Mäusebunker und Hygieneinstitut:

Versuchsanordnung Berlin

Vom 27. August bis 24. September 2021 ist die Ausstellung der BDA Galerie Berlin „Mäusebunker & Hygieneinstitut: Versuchsanordnung Berlin“ anlässlich der Architekturbiennale Venedig auf Einladung der IUAV in deren „sala espositivo Gino Valle“ im Cotonificio Veneziano Gebäude in erweiterter Form zu sehen.
In der architekt 1/21 ist folgender Artikel des Kurators der Ausstellung, Ludwig Heimbach, zu der Berliner Version der Ausstellung erschienen.

Vom 5. September bis 22. Oktober 2020 zeigte die BDA Galerie Berlin eine Ausstellung zu zwei Berliner Ikonen der Nachkriegsmoderne, die landläufig dem „Brutalismus“ zugeordnet werden: dem „Mäusebunker“ (1966 – 1981) von Gerd und Magdalena Hänska und dem gegenüberliegenden „Hygieneinstitut“ (1967 – 1974) von Fehling + Gogel.

Anlass der Ausstellung war die akute Abrissgefährdung der beiden von der Charité genutzten Bauten. Die Ausstellung setzte diese exemplarisch für ihre Entstehungszeit und den Entstehungsort West-Berlin als Case Study in den Fokus, um die Diskussion um Fortbestand und Weiternutzung der Gebäude weiter zu beflügeln. Bereits die Ankündigung der Ausstellung im Februar 2020 hatte eine breite nationale und internationale Resonanz ausgelöst – unter anderem auch in Form einer Petition, die mittlerweile knapp 8000 Unterschriften gesammelt hat und auf change.org weiter sammelt.

Versuchsanordnung Berlin – Studierzimmer, Foto: Ludwig Heimbach

Gleichzeitig zur Fertigstellung der „Schlossattrappe“ Humboldt Forum und der Zerstörung der denkmalgeschützten Innengestaltung der Sankt Hedwigs-Kathedrale zielte die Ausstellung auf weitgreifendere Fragen: Welcher Wert wird Baudenkmalen aus der Zeit einer an den Kriegsereignissen gebrochenen heroischen Moderne beigemessen, während an anderer Stelle derzeit mutlose Scheindenkmale (wieder)errichtet werden? Welcher architektonische Substanzerhalt ist in welchem Ausmaß notwendig, um unsere kulturelle Identität zu bewahren und fortzuschreiben? Welche finanziellen Aufwendungen erscheinen der Gesellschaft hierfür „zumutbar“? Welche zuweilen als Dysfunktionalität wahrgenommenen baulichen Widerstände sind hinsichtlich eines hohen künstlerischen Werts hinzunehmen? Welche Rolle spielt Ressourcenökonomie in den Debatten um Erhalt, Weiterbau und Rückbau?

Die beiden öffentlich nicht zugänglichen Bauten selbst sind an ihrem Standort in Lichterfelde zumindest noch bis Herbst 2021 zu sehen. Dort sind sie in ihrer Unterschiedlichkeit der Architekturauffassung, in ihrer skulpturalen Virtuosität und Prägnanz sowie in ihrer einmaligen stadträumlichen Einbindung erlebbar.

Die Ausstellungsräume der BDA Galerie Berlin wurden von HEIM B. als ergänzendes „Studierzimmer“ zu den Bauten gestaltet. Es stellte die in der äußeren Erscheinung der Bauten nicht unmittelbar ablesbaren Qualitäten für die Öffentlichkeit zusammen: Originalmaterialien aus den Nachlässen der Architekten und andere bauzeitliche Unterlagen wurden größtenteils erstmals öffentlich gezeigt. Das Innere der Bauten ließ sich anhand aktueller, eigens für die Ausstellung entstandener Fotografien von Kay Fingerle erleben. In weiteren künstlerischen Aneignungen wurden die Gebäude in Film, Musik und Tanz und Werbung, unter anderem durch den Künstler Lothar Hempel, den Filmkünstler Julian Rosefeldt, die Musikerin Farao und den Regisseur Irrum gezeigt.

In der Gedankenwelt des Studierzimmers wurden Kontexte und kulturelle Implikationen mit den Baudokumenten assoziiert: von popkulturellen Überformungen des Cyberpunk, Stealth- und Soft Edge-Design hin zur Bunkerarchäologie, Landschaftlichkeit, Ästhetik des Unheimlichen und dem Paradox des Hässlichen. Einen wichtigen Aspekt bildete die Dokumentation des Diskussionsprozesses um die Zukunft der Gebäude, insbesondere die offenen Briefe und Publikationen aus dem Jahr 2020 – quasi als Teil der fortgeschriebenen „sozialen Plastik“ der Bauten.

