Spaziergänge mit Heiner Farwick

von der aa zum see

Wieder einmal ist es Münster, wo sich die Wege von Heiner Farwick, dem Präsidenten des BDA, und von Andreas Denk, dem Chefredakteur dieser Zeitschrift, mehr als nur kreuzen. Seite an Seite sind die Herren am Flüsschen Aa entlang durch die Stadt des Westfälischen Friedens gewandelt, bis sie schließlich im  Münsterländer Regen des nach dem Fluss benannten Sees ansichtig wurden. Währenddessen haben sie gesprochen: Diesmal über das Thema der Architektur und ihren Ausdruck.

Heiner Farwick: Wenn ich mir das Ergebnis so manches Wettbewerbs anschaue,  bin ich doch über die Vielzahl sehr ähnlicher Lösungen erstaunt. Besonders das Thema relativ monotoner Lochfassaden wird gegenwärtig fast überall beliebig rezipiert, kopiert und reproduziert. Als Mitglied vieler Preisgerichte kann ich nicht umhin, ein gewisses Bedauern über den Verlust von Sprachkraft und Kontextbindung zu bedauern, die die Architektur dabei erleidet.

Andreas Denk: Das ist auch mein Eindruck. Die lapidare Ausdrucksweise der Wand mit schlichten, offensichtlich wohlgeordneten Löchern darin scheint in jeder Situation, in jedem Kontext unverfänglich. Sie gibt so etwas wie einen „modernen“ und  „sachlichen“ – also ökonomischen – Ausdruck und ist deshalb gleichermaßen bei Investoren wie auch bei  Bauräten beliebt. Zumal ein Protagonist wie Max Dudler, wie hier in Münster oder in Berlin, durch die städtebauliche, strukturelle und materielle Qualität der besten seiner Bauten so etwas wie ein Gütesiegel „Lochfassade“ entwickelt hat. Insofern hat sich dieser Fassadentyp zu einer oftmals verfangenden Verkaufsmasche „á la Dudler“ entwickelt, die die Angemessenheit der Lösung und damit ihre Aussagefähigkeit kaum noch hinterfragt. Das gilt auch für den Meister selbst.

Heiner Farwick: Der Typus der Lochfassade ist fraglos kontextuell oft richtig und in ihm stecken viele Qualitäten. Problematisch wird es dann, wenn ein Fassadentyp epigonenhaft so repliziert wird, dass er wenig mit dem Ort, mit dem städtebaulichen Umfeld zu tun hat. Da setzt die Kritik an: Die Frage, wie eine Fassadenstruktur im Hinblick auf den Ort entwickelt werden muss, ist nicht immer allein durch ein Motiv zu beantworten. Das scheint mir indes bei manchen Beispielen der letzten Jahre nicht gelungen. Wir tun damit unseren Stadtbildern keinen gefallen.

Andreas Denk: Bei der letzten „Konferenz zur Schönheit und Überlebensfähigkeit der Stadt“ in Düsseldorf im Mai war ebenfalls die Fassade das Thema, das Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne ausgerufen hatten. Im Lauf der Verhandlungen hatte ich den Eindruck, das viele der Architekten, die dort zu Wort kamen, der Diskussion um die materielle, formale, ja grafische Gestaltung der Fassade soviel Gewicht gegeben haben, dass die Frage nach ihrer Funktion gar nicht mehr gestellt wurde. Dabei sollte doch zunächst einmal die Idee der Haushülle als Verbindung unterschiedlicher Raumtypen im Entwurfsinteresse von Architekten liegen. Wie sehen Sie das?

Heiner Farwick: Es gibt sicherlich Gebäudetypen, die aus ihrer funktionalen Aufgabe heraus einen bestimmten Fassadentypus zu generieren scheinen. Trotzdem bleibt immer die Frage – auch bei diesen naheliegenden Typen –, ob nicht eine Fassade ein höheres Maß an Ausdruck haben kann oder muss, insbesondere wenn es um die Verbindungen von Innen und Außen geht. Welche inneren Strukturen spiegelt die Fassade? Wieweit sind funktionale Spezifika ablesbar? Inwieweit ist es gut, auch Dinge hinter der Fassade erkennbar zu machen? Die Überlegungen dazu können sich nicht darauf beschränken, dass man hin und wieder mal eine größere Öffnung in die Wand drückt. Es geht vielmehr darum, wie man Grundriss und Aufriss sinnvoll miteinander in Beziehung setzen kann.

Andreas Denk: Wenn wir die Stadt als Austragungsort von gesellschaftlichen Prozessen verstehen, ist das der Kern der Architektur. Es geht immer um das Verhältnis von Individuen oder Gruppen von Individuen zur Gemeinschaft, zur Gesellschaft. Dieses Verhältnis drückt sich durch das Verhältnis von gedeckten und offenen Räumen zueinander, von Innen und Außen also, architektonisch aus. Und eine „Wand mit Löchern drin“ ist schlussendlich nichts anderes als die Membran, der Filter, die Schwelle, die dieses Verhältnis wesentlich definiert.

Heiner Farwick: Damit kommen wir auf eine Funktion der Wand zurück, die erheblich fundamentaler und mehr ist als nur die, ein möglichst nachhaltiger und robuster Schutz oder Träger einer gewissen Ästhetik zu sein, womit übrigens vielerorts schon viel erreicht wäre. Fassaden haben immer einen Ausdruck – sie geben Auskunft über den Anspruch eines Bauherrn. Sie drücken bestimmte soziale Verhältnisse aus. Sie zeigen den Wunsch nach gesellschaftlicher Inklusion oder Exklusion des eigenen Lebens. Wenn wir solche Ansprüche an die Architektur nicht mehr erheben, also auf jede Tiefenentwicklung und die damit verbundene Lesbarkeit unserer Häuser verzichten, entsteht eine erschreckende Austauschbarkeit –  genau das, was wir zu Anfang unseres Gesprächs konstatiert haben.

