Buch der Woche: Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt

Meister der Triade

Er ist wieder da. Oskar Schlemmer, einer der wichtigsten deutschen Künstler der zwanziger und dreißiger Jahre, der hierzulande jahrzehntelang aufgrund von Erbschaftstreitigkeiten kaum gezeigt wurde, kann wieder ausgestellt, seine Werke wieder aufgeführt und Fotos seiner Skulpturen und Gemälde wieder abgedruckt werden. Die erste umfassende Schlemmer-Retrospektive seit fast vierzig Jahren in der Staatsgalerie Stuttgart wurde möglich, da 70 Jahre nach seinem Tod die Urheberrechte ausliefen.

Der kürzlich erschienene Katalog will keine Dokumentation der Schau sein – man findet fast keine Fotos von den Ausstellungsräumen – sondern soll vielmehr als neues Standardwerk die Oskar Schlemmer-Bibliographie ergänzen. Nachvollziehbar und umfassend zeichnet der Einführungsaufsatz der Kuratorin Ina Conzen Oskar Schlemmers künstlerischen Werdegang nach, benennt seine kulturpolitischen Aktivitäten und ihn beeinflussende Freundschaften, Lehrer und Kunstströmungen und stellt dar, welchen Kompositions- und Gestaltungsansatz Schlemmer verfolgte und wie sich sein „Stil“ immer weiter formte und festigte. Wie viele seiner Zeitgenossen verfolgte er das Ziel, den „neuen Menschen“ zu schaffen und ihn in eine Synthese mit seiner – ebenfalls neu gestalteten – Umwelt zu überführen. Bei Schlemmer ging es, wie Ina Conzen im Katalog bemerkt, „immer um die Beziehungen der Menschen zueinander und zum Raum“, egal ob in seinen Bild- oder Bühnenräumen. Ein leerer Raum war für ihn unbeseelt. Im Neuen Bauen fand er sein zeitgebundenes Umfeld, seine Ideen sind jedoch von zeitloser Gültigkeit. Schlemmer versuchte, mit abstrakten Mitteln die sichtbare Welt darzustellen und blieb dabei fast ausschließlich in der gegenständlichen Bildsprache mit dem Ziel, Naturalismus und Abstraktion zu verbinden. Die  „abstrakte Tektonik“ (Paul Ferdinand Schmidt) seiner Bildgegenstände, die teils starr und steif anmutenden menschlichen Körper, die sich den Kompositionslinien unterordneten und aus Ellipsen, Kreisen, Zylindern und Rechtecken bestanden, waren sein Alleinstellungsmerkmal. Der Kunst sprach er die Kraft zu, die neue Welt zu erschaffen. Walter Gropius berief ihn 1920 ans Bauhaus nach Weimar, wo mit Kollegen wie Johannes Itten, Lyonel Feiniger, Gerhard Marcks und Wassily Kandinsky die künstlerische Avantgarde seiner Zeit wirkte. Dort entwickelt er auch sein „Triadisches Ballett“ weiter, das 1922 in Stuttgart uraufgeführt und heute als „getanzte Mathematik“ beschrieben wird. Unter den Nationalsozialisten galt er als entartet, ein Umstand den er nicht nachvollziehen konnte, sei seine Kunst doch, wie er etwas naiv sagte, durchweg unpolitisch. Er  starb schließlich 1944 – verarmt und gerade einmal 55jährig.

Oskar Schlemmer war ein Universalkünstler und Gesamtkunstwerker, das lässt sich an Hand des Katalogs nachvollziehen. Rund 250 Gemälde, Skulpturen, grafische Arbeiten, die sieben Originalkostüme des Triadischen Balletts sowie teils unveröffentlichte Dokumente sind in der Ausstellung zu sehen und im Buch abgedruckt. Sie bieten auch für Schlemmer-Experten so manche Neuentdeckung. Im Katalog beleuchten weitere Aufsätze den Wand- und Tanzgestalter, den Bühnenbildner sowie seine philosophischen Überlegungen in Briefen und Tagebucheinträgen.

Das Hardcover-Buch mit Halbleinen-Rücken ist überaus sorgfältig lektoriert und gestaltet und es macht große Freude, es durchzublättern. Peter Grassinger, der schon viele Bücher des Hirmer-Verlags gestaltet hat, zeichnet verantwortlich für ein klar strukturiertes, modernes Druckbild mit angenehm viel Weißraum. Die Bildstrecken sind ein wahrer Augenschmaus – die präzise ausgeleuchteten Skulpturen auf den Fotos erscheinen mal auf schwarzem, mal auf weißem Hintergrund, die Gemälde sind wohlüberlegt auf den Seiten platziert, die Zeichnungen und Dokumente oftmals so gescannt, dass die Blattränder sichtbar sind und die Materialien – wie zum Beispiel das Transparentpapier, auf dem Schlemmer oft zeichnete – in ihrer empfindlichen Stofflichkeit fast fühlbar sind. Der Katalog ist gleichzeitig Nachschlagewerk, Bibliotheksergänzung, profunde Wissensquelle und Coffee-Table-Book und ermöglicht eine frische Wiederbegegnung mit dem endlich wieder ausstellbaren Künstler.

Juliane Richter

Staatsgalerie Stuttgart, Ina Conzen (Hrsg.): Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt, 300 Seiten, 352 Abb. überw. in Farbe, 24 × 28 cm, Halbleinen, 49,90 Euro, Hirmer Verlag, München 2014, ISBN: 978-3-7774-2303-6
auch in englischer Sprache erhältlich

Ausstellung: Oskar Schlemmer. Visionen einer neuen Welt
bis 6. April 2015
Staatsgalerie Stuttgart

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert