Buch der Woche: Albert Speer

Von scheinheiligen Leichtgläubigen

Über Jahrzehnte hinweg galt Albert Speer, Hitlers Hofarchitekt und späterer Rüstungsminister, in der Öffentlichkeit als der Vorzeige-Nazi, der als unpolitischer Mitläufer von den Verbrechen des Nationalsozialismus nur „eine vage Ahnung“ gehabt haben sollte und sich, vormals verführt von Ideologie und beruflicher Erfüllung, nun endlich geläutert und reuig zeigte. Grundlage dieser Sicht waren in erster Linie seine eigenen, während der 20-jährigen Haftzeit verfassten Schriften (die „Erinnerungen“, 1969, und die „Spandauer Tagebücher“, 1975) sowie zahlreiche Zeitschriftenartikel, Interviews und nicht zuletzt die Biographien der Autoren Joachim Fest und Gitta Sereny. Wie die Forschung schon seit einiger Zeit weiß, ist die Öffentlichkeit und auch die Fachwelt damit lange Zeit bereitwillig einem geschickten Manipulator auf den Leim gegangen, der einhergehend mit der hierdurch ermöglichten moralischen Rehabilitierung eine sagenhafte zweite Karriere erlebte. Der Historiker Magnus Brechtken hat nun eine neue große Speer-Biographie vorgelegt, die zum einen endlich eine wissenschaftlich fundierte, umfassende und zugleich spannend zu lesende Gegendarstellung zu bisherigen Biographien liefert, zum anderen aber die Leichtgläubigkeit und Ignoranz der Nachkriegsgesellschaft in Bezug auf ihre verbrecherische Vergangenheit in den Fokus nimmt.

Brechtken legt dabei, unter Berücksichtigung vieler bisher unbeachteter Quellen, das gesamte Ausmaß der Tätigkeiten Speers bis 1945 offen: „als engagierter Nationalsozialist, Unterstützer Hitlers, Architekturmanager, Kriegslogistiker, Rüstungsorganisator, Mitbetreiber der NS-Rassenpolitik“ und seine Rolle „als Zentralfigur des Eroberungs- und Vernichtungskrieges“. Wie Brechtken fulminant beweist, war es dabei lediglich notwendig, die in großer Zahl vorhandenen Quellen zu konsultieren, um zu zeigen, „dass Speers Aussagen als Zeitzeuge nach 1945 durch und durch verlogen sind“. Zahlreiche Darstellungen Speers werden im Buch leichtfüßig dekonstruiert, etwa die Behauptung, Speer habe ein Attentat auf Hitler geplant oder sich schon vor Kriegsende vom Nationalsozialismus abgewandt.

Mit der Dekonstruktion von Speers Selbstdarstellungen geht ebenso die Offenlegung der Versäumnisse einher, die er bei vielen Akteuren wie etwa dem Spiegel, dem Verleger Wolf Jobst Siedler und insbesondere bei Joachim Fest konstatiert – letzterem widmet Brechtken sogar ein ganzes Kapitel unter dem Titel „Ignoranz und Wissensferne“. So hatte Joachim Fest etwa an Speers Memoiren, den „Erinnerungen“, mitgeschrieben und dessen beschönigter und teils nachweislich erlogener Autobiographie dabei den nötigen literarischen Feinschliff verliehen. Bei seiner selbst verfassten Biographie zu Speer im Jahr 1999 habe Fest, trotz längst erbrachter Gegenbeweise, „mit beinahe autistisch“ wirkendem Impetus seine Sicht auf Speer zu verteidigen gesucht. Mit dem Teil des Buches über Speers erfolgreiches Leben nach der Haftentlassung – immerhin etwa ein Drittel des Buches – legt der Autor ein Lehrstück über die deutsche NS-Bewältigung vor, bei dem deutlich wird, dass mit der Nobilitierung Speers hier ein Narrativ von „den Nazis“ als „die anderen“ aufgesogen wurde, um sich selbst zu entlasten.

Elina Potratz

Magnus Brechtken: Albert Speer. Eine deutsche Karriere, gebunden mit Schutzumschlag, 912 S., zahlr. Abb., 40, Euro, Siedler Verlag, München 2017, ISBN: 978-3-8275-0040-3

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