Andreas Denk: Die „facciata“ ist ja zunächst einmal nichts anderes als der Versuch, sich verständlich zu machen, dem Haus wie mit einem Gesicht einen Ausdruck zu geben, der andere wissen lässt, welche Idee, Bedeutung, welche Stimmung mit dem verbunden ist, der diese Miene zur Schau stellt. Genauso tritt über die Fassade auch das Öffentliche mit dem Innewohnenden in Kontakt – sie definiert ein wechselseitiges Verhältnis.

Heiner Farwick: Es ist eine Diskussion notwendig über die Klärung, welche Konsequenzen die Ausbildung der Fassade für die räumliche Wirkung des Gebäudes hat. Noch wichtiger ist mir jedoch die Frage, wie  man mit der Fassadengestaltung in den öffentlichen Raum hineinwirken kann. Wie und mit welchen Mitteln können Gebäude auf bestimmte ortstypische oder ortsspezifische Eigenheiten reagieren? Können wir diesen Anspruch schon mit der Verwendung bestimmter Fassadentypen rezeptbuchmäßig lösen oder bekommen wir durch komplexeres und variableres Denken vielleicht die Chance, die Architektur unserer Städte mit noch mehr der Qualität auszustatten, die die Gesellschaft von den Architekten und natürlich auch von den Bauherren erwarten darf?

Andreas Denk: Wir müssen konsequenterweise darüber nachdenken, ob es nicht immer um visuelle oder besser: um räumliche Bezugssysteme innerhalb der Stadt geht, die wir – auch mit Hilfe von Fassaden – entwerfen und definieren können. Wir wollen jetzt nicht das lange Lied des Erlöschens der Verbindlichkeit von Säulenordnungen im 18. Jahrhundert singen. Fest steht jedoch, dass die Lesbarkeit von architektonischen Werten in der Stadt lange Zeit durch ein halbwegs allgemeinverständliches Vokabular gewährleistet war. Das hat zumindest über weite Strecken zu ihrer räumlichen Erlebbarkeit beigetragen. Glauben Sie, dass wir ein solches Vokabular in unserer multiplen Gesellschaft mit den dazu passenden Städten neu entwickeln können?

Heiner Farwick: Darin liegt eine nicht lösbare Problematik. Es gibt in unserer pluralistischen Gesellschaft keine Konvention oder gar klare Regelwerke, nach denen zu  gestalten ist. Es gibt keine allgemeinverständliche Ikonographie mehr. Wahrscheinlich wäre das auch gar nicht wünschenswert. Der Qualitätsbegriff steht aber jenseits unterschiedlicher Grundauffassungen nicht in Frage. Allerdings: Es gibt selbst in unserer Berufsgruppe keine Übereinkunft oder eine Konvention, was man wie macht – oder nicht macht. Vielmehr könnte man den Eindruck gewinnen, dass es gerade dann, wenn es um komplexere Fassadenstrukturen geht, oftmals zu einer gewissen Klitterung konstruktiv und formal nicht zusammengehörender Elemente kommt.

Andreas Denk: Trotzdem ist es hinsichtlich unseres hohen Architektenideals zu kurz gesprungen, wenn man angesichts dieser Tatsache resignierte. Wir müssen doch wenigstens versuchen, Architektur als Verständigungsversuch zu formulieren, der, wenn auch nicht unmittelbar zu „lesen“, so doch zu verstehen ist. Ort und Funktion des Bauwerks und die Identität des Auftraggebers lassen Rückschlüsse auf Elementaristik, Relief und Material der Wand des Hauses zu. Mit solchen Analysemodulen lassen sich komplexe Parameter für den Ausdruck eines Gebäudes gewinnen. Vielleicht helfen sie, unterschiedliche, von mir aus auch individuelle Ansätze zu begründen, mit denen Architekten versuchen, ihre Architektur mit einem angemessenen „Ausdruck“ auszustatten, um die Städte vor einem Architekturbrei zu bewahren, dessen Ingredienzien kaum noch voneinander zu unterscheiden sind.

Heiner Farwick: Richtig wäre jedenfalls eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Gestalt eines Gebäudes, das in eine Stadt eingefügt werden soll. Dazu gehören Überlegungen zum Umgang mit dem spezifischen Ort, mit der Räumlichkeit und mit der Materialität des Gebäudes. Natürlich sind durch neue Materialien und neue Techniken andere Ausdrucksformen entstanden, die wir beim Weiterbau der Stadt mit einer gewissen Gelassenheit betrachten müssen. Es hilft nicht weiter, andauernd verlorenen Handwerkskünsten nachzuweinen. Wir müssen solche Veränderungen und Weiterentwicklungen als Entwicklungspotential verstehen. Wir müssen trotz geänderter Produktionsmethoden im Bauen zu gültigen Ergebnissen, zu anderen Bildern, zu komplexen Raumgestaltungen in der Stadt kommen.

Andreas Denk: Wir sind nicht die einzigen, die gerade über dieses Thema nachdenken, wie diese Ausgabe unserer Zeitschrift und viele Gespräche in deren Umfeld nachweisen. Kann unser architekturtheoretischer Exkurs Auswirkungen auf die Themenfülle des BDA haben?

Heiner Farwick: Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel ein BDA-Tag zu einer solchen architekturspezifischen Thematik eine anregende Diskussion unter unseren Mitgliedern auslösen könnte. Wichtig wäre es. Vielleicht finden wir im nächsten Jahr dazu Gelegenheit…

Foto: Andreas Denk

 

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