Kay Fingerle: Out of Homestories – Mäuse­bunker, 2020

Im Rahmen der Ausstellung fand die von Michael Mönninger moderierte Podiumsdiskussion „Zu wahr, um schön zu sein?“ im Kurssaal des Fehling + Gogel-Baus statt, deren Aufzeichnung über die Seite des BDA Berlin abrufbar ist. Es diskutierten der Dekan der Charité, Axel Radlach Pries und Jochen Brinkmann, Leiter der Baudienststelle der Charité, Gabi Dolff-Bonekämper, Jórunn Ragnarsdóttir, Landeskonservator Christoph Rauhut und Ludwig Heimbach. Es war hier vielversprechend zu hören, dass mittlerweile der Denkmalwert beider Bauten auch von den Vertretern der Charité erkannt wird.

Für Fehling + Gogels Hygieneinstitut sind inzwischen die Abrissplanungen seitens der Charité eingestellt worden und eine Unterschutzstellung ist am 20. Januar 2021 erfolgt – es bleibt zu wünschen, dass auch bald das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung sowie die Kapelle und der Verwaltungsbau des Friedhofs Tegel dieser noch immer viel zu wenig beachteten Architekten diesen Schutz erfahren. Für den Mäusebunker sollen, begleitend zu einem wettbewerblichen Dialogverfahren zur Entwicklung des gesamten Campus Benjamin Franklin, im Rahmen eines „integrierten Modellprojekts“ mögliche Nutzungsperspektiven geprüft werden – entsprechende Ergebnisse sind für das dritte Quartal 2021 zu erwarten. Solange ruhen, hoffentlich nicht nur als Galgenfrist, die Abrissplanungen der Charité auch für dieses Gebäude. Im Herbst 2021 wird zudem eine Publikation zu den beiden Bauten erscheinen, die auf der Ausstellung fußt und die aufgeworfenen Fragestellungen vertieft.

Kay Fingerle: Out of Homestories – Mäuse­bunker, 2020

Es bleibt zu fragen, ob wir Architekten den öffentlichen gestalterischen Diskurs seit dem Schlagwort „Less Aesthetics, More Ethics“ zu sehr vernachlässigt und uns zu sehr in Debatten um das „wie“, statt des „was“ haben verstricken lassen. Ist dies geschehen, um der bisweilen als hoffnungslos empfundenen ästhetischen (Nach-)Bildung des Publikums zugunsten einer Versachlichung der Debatte auszuweichen? Durch diese Lücke im Diskurs fühlen sich jedenfalls demokratisch legitimierte Kräfte mehr und mehr auch zur Durchsetzung gestalterischer Laienurteile gegen die Kompetenzen der Architektenschaft berechtigt – nicht nur im Fall des Humboldt Forums: Der von der CDU in die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz eingebrachte, mit sechs Ja-Stimmen der CDU und AfD bei einer Nein-Stimme und sechs Enthaltungen (!) befürwortete „Beschluss zum Abriss des Mäusebunkers“ vom 14. Oktober 2020 wurde insbesondere damit begründet, dass es sich um ein „besonders hässliches Beispiel für den West-Berliner Brutalismus“ handele. Rechtlich bindend ist diese „Aufforderung“, unter anderem die wissenschaftliche „Prüfung zur denkmalrechtlichen Unterschutzstellung abzubrechen“, zum Glück für niemanden.

Donald Trumps am 18. Dezember 2020 in Kraft gesetzte Durchführungsverordnung „Promoting Beautiful Federal Civic Architecture“ verbannt ausdrücklich „dekonstruktivistische“ und „brutalistische“ Architektursprachen aus dem öffentlichen Bauen der USA und lässt nurmehr an die Formensprache der Antike und Renaissance angelehnte „klassische“ und „traditionelle“ Architektur für öffentliche Bauten zu. In der Antike eröffnete allerdings bereits Vitruvs Venustas-Kriterium in seiner begrifflichen Eigenschaft als „Qualität, die das Gefühl der Liebe hervorruft“, eine ungeahnte erotische Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit des architektonisch Schönen jenseits des scheinbar allgemeingültig Hübschen.

Für den Mäusebunker bleibt mit Spannung zu erwarten, ob und wie seine einmalige dystopische Anziehungskraft in eine neue Nutzung und Form überführt wird: „Ugly Beauty“ ist jedenfalls Thelonious Monks einziger Walzer.
Ludwig Heimbach

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