editorial

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Das Credo, dass der Architekt per se ein soziales Wesen sei, verfolgt den Berufsstand wahrscheinlich seit Anbeginn der Moderne. „Schuld“ daran sind jene Protagonisten, die im 19. und 20. Jahrhundert mit ihrer Haltung und ihren städtebaulichen Entwürfen und Bauten die Sozialreformen begleitet haben, die mit der Modernisierung und Demokratisierung unserer Gemeinwesen einhergegangen sind. Der Nimbus des gesellschaftlichen Gestalters hat dazu geführt, dass der Architekt im Deutschen Reich und der Bundesrepublik den Freien Berufen mit eigener Honorarordnung zugerechnet worden ist.

Damit hat ein staatliches Selbstverständnis Ausdruck gefunden, das den grundsätzlich gesellschaftserhaltenden Berufsständen eine besondere Rolle im Staatswesen eingeräumt hat: Wie Ärzte, Juristen, Journalisten und Ingenieure vollbringen Architekten eine Leistung mit einem idealistischen, auf das Wohl der Gesellschaft zielend Anteil; wie Gesundheitspflege, rechtliche Beratung oder unabhängige Information soll dem Bürger die Planung und der Bau seiner Wohnstatt mit gleicher Qualität zu einem feststehenden, nicht spekulativ verhandelbarem Satz möglich sein. Andersherum bedeutet die Honorarordnung auch die Ausschaltung des finanziellen Konkurrenzprinzips – und wird damit zu einem wichtigen Baustein der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik, wie sie einmal gedacht war – und im Unterschied zu einer liberalen Marktwirtschaft, wie sie in den 1990er Jahren geübt wurde: Sie soll den Architekten (und Ingenieuren) ein auskömmliches Honorar garantieren, um eine gleichberechtigte Beteiligung am Wettbewerb zu sichern und ruinöse Bieterkämpfe, Korruption und Trustbildungen zu verhindern. Das ist auch der Grund, warum Wettbewerbe nicht auf der Ebene des günstigsten Preises, sondern allein durch die Qualität der Arbeit entschieden werden sollen.

Dass in dieser langen und relativ konsequent geübten Praxis inzwischen erhebliche Fehlstellen aufgetreten sind, braucht an dieser Stelle nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Die europäische „Deregulierung“, die in der „Dienstleistungsrichtlinie“, die den freien Beruf auf eine „selbständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“ herunterbricht, einen architekturbezogenen Ausdruck gefunden hat, setzte schon vor Jahren hierzulande die unselige Diskussion um die Funktion des Architekten als „Dienstleister“ in Gang. Parallel dazu lässt sich die Fragmentierung der Tätigkeit durch andere „Dienstleister“ wie Generalunternehmer genauso als Zeichen des Niedergangs lesen wie die nicht abschließend geklärte Infragestellung der HOAI durch das europäische Wettbewerbsrecht, wie der Bedeutungsverlust des Wettbewerbswesens, wie die VOF-Vergabepraxis, wie die schleichende Einführung so genannter „Fachlisten“, wie sie beispielsweise in Baden-Württemberg schon vorliegen.

Deshalb ist es zwar wichtig und redlich, wenn sich Architekten für den Erhalt ihrer wirtschaftlichen Basis einsetzen, wie es auch der BDA mit seinem Eintreten für eine auskömmliche HOAI und für Erhalt, Vermehrung und Öffnung des Wettbewerbswesens tut. Die kontinuierliche Aushöhlung der Arbeitsbedingungen des freien Architekten indes ist nur Symptom des politischen und gesellschaftlichen Bedeutungsverlusts, den das Berufsbild des Architekten erlitten hat. Dass der freie Beruf auf Grund besonderer beruflicher Qualifikation persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig geistig-ideelle Leistungen im gemeinsamen Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit erbringt, wie der Bundesverband freier Berufe 1995 definiert hat, ist in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit mehr und mehr in Vergessenheit geraten – oder nicht mehr gewollt. Das wahre „Leistungsvermögen“ eines freien Architekten ist – seien wir ehrlich – den meisten Zeitgenossen unbekannt. Selbst gebildete Menschen gehen gelegentlich und irrtümlich davon aus, dass man den Architekten nur braucht, „damit das Ganze auch steht“ oder „damit’s auch gut aussieht“. Alles weitere erledigt das Individuum der medialisierten Wissensgesellschaft am liebsten selbst.

Insofern steht die Architektenschaft an einem Scheideweg. Der Weg des „Immer-Weiter-So“ führt wahrscheinlich zu einer weiteren Marginalisierung des Berufsstandes. Der andere Weg könnte steinig sein: Er führt zuerst zurück in die Vergangenheit, aus der sich Strategien politischen Handelns ableiten ließen, die die gesellschaftliche Bedeutung des Architekten im 20. Jahrhundert begründet haben: Der Einfluss der Architekten auf die Wirtschaft im frühen Werkbund, die Propaganda-Strategien des Bauhauses, der politisch fundamentierte Siedlungsbau von Bruno Taut, das politische Geschick von Otto Bartning, das politische Bewusstsein der Gründungsväter der BDA-Satzung von 1982 könnten Vorbilder für ein allgemeinpolitisches Mandat sein, das sich freie Architekten aneignen müssten. Nur in der Übernahme politisch-gesellschaftlicher Verantwortung, also im erneuten Nachweis, dass er per se ein soziales Wesen ist, liegt der Keim und die Hoffnung auf ein Überleben des homo architectus.

Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

 

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