Loos im Bild
Eine schwarz-weiße Fotografie, aufgenommen um 1928: Drei Männer und eine Frau stehen Arm in Arm auf einer sonnigen Terrasse und blicken gut gelaunt in die Kamera, die Kleidung der vier lässt sich leicht auf die 1920er Jahre datieren. Der Bau hinter der Gruppe dagegen könnte durchaus aktuell sein, weiße ornamentlose Fassade und schlichte, schnurgerade Geländer. Im Hintergrund sind noch Bauarbeiter zu sehen, die die letzten Arbeiten am Bauwerk verrichten. Der Mann links auf dem Bild, dessen Frisur durch den Wind etwas aus der Form geraten scheint, ist Adolf Loos, einer der bedeutendsten Architekten des frühen 20. Jahrhunderts. Neben ihm stehen seine Bauherren Anny und Hans Moller und sein Büropartner Heinrich Kulka. Der Neubau, der sich hinter ihnen erhebt, ist die Villa Moller in Wien, eines der Spätwerke von Loos.
Das Bild ist der Einstieg in die Publikation von Walter Moser, die sich unter dem Titel „Übersetzte Architekturen. Martin Gerlach jun. fotografiert für Adolf Loos“ mit den Fotos der Looschen Bauten beschäftigt. Ein Band zu Loos und zur Darstellung seiner Bauten im fotografischen Medium wäre für sich genommen keine besonders erstaunliche Sache, wäre Loos nicht ein leidenschaftlicher Feind der Architekturfotografie gewesen. So schrieb er 1924: „Nach Photographien oder Reproduktionen lassen sich meine Wohnungseinrichtungen überhaupt nicht beurteilen. Ich bin gewiss, dass es auf der Photographie elend, effektlos ausfällt.“ Für Loos fehlte in den Bildern der stoffliche Zugang zu den Raumelementen. Für ihn war es entscheidend, dass die Menschen „den Stoff, das Holz fühlen, dass sie es mit ihrem Gesicht und Tastsinn überhaupt sinnlich wahrnehmen, dass sie sich bequem setzen dürfen und den Stuhl auf einer großen Fläche ihres peripheren Körpertastsinns fühlen und sagen: Hier sitzt es sich vollkommen“. Das fotografische Bild stellte für ihn nicht nur ein unzulängliches Mittel der Vermittlung dar, sondern auch eines der Täuschung und Illusion, das Menschen zu einem Fetischismus des Äußerlichen erzieht – eine Ansicht, die die Rezeption des Mediums bis heute begleitet.
Aber auch Loos musste irgendwann einsehen, dass die bildliche Präsenz vor allem in den einschlägigen Architekturzeitschriften notwendig war, um breitere Aufmerksamkeit zu erlangen. So wurde 1930 schließlich der bekannte Fotograf Martin Gerlach jun. mit einer Fotoreihe beauftragt, die das Werk des mittlerweile 60-jährigen Architekten porträtieren sollte. „Übersetzte Architekturen“ versucht nun, Gerlachs Transformation der Bauwerke in das Medium des Lichtbildes nachzuvollziehen und dies im Kontext der unterschiedlichen Spielarten der Architekturfotografie der 1920er Jahre einzuordnen. Der Autor Walter Moser, Chefkurator der Fotosammlung der Wiener Albertina, betrachtet die Bilder dabei in detaillierten und präzisen Analysen und zieht vergleichend andere bekannte Architekturdarstellungen der Zeit hinzu. Hierbei offenbart sich das damalige Spannungsfeld zwischen einer angestrebten gegenstandstreuen Wiedergabe der Architektur und der neugewonnenen Autonomie des fotografischen Mediums, deren Spezifika man immer mehr als Qualitäten herausarbeiten wollte: von nüchternen, den Bau umschreitenden Aufnahmen bis hin zu grafischen Bildkompositionen des Innenraums, die an das von Moholy-Nagy verkündete „Neue Sehen“ erinnern.

Martin Gerlach jun.
Villa Moller (Wien), Aufgang ins Obergeschoss, um 1930
Silbergelatine, Sprühpinselretuschen, 22,9 × 16,7 cm
© Albertina, Wien
Das Buch stellt dabei die subtilen Techniken der Fotografie heraus, mit denen architektonische Form ins Bild übertragen wurde. Hierbei zeigt sich sowohl ein geschärfter Blick für die Architektur von Loos, der mit Grundrissen und Aufrissen ergänzt wird, als auch der versierte Blick auf die Mittel der Kamera, veranschaulicht durch zahlreiche prominente Fotografen der Zeit von Renger-Patzsch bis Moritz Nähr. Die analytische Perspektive bietet insgesamt eine bereichernde Studie mit Tiefenschärfe für eine architektur- und fotografieaffine Leserschaft.
Elina Potratz
Walter Moser: Übersetzte Architekturen. Martin Gerlach jun. fotografiert für Adolf Loos, 112 S., 74 SW- u. Farbabb., Fotohof edition, 12,50 Euro, Salzburg 2018, ISBN: 978-3-902993-61-8.
- 448 – Olga
- Martin Gerlach jun. Villa Moller (Wien), Halle mit Aufgang zum Herrenzimmer, um 1930 Silbergelatine, Sprühpinselretuschen, 16,8 × 22,7 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Villa Moller (Wien), Blick vom Speise- in das Musikzimmer, um 1930 Silbergelatine, Sprühpinselretuschen, 16,7 × 22,5 cm
- Martin Gerlach jun. Villa Moller (Wien), Blick vom Musik- ins Speisezimmer, um 1930 Silbergelatine, Sprühpinselretuschen, 16,5 × 22,6 cm © Albertina, Wien
- Anonym Villa Moller (Wien), Gartenseite, Adolf Loos in der Terrassentür stehend, 1927/28 Silbergelatine, 22,6 × 18 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Herrenausstatter Kniže (Wien), Aufgang ins Obergeschoss, um 1930 Silbergelatinepapier, 17 × 22,4 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Herrenausstatter Kniže (Wien), Portal, um 1930 Silbergelatinepapier, Pinselretuschen, 17,4 × 14,6 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Villa Müller (Prag), Schrägansicht mit Eingangsseite, um 1930 Silbergelatine-Trockenplatte (Glasnegativ, digital konvertiert), 24 × 18 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Villa Moller (Wien), Aufgang ins Obergeschoss, um 1930 Silbergelatine, Sprühpinselretuschen, 22,9 × 16,7 cm © Albertina, Wien
- Martin Gerlach jun. Villa Moller (Wien), Straßenansicht, um 1930 Silbergelatine, 16 × 22,8 cm © Albertina, Wien