Buch der Woche: Computer in der Architektur

Architekturmaschine

Zuerst „nur“ Zeichenmaschine, später auch Entwurfswerkzeug, inzwischen sogar Medium des Geschichtenerzählens und interaktive Plattform: In den vergangenen 60 Jahren ist der Computer zum integralen Bestandteil der Architektur geworden – und er wird sie auch in Zukunft weiter verändern. Teresa Fankhänel hat sich für einen Moment aus dem Strudel immer neuer technischer Errungenschaften gelöst, um in einer Ausstellung am Architekturmuseum der TU München und dem vorliegenden Katalog die längst überfällige Architekturgeschichte des Computers zu schreiben. Dazu hat sie mit ihrem Team ein zweijähriges Forschungsprojekt anhand der einleitend genannten vier evolutionären Stadien unternommen, die auch das Buch gliedern: jeweils eingeleitet von zwei Essays internationaler Expertinnen und anschließend in zahlreichen Projektbeispielen veranschaulicht.

CAD-Zeichnung, Sammlung Richard Junge, Abb.: Architekturmuseum der TUM

CAD-Zeichnung, Sammlung Richard Junge, Abb.: Architekturmuseum der TUM

Dass die Geschichte der „Architekturmaschine“ seit jeher auch eine Geschichte der Angst ist, zeigt Georg Vrachliotis mit seinem Beitrag. Louis Kahn stellte 1968 auf einer Konferenz fest: „Die Maschine kann Maße übermitteln, doch die Maschine kann nichts schaffen, nicht beurteilen, nicht gestalten. Dies gehört zum Verstand.“ Diese Bedenken, dass die Kreativität der Effizienz geopfert würde, versuchte ihm sein Diskussionspartner Steven A. Coons, Wegbereiter des digitalen Entwerfens, zu nehmen: „Computer (…) sind nicht wie Elektroherde, (…) die spezifische Funktionen haben. Sie sind viel zauberhafter und allgemeiner als das. (…) Sie sind vielleicht das am wesensverwandteste mechanische Gerät, das sich Menschen jemals vorgestellt haben.“ Diesen optimistischen Forschungsglauben teilte auch sein Schüler Nicholas Negroponte, der zu jener Zeit am MIT die Architecture Machine Group gründete – ein wegweisender Thinktank, auf den sich Fankhänel mit Buch- und Ausstellungstitel bezieht.

Die Realität sah jedoch vorerst noch anders aus. 1963 führte Ivan Sutherland mit dem Sketchpad das erste, noch rudimentäre computergestützte Zeichenwerkzeug ein, das Gesten, die Menschen mit einem Leuchtstift auf einer Art Touchscreen vollzogen, in saubere geometrische Formen überführte. Ein anderes Beispiel aus der Evolutionsstufe der Zeichenmaschine ist die „Imaginäre Architektur“ des Künstlers Otto Beckmann. Er ließ den Computer Muster generieren, die – besonders, wenn er sie in Fotos montierte – die Illusion von Fassaden erzeugten. Weil sein Rechner, wie damals üblich, die Bilder nicht speichern konnte, wurden sie in einer analogen Form des Screenshots abfotografiert und blieben nur auf Papier erhalten.

Bernhard Franken mit ABB Architekten, Bollinger + Grohmann Ingenieure, BMW Bubble, 1991–1999, finale Mastergeometrie in Wavefront Explorer, Abb.: Franken Architekten

Bernhard Franken mit ABB Architekten, Bollinger + Grohmann Ingenieure, BMW Bubble, 1991–1999, finale Mastergeometrie in Wavefront Explorer, Abb.: Franken Architekten

Als sie dem Computer eine gewisse Eigenständigkeit in der Gestaltung zubilligten, brachen die Pioniere Julia und John Frazer ein Tabu. Das Gerät, von Coons noch als „Sklave“ bezeichnet, wurde zum Partner. Doch es blieb bei der bewährten Aufgabenteilung: Die Computer erledigten die Fleißarbeit – die Architekturzunft wählte aus, spitzte zu und schloss ab. Die dabei auftretende Schwierigkeit, zu definieren, wann der Computer das perfekte Ergebnis geliefert hat und abgestellt werden kann, wird als „Stopping Problem“ bezeichnet. Zum Inbegriff computergenerierter Formen wurde in den 1990er Jahren die Blob-Architektur, die in Bernhard Frankens Pavillon „BMW Bubble“ für die IAA eine frühe Realisierung fand. Auf Grundlage eines digitalen Modells wurden die Bauteile mit einer CNC-Fräse hergestellt. Nicht immer konnte die Bauindustrie auf solche Weise Schritt halten mit der fortschreitenden Digitalisierung des Entwurfsprozesses: Ikonische Entwürfe wie das Guggenheim Bilbao (Gehry Partners) oder das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart (UN Studio) mussten erst mühsam handhabbar gemacht werden, bevor sie gebaut werden konnten.

Die täuschend echte Architekturdarstellung, wie sie die einschlägigen Online-Portale heutzutage dominiert, führt Roberto Bottazzi in seiner „kurzen Geschichte des Computerrenderings“ auf die Erfindung der Perspektive im 15. Jahrhundert zurück. Sobald die mathematischen Probleme aber einmal gelöst waren, begannen Architektinnen und Architekten auch schon, sich wieder vom perfekten Bild zu befreien, um Geschichten zu erzählen. Jean Nouvel beispielsweise interessierte sich früh für die Abweichung: „Für mich ist es auch wichtig, (…) wie (ein Gebäude) im Nebel, bei Regen oder in der Nacht wirkt.“ Die kroatische Architektin Jana Čulek geht noch einen Schritt weiter: Ihre Renderings abstrahieren die Formen und evozieren stattdessen Stimmungen durch den gezielten Einsatz spezieller Farben.

Partizipative Potenziale schließlich entdeckt Felix Torkar in populären Computerspielen wie „SimCity“, „The Sims“ oder „Minecraft“, die ursprünglich nicht didaktisch konzipiert wurden – und gerade deswegen beim Spielen das Interesse am Bauen steigern. Um die Disziplin der Architekturgeschichte habe sich insbesondere das Spiel „Assassin’s Creed“ verdient gemacht, das neben der actionbasierten Handlung auch Baudenkmäler wie den Markusdom in Venedig detailliert nachbildet und begehbar macht – dank des kommerziellen Erfolgs mit einem Budget, von dem öffentlich finanzierte Lernorte nur träumen können. Lange vor diesen Games entwickelten Julia und John Frazer Anfang der 1980er Jahre ein spielerisches Programm für Walter Segals Selbstbauhäuser in Holzrahmenbauweise. Damit konnten Häuslebauer Wände in einem Steckmodell anordnen, das mit einem Rechner verbunden war. Dieser überprüfte daraufhin die Realisierbarkeit, kalkulierte Flächen sowie Kosten und erstellte Pläne. Nach ähnlichen Grundprinzipien werden heutzutage auch öffentliche Beteiligungsverfahren durchgeführt. Theodora Vardouli warnt allerdings in ihrem Essay davor, die Auswahlmöglichkeit innerhalb eines eng begrenzten Systems als Partizipation zu bezeichnen. Auf die Spitze treibt diesen Gedanken das „London Developers Toolkit“ des Büros You+Pea. Mit dieser satirischen App können Nutzerinnen und Nutzer von Gnaden der Immobilienentwickler Stararchitektur anhand der Parameter „Luxus“, „Extravaganz“ und „Überfluss“ entwerfen.

Das Buch bewerkstelligt eindrucksvoll den inhaltlichen Spagat zwischen Technik, Wissenschaft und Gestaltung, den das originär interdisziplinäre Sujet ihm abverlangt – beispielsweise, wenn Herausgeberin Teresa Fankhänel die Animationstechnik des Morphing sowohl mit mathematischen Grundlagen als auch mit popkulturellen Bezügen zu den Filmen „Terminator II“ und „Toy Story“ erläutert. Dass man, wenn man als Leserin oder Leser nicht in allen Bereichen gleichermaßen bewandert ist, dann und wann einmal nicht mehr mitkommt, bleibt da notgedrungen nicht aus. Mit seinen inhaltlich dichten Essays und den minutiös aufbereiteten Zeitleisten der Architektursoftware im Anhang wird das Buch seinem Anspruch als Grundlagenwerk gerecht. Diese Genauigkeit lassen auch die Projektbeispiele nicht vermissen, denen jeweils die zum Einsatz gekommene Soft- und Hardware vorangestellt ist. Zugleich machen diese Seiten in ihrer luftig gesetzten Form und mit ihrer reichen Bebilderung einfach Spaß beim Durchblättern.
Maximilian Liesner

Teresa Fankhänel, Andres Lepik (Hrsg.): Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur, gebunden, 28 x 21 cm, 248 Seiten, 230 farb. Abb., 39,95 Euro, Birkhäuser, Basel 2020, ISBN 978-3-0356-2155-6

Titelfoto: Fotografie einer CAD-Zeichnung auf dem Computerbildschirm, Sammlung Richard Junge, Abb.: Architekturmuseum der TUM

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