Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981 – 1985

Warten auf die Stadt

von Christian Holl 

Direktauftrag
Nutzung: Bürogebäude
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Dörte Gatermann, Jürgen Minkus, Federico Valda, Klaus Beckmannshagen

Nach seinen frei geformten, brutalistischen Ikonen hat Böhm auch einen kreativen Umgang mit der Bauweise in Betonfertigteilen gefunden. Ein weiteres Beispiel ist die Siedlung Talstraße in Saarbrücken.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Ed. Züblin AG

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Ed. Züblin AG

Diesen urbanen, ansprechenden Raum wünschte man sich in der City und nicht in einem unstrukturierten Neubaugebiet!“ So heißt es 1991 in einem Stuttgarter Architekturführer (1). Es scheint schwer, das große Bürogebäude seinem Standort zuzuordnen, das durch das zwischen zwei Riegeln gespannte Glasdach auch später entstandene Gebäude am Rande eines Stuttgarter Ortsteils mit seiner Präsenz dominiert. Dabei ist das Glashaus, das im Gewerbegebiet für die zunächst 700 Mitarbeiter der Baufirma Züblin einen Ort städtischer Qualität bietet, gerade an der Peripherie ein wertvoller Raum, wie man ihn in der Nachbarschaft vergeblich sucht: eine Mitte. Erweitert durch zwei Neubauten 2002 und 2012, arbeiten hier inzwischen insgesamt 1200 Menschen für Züblin, die diese Mitte nutzen. Wie aber soll man mit dieser sehr selbstbewussten Großzügigkeit umgehen, wie sie deuten? Der damalige Architekturkritiker der „Zeit“, Manfred Sack, schien sich nach der Fertigstellung unsicher gewesen zu sein. Sein Text über den Sitz der Baufirma Züblin in der zur Eröffnung erschienenen Publikation beginnt mit dem Eingeständnis, es sei „schwer, beim ersten Anblick nicht fasziniert, erschrocken oder erstaunt zu sein.“(2) Klaus-Dieter Weiß ging es nicht besser: „Oder ist es eine Werft, ein Trockendock und das eigentliche Schiff ist noch in Bau?“ Auch er meint: „Schade, dass diese vieldeutige Skulptur nicht die Innenstadt bereichert.“(3)

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Wolfgang List

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Wolfgang List

Inzwischen ist das Züblin-Haus 35 Jahre alt. Davon, dass es Böhms erstes Bürogebäude, dass die Vorgabe, es mit Betonfertigteilen zu errichten, ein enges Korsett gewesen ist, wie es im erwähnten Architekturführer steht, ist nichts zu spüren. Mögen andere nicht wissen oder gewusst haben, wie sie dieses Haus einordnen sollen: Gottfried Böhm scheint sich nicht unsicher gewesen zu sein. Das dürfte ganz im Sinne der Bauherrin, der Firma Züblin, gewesen sein. Aufgrund guter Erfahrungen in der Zusammenarbeit beim Bau der Wallfahrtskirche von Neviges (siehe S. 34-37), beeindruckt zudem vom Rathaus und dem Kindergarten in Bensberg (siehe Abb. S. 14), wurde Böhm direkt beauftragt. Insbesondere Züblin-Vorstandsmitglied Volker Hahn, treibende Kraft auf Seiten der Bauherrschaft, lag daran, mit dem eigenen Haus zu zeigen, dass das Bauen mit Betonfertigteilen hochwertig sein kann. Man wollte diese Bauweise vom verrufenen Klischee des Bauwirtschaftsfunktionalismus lösen. Das ist gelungen. Die zentrale Glashalle, die recht früh im Entwurfsprozess geboren worden war, das die Büroflügel überragende, abgewalmte Satteldach, die zu Türmen ausgebildeten, unbeheizten Treppenhäuser, den durch die Halle führenden Verbindungsstegen, die Farbigkeit des mit Eisenoxid-Pigmenten rotbraun eingefärbten Betons und eine ganze Reihe spielerischer Details sorgen dafür, dass sich einige Assoziationen einstellen mögen – die der Basilika, der Glasarchitektur des 19. Jahrhunderts, der Markt- und Messehallen oder Bahnhöfe –, mit dem Fertigteilalltag der 1970er und frühen 1980er Jahre hat das Haus nichts zu tun.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Christian Holl

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Christian Holl

Die Vorgaben waren ansonsten so pragmatisch, wie das bei einem Bürobau in der Regel bis heute üblich ist: natürlich belüftete Zellenbüros, Variabilität der Raumstruktur und vor allem: Wirtschaftlichkeit, Imagepflege hin oder her. Die Vorgaben wurden eingehalten. Für sich genommen sind die beiden Büroriegel mit ihrer Mittelgangerschließung äußerst ökonomisch, die enge Zusammenarbeit von Architekt und den Ingenieuren der Firma sorgte für eine effiziente Fertigung: Es kamen alle Stützen aus einer Schalung. Die unbeheizte Halle dient zudem als Klimapuffer und Wärmespeicher, die abgesaugte Luft kann zur Warmwasseraufbereitung eingesetzt werden. Fast 100 Meter lang sind die beiden an der Stirnseite mit zwei Terrassen abgetreppten, knapp 13 Meter breiten Riegel, sie sind in der einen Hälfte sieben, durch das nach Süden abfallende Gelände in der anderen Hälfte acht Stockwerke hoch, die Firsthöhe der 60 mal 24 Meter messenden Halle beträgt 33 Meter im Süden und 31 im Norden. Vortrags- und Sitzungssaal sowie Kantine und Cafeteria sind naheliegenderweise im Erdgeschoss zu finden, weitere kleine Sitzungszimmer finden sich in den mittleren Türmen, in den jeweils beiden äußeren liegen die Treppenhäuser. Da sich die tragenden Bauteile am Mittelflur und in der Fassade befinden, ist die Raumaufteilung prinzipiell variabel.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Wolfgang List

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Wolfgang List

Heute stehen in der Halle Tischkicker, schon seit vielen Jahren wird sie für Veranstaltungen genutzt, sie ist mit Bäumen bepflanzt, Wein rankt an den Treppentürmen hoch. Die Halle ist beliebt, mag sie sich auch im Sommer manchmal etwas zu sehr aufheizen und im Winter zu kühl sein, um in ihr sein Mittagessen einzunehmen oder einen Kaffee zu trinken. Von den inzwischen drei Bürogebäuden am Standort sei es immer noch das beliebteste, so Frau Schöttle vom Veranstaltungsmanagement.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Schnitt, aus: Ed. Züblin AG 1985, S. 84.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Schnitt, aus: Ed. Züblin AG 1985, S. 84.

Inzwischen steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Für die Nutzung des Hauses ergeben sich dadurch allerdings Einschränkungen: Anpassungen an eine andere Raumnutzung werden erschwert, Schränke in den Fluren müssen bleiben, obwohl sie leerstehen, breitere Flure, die auch anders genutzt werden könnten, sind so ausgeschlossen. Nur an wenigen Stellen konnten neue Arbeitsplatzkonstellationen, die dem zeitgemäßen Arbeiten eher entsprechen, räumlich umgesetzt werden: größere Einheiten, in denen Gruppenarbeitsbereiche und Einzelarbeitsplätze gemischt wurden.
Das Züblin-Haus hatte aber nicht nur den Anspruch, Möglichkeiten des Bauens mit Betonfertigteilen aufzuzeigen, es ging nicht nur darum, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen gerne zur Arbeit gehen. Es hatte auch einen städtebaulichen Anspruch. Das Areal liegt auf einem Grundstück zwischen zwei Ortsteilen und es konnte in den 1980er Jahren erwartet werden, dass sie zusammenwachsen würden. Die Halle ist also nicht nur als Zentrum der Firma Züblin, sondern auch als eine Nahtstelle zwischen zwei Ortsteilen gedacht. Es sei ihm sehr daran gelegen gewesen, dass der Verwaltungsbau auf beiden Seiten von Wohnhäusern begleitet wird, so Böhm 1988. Gebaut wurden allerdings nur zwei – sie flankieren wie Wachhäuser den Eingang und geben der Axialität und Symmetrie der Anlage etwas unzeitgemäß Herrschaftliches, Feudales.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Grundriss, aus: Ed. Züblin AG 1985, S. 48.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Grundriss, aus: Ed. Züblin AG 1985, S. 48.

Doch selbst wenn man sich vorstellt, dass eine Wohnbebauung in einer eher suburbanen Wiese mit ortstypischen Hausgärten, so wie es sich Böhm gedacht hatte (4), den Bau einfassen und den Straßenraum prägen würde, kann dieses städtebauliche Konzept nicht so recht überzeugen. In der suburbanen Kleinteiligkeit würde der große Verwaltungsbau wie ein fremder Koloss wirken. Als Typus wäre er städtebaulich in einem Ortszentrum zu denken und nicht als eine Verknüpfung zweier Ortsränder. Es ist sicher nicht so gemeint, dass sich die Kritiker dieses Haus in der Innenstadt wünschten, weil sie den an der Peripherie Arbeitenden diesen Ort nicht gönnen. Aber sein Potenzial wird auf diesem Grundstück, in dieser Nachbarschaft nicht ausgenützt. Die Halle ist eher ein Schutz vor der unwirtlichen Umgebung, der Umgehungsstraße, als dass sie Landschaft und Architektur, Innen und Außen miteinander verbindet. Die Idee für die begleitende Wohnbebauung und das, was von ihr realisiert wurde, betonen die Diskrepanz von Typus und Kontext mehr, als dass sie ihr entgegenwirkten.

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Ed. Züblin AG

Gottfried Böhm, Züblin-Haus, Stuttgart-Möhringen, 1981-1985, Foto: Ed. Züblin AG

Man mag all den Türmen, den Hütchen und den an Telefonkabinen aus den 1980ern erinnernden Fahrstühle der Halle, man mag dem etwas süßlichen Bodenmosaik der Fantasielandschaft mit Neviges und Zwiebeltürmchen etwas abgewinnen oder nicht – sie geben dem Haus seine Persönlichkeit und den eigenen Zauber, mag er wirken oder zu märchenhaft-orientalisch anmuten. Aber all diese Dinge wirken stark, zu stark, zu bedeutungsschwanger, weil das Haus, zu dem sie gehören, kaum ein Pendant oder Gegenüber hat, das diese Eigentümlichkeiten relativierte. Vielleicht kann noch der Nachbar, die erste der zwei Standorterweiterungen von Eike Becker Architekten (2002) ein wenig gegenhalten, aber auch er ist dafür eigentlich zu klein. So steht das Haus zu isoliert, seine dem 19. Jahrhundert ähnliche Attitüde wird nicht gespiegelt, fortgesetzt, eingebunden, die formalen Eigenheiten nicht durch andere Eigenheiten als Ausdruck von Dichte lesbar. Das ist wohl der eigentliche Grund, weswegen dieses Haus in die Innenstadt gewünscht wird. Genauso könnte man aber auch einfach mehr Stadt an diesem Standort wünschen. Dass diese Stadt bis heute fehlt, kann man dem Haus aber nicht vorwerfen. Vielleicht kommt sie ja noch.

Dipl.-Ing. Christian Holl studierte Kunst und Germanistik in Stuttgart und Münster sowie Architektur in Aachen, Florenz und Stuttgart. Er ist als freier Autor Partner von frei04 publizistik, wo er gemeinsam mit Ursula Baus und Claudia Siegele das Online-Magazin Marlowes herausgibt. Seit 2007 ist Holl Kurator und Mitglied im Ausstellungsausschuss der architekturgalerie am weißenhof und seit 2010 Geschäftsführer des BDA Hessen. Christian Holl lebt und arbeitet in Stuttgart und Frankfurt.

Anmerkungen
1 Wörner, Martin / Lupfer, Gilbert: Stuttgart. Ein Architekturführer. Berlin 1991, S. 183.
2 Sack, Manfred: Architektur aus der Fabrik oder: Der intelligente Umgang mit industriell gefertigten Bauteilen aus Beton. Gottfried Böhms Züblin-Haus in Stuttgart. In: Ed. Züblin AG (Hrsg.): Züblin-Haus. Stuttgart 1985, S. 17-29, hier S. 17.
3 Weiß, Klaus-Dieter, in: Werk, Bauen + Wohnen, Heft 12 / 1986, zitiert nach: Kähler, Gert: Architektour. Bauen in Stuttgart seit 1990. Braunschweig / Wiesbaden 1991, S. 239.
4 Zit. nach Kähler (wie Anm. 3), S. 235.

 

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert