Buch der Woche: Im Schatten von Design

Zur dunklen Seite der Gestaltung

Marc Newson ist einer der einflussreichsten Designer unserer Tage. Von der Apple Watch über Stifte für Hermes, Küchengeräte für Smeg oder Sunbeam, Schuhe für Nike und Kameras für Leica bis hin zum Markenauftritt der Airline Qantas gibt es kaum etwas, das der 1963 geborene Newson nicht gestaltet hätte. Marc Newson ist auch aus anderen Gründen eine Ausnahmeerscheinung. Als einer der wenigen Designer ist von ihm bekannt, dass er eine Waffe entworfen hat: für den italienischen Waffenhersteller Beretta nämlich. Ein Tötungsinstrument, das auf den ebenso schlichten wie technoiden Namen „486“ hört. All die anderen Dinge, mit denen weltweit getötet wird, im Krieg, bei Hinrichtungen oder in Schlachtbetrieben, sind auch gestaltet worden. Und zwar von Menschen. Irgendjemand hat sich Gedanken gemacht. Wie der Prozess am effektivsten abläuft und wie er in eine angemessene und gut zu bedienende Form gehüllt wird. Die Namen derjenigen, die Waffen, Konzentrationslager, Hinrichtungsmaschinen und dergleichen mehr entworfen haben, kennt man aber fast nie. Und das betrifft nicht nur Dinge, sondern auch Häuser.

Michael Erlhoff macht auf genau dieses „Hand in Hand“-Schreiten der beiden Disziplinen Design und Architektur in seinem letzten Buch aufmerksam. Im Mai dieses Jahres verstarb der Designtheoretiker und Gründungsdekan des Fachbereichs Design der heute als Köln International School of Design firmierenden FH Köln, einen Monat später erschien „Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite der Gestaltung“. Das Anliegen dieser, in der Reihe der Bauwelt Fundamente vorgelegten Publikation, macht Erlhoff in seiner Einleitung deutlich: „Denn lediglich Kritik, wirklich radikale Kritik inklusive – das ist sehr wichtig – Selbstkritik ist unabdingbar, Selbstbewusstsein zu entwickeln.“

In sechs Kapitel sortiert der Autor verschiedene Essays, teilweise bereits an anderer Stelle publiziert, von „Redensarten“ über „Die Macht als Design“ hin zu „Nachrufe“ (auf Design). Immer wieder verdeutlicht Erlhoff dabei, dass es sich nicht um ein Problem der Disziplin Design alleine handelt, schließt explizit an diversen Stellen auch die Architektur mit ein und hinterfragt die Rolle, die Gestalterinnen und Gestalter in systemischen Zusammenhängen einnehmen. Dabei spannt er historische Fäden, erläutert die Verflechtungen von Protagonisten des Bauhaus‘ hinein in das NS-Regime und die erschreckend grundlegend und bis ins letzte grausige Detail durchdachten Designs. Vom Einsatz von Logos über das Branding eines ganzen Landes hin zu den furchtbar zu Ende gestalteten Abläufen, die in der Shoa gipfelten. Nicht nur zeigt Erhoff hier auf, auf welchen Grundpfeilern unser bis heute gültiges Verständnis von der „guten Form“ und dem „schönen Gebrauch“ fußen, und welche Gestalter mit welchen Hintergründen diese Vorstellungen prägten, er fragt auch nach der Kraft von Normen und Verordnungen – auch und vor allem mit dem Wissen um ihre Entstehungsbedingungen.

Nie kommt das moralinsauer daher, immer aber mit dem zu Beginn formulierten Eigenanspruch, angstfrei Kritik zu äußern und so an das Verantwortungsbewusstsein von Architektinnen und Designern zu appellieren. Kritik an der eigenen Disziplin. Michael Erlhoff hat mit dieser Textsammlung keinen moralischen Kompass hinterlassen, aber eine Hilfe zur Selbstermächtigung durch Reflexion. Die teils recht kurzen Texte sind fast durchweg gut zu lesen, immer verständlich und somit allen Gestaltenden aus Design und Architektur dringend zur Lektüre empfohlen. Denn Selbstbewusstsein braucht es für gute Gestaltung, erwachsen aber kann es nur aus der Selbstkritik.
David Kasparek

Michael Erlhoff: Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite der Gestaltung, Bauwelt Fundamente Band 172, 128 S., Birkhäuser, Basel 2021, 29,95 Euro, ISBN 9783035623819

 

 

 

 

 

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