiten, womöglich gut versteckten Sinnebene scheitert indes und die Frage drängt sich auf, ob der Meister der digitalen Bildmanipulation womöglich Opfer seiner Werkzeuge und technischen Möglichkeiten geworden ist – und ob die Form nicht mittlerweile allzu vordergründig über den Inhalt triumphiert.

Jeff Walls Personal hingegen scheint dem realen Leben entlehnt. Herrlich auch die Bildtitel: Wenn zwei Männer einen schweren Motor manövrieren, heißt das Bild lakonisch „Men move an Engine Block“. Aber natürlich ist die Fotografie nie nur das, was sie zeigt, sondern weist darüber hinaus. Insbesondere Jeff Wall versteht es meisterhaft, mit der Ambivalenz zwischen Dokumentation, dem bloßem Festhalten scheinbar beiläufiger Begebenheiten und der Inszenierung und Konstruktion zu spielen. Er enttäuscht beständig die Erwartungshaltung der Betrachter an eine klar definierte Bildaussage, und oft fragt man sich, was konstruiert ist (die Antwort ist: alles!) und was nicht. „Cold Storage“ (2007) zeigt ein leeres Kühlhaus. Durch die Ästhetik – das dunkle Kühllager ist lediglich durch den fotografischen Blitz erhellt – strahlt es etwas Geheimnisvolles, Bedrohliches aus. Jeff Wall, der in der Regel von einem erlebten Ereignis ausgeht, das er dann für die Kamera rekonstruiert, hebt den Ort aus seiner vermeintlichen Bedeutungslosigkeit heraus. Die Frage, was hier nur vorgegangen sein mag, bevor er auf den Auslöser drückte, beantwortet er nicht.

Ganz hinten, beinahe versteckt in der verwinkelten Ausstellungsarchitektur, hängen Neo Rauchs kleinformatige Tusche- und Filzstiftzeichnungen. Sie haben etwas merkwürdig Entspannendes, rechnet man doch bei diesem Künstler fast zwangsläufig mit monumentalen Bildlandschaften, die sich neben den ebenso monumentalen Bildern der beiden Fotografen behaupten müssten. Die Zeichnungen haben etwas Beiläufiges, fast unterbewusst Hingezeichnetes, wobei typische Rauch-Themen und -Personen auftauchen: miteinander verstrickte Paare, moderne Fabelwesen, Figuren, deren Handeln wir nicht immer dechiffrieren können (noch sollen). Manchmal zitieren sie die Kunstgeschichte, wie etwa das Gemälde eines russischen Künstlers des Realistischen Sozialismus. Anders als Gursky, der mit seinen Zitaten einen Kanon konstruiert, verwandelt Rauch die alten Werke in genuine Neuschöpfungen und reichert sie an mit seinem Personal der halbwüchsigen Spieler und traumweltgleich Entrückten.

Juliane Richter

andreas gursky | neo rauch | jeff wall
bis 26. Oktober 2014
Täglich und an Feiertagen 11.00 – 18.00 Uhr, Do 11.00 – 20.00 Uhr, Montag geschlossen
7 Euro, ermäßigt 5 Euro, Mitglieder und ADKV 0 Euro
Kestnergesellschaft
Goseriede 11
30159 Hannover

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert