Rainer Schützeichel

Der Schritt vor die Tür

Oder: Wie der Raum in den Städtebau kam
(und warum das lehrreich ist)

Die Ouvertüre – ein Paukenschlag: „Die lebendige Sehnsucht unserer Zeit nach Läuterung der tektonischen Form, das wiedererwachte Gefühl für die künstlerischen Funktionen des Raumes, diese Symptome einer Renaissance unserer Architektur, haben im Städtebau der Gegenwart ihren Ausdruck gefunden in dem unentwegten Kampf der Architekten gegen die Vorherrschaft der Landmesser und Ingenieure bei der Aufstellung und Ausarbeitung von Stadterweiterungsplänen.“(1) Mit diesen Worten fiel Walter Curt Behrendt in seiner 1911 veröffentlichten Dissertation Die einheitliche Blockfront als Raumelement im Stadtbau sogleich mit der Tür ins Haus.

Da sind sie, all die großen Themen, die den Architekten am Beginn des 20. Jahrhunderts unter den Nägeln brannten. Da ist die Sehnsucht nach einem Lösen aus dem einengenden Formkorsett des Historismus; da ist die Proklamation einer Führungsrolle der eigenen Disziplin, nachdem diese von den Ingenieuren, Hygienikern und Stadttechnikern zur bloßen Staffage degradiert worden war; und da ist die Gleichsetzung von Kunst und Raumgestaltung. Der letzte Punkt umreißt die Kernkompetenz der aus dem Schatten heraustretenden Architekten. Denn anders als die „Landmesser“ seien sie nicht nur mit technischem, sondern überdies mit künstlerischem Talent begabt, weshalb es in ihrer Verantwortung liegen müsse, den Ton anzugeben im „Städtebau der Gegenwart“. Dass sie sich dazu von der Formgestaltung lösen und der Raumgestaltung zuwenden mussten, war die Vorbedingung. Dies ist der Subtext, der zu Behrendts Ouvertüre dazugelesen werden muss.

Familienähnlichkeiten
Die einheitliche Blockfront erschien in einer Zeit, zu der ein erster Höhepunkt des Raumdiskurses bereits überschritten war. Schon vor und um die vorletzte Jahrhundertwende herum war im Städtebau der Diskurs über den Raum und seine Gestaltung geführt worden,(2) und dieser ist erhellend auch für die Frage, was den Raum in der Architektur ausmacht. Da beide Disziplinen aufs Engste miteinander verwoben waren (und sind), schaute die eine immer wieder über den Tellerrand zur jeweils anderen herüber. Ganz besonders gilt dies für die Jahrzehnte um 1900 und die noch vergleichsweise junge ästhetische Städtebautheorie, die ein Vorbild fand in ihrer großen Schwester, der Architekturtheorie.

Dabei wurden Themen berührt, die auch heute einen prüfenden Blick wert sind, wenn man sich der Bedeutung des Raums als grundlegendem Begriff und Gegenstand der Architektur vergewissern will. Da ist die Opposition von Kunst und Technik, die so etwas wie den Dreh- und Angelpunkt des Streits um das eigentliche Aufgabenfeld des Städtebaus markierte. Ebenso ist die Frage, welche die den Raum definierenden Elemente seien, mit bemerkenswerter Tiefenschärfe betrachtet worden – an ihr entscheidet sich, ob das Reden vom Raum letztlich von der begrifflichen Ebene vorstoßen kann zu einer angewandten Raumgestaltung, die sich ihrer Werkzeuge sicher ist. Und nicht zuletzt wurde die Frage nach der Rolle der Menschen berührt, die sich in den derart gestalteten Räumen bewegen, sie (ver)formen und sie dank ihrer Sinneswahrnehmung überhaupt erst entstehen lassen.

Vicolo dei Panieri, Rom, Foto (1977): Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Vicolo dei Panieri, Rom, Foto (1977): Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Die Straße: „Raum“ oder „Linie“?
Die Ursünde des ins Kreuzfeuer genommenen „modernen“ Städtebaus war es, funktionale, vor allem verkehrstechnische Belange höher zu werten als ästhetische. So war etwa die Wiener Ringstraße, die sich früh zum Schreckbild des künstlerischen Städtebaus mauserte, in den Worten von Camillo Sitte „vom Standpunkte künstlerischer Wirkung […] falsch und schlecht angelegt“.(3) Sitte, der 1889 mit dem Büchlein Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen so etwas wie die Bibel der Städtebauästhetiker vorlegte, stieß damit auf ein Gebiet vor, das bis dahin von technischen Ratgebern geprägt gewesen war. Schon der Titel des ersten deutschsprachigen Handbuchs, das Reinhard Baumeister dreizehn Jahre zuvor publiziert hatte, offenbart dies: Stadt-Erweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirthschaftlicher Beziehung. Es handelt sich um ein Buch, in dem technische Grundlagen und der rechtliche Rahmen von Stadtplanung nüchtern abgehandelt sind. Bezeichnend für den Nachdruck, der auf das Problem des städtischen Verkehrs und seine Einrichtungen gelegt wird, ist die Bildauswahl: auf mehr als 500 Seiten zeigte Baumeister lediglich 19 Abbildungen, von denen er die Mehrzahl dem Anlegen von Plätzen mit einmündenden Straßen widmete.(4)

Von Kunst also kaum eine Spur. Dies aber änderte sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gründlich. Hatte der Kölner Stadtbaumeister Josef Stübben, von Haus aus Eisenbahningenieur und seinerseits Verfasser eines gewichtigen Städtebau-Handbuchs, in Sittes Städte-Bau noch ein Werk erkennen können, in dem die eigentlichen Forderungen an einen modernen Stadtplan außer Acht gelassen worden seien, so regte sich gegen eine solche Überbetonung des Technischen immer mehr Widerstand. Für Stübben jedenfalls war die Sache klar gewesen: „Die Hauptverkehrslinien sind und bleiben das erste Glied, der Ausgangspunkt jeder Stadtanlage! Darin liegt überhaupt die Schwäche der Sitte’schen Schrift, dass sie die Bedürfnisse des Verkehres nicht genügend berücksichtigt.“(5)

Sein inzwischen zum Intimfeind avancierter früherer Partner Karl Henrici widersprach dem aufs Schärfste. Natürlich erkannte auch er den Straßen ihre (kaum zu übersehende) Funktion als Verkehrsadern zu. Doch wollte er in ihrer Anlage und Linienführung auch berücksichtigt wissen, dass diese in den sie flankierenden Bauten „ein schönes, gesundes und behagliches Wohnen“ möglich machen.(6) Somit rückte er nicht nur das Wohnen auf Augenhöhe neben den Verkehr, sondern er zollte ebenso den Bewohnerinnen und Bewohnern als Wahrnehmungssubjekte Tribut.

Henrici verwob geschickt ästhetische und formale Prinzipien: Der von den „Modernen“ gehuldigten geraden Linienführung stellte er den von ihm bevorzugten geschwungenen Straßenverlauf gegenüber – eine Brücke zu diesem für den Raum zentralen Thema schlug er mithilfe einer Kombination stadtbauhistorischer und wahrnehmungspsychologischer Argumente. Es sei nämlich sehr zu empfehlen, „krumme und unregelmäßige mittelalterliche Straßen, wegen ihrer malerischen Erscheinung in so weit nachzubilden, als es den Gesundheits- und Verkehrs-Interessen nicht zuwiderläuft! Um jedoch dabei nicht den Vorwurf ‚grundloser Willkürlichkeiten’ auf uns zu laden, haben wir zu untersuchen, welche Veranlassungen das moderne Leben und Treiben zur Abweichung von dem sog. ‚Regelmäßigen’ noch übrig lässt, und da finden wir merkwürdiger Weise, dass die Menschen, welche in den Häusern wohnen, und in den Straßen spazieren gehen sollen, noch mit genau den Sinnes-Organen begabt sind, wie diejenigen vor hunderten oder tausenden Jahren“.(7)

Es sind die Menschen, die eine vom Schema abweichende Linienführung als angenehm empfinden. Die Erkenntnis, dass die Konkavseiten bei geschwungenen Straßen den Raum optisch einfassen und diesen, anders als ins Endlose schießende Geraden, als begrenzt erscheinen lassen, ist mehr als eine Binsenweisheit. Sie führt vor Augen, dass es bei räumlichen Situationen, welche nicht die Unfassbarkeit des abstrakten Raums, sondern die Gefasstheit eines architektonischen Raums vermitteln sollen, auf das Verhältnis eben dieses Raums zu den ihn begrenzenden Linien, Flächen und Körpern ankommt.

Ganz ähnlich hatte dies Henrici schon 1889 zusammengefasst: „Die Elemente, aus denen der Raum sich bildet, sind die Winkel, die Linien und Flächen.“(8) Auch wenn diese Aufzählung ausgesprochen allgemein gehalten ist, so bereitete sie doch eine Theoretisierung des Raums im Städtebau vor. Vom häuslichen Innenraum ausgehend nämlich gelangte Henrici zum städtischen Außenraum.

Piazza della Signoria, Florenz, Foto (um 1870): Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Piazza della Signoria, Florenz, Foto (um 1870): Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Auch bei Baumeister, dem Autor des frühen Städtebau-Handbuchs, wird man bei der Suche nach dem Wort „Raum“ vielerorts fündig. Allerdings verwendete er es beinahe durchgehend als Synonym für „Areal“, „Fläche“ oder, wenn es um Innenräume geht, „Zimmer“. Diese Gleichsetzung ist in der deutschen Sprache üblich und ihre Verwendung bei Baumeister daher kaum verwunderlich. Henrici aber ging den entscheidenden Schritt weiter und übertrug die im Inneren gemachten Beobachtungen auf das Außen, um bei beidem die Raumgestaltung als Kernaufgabe zu erblicken.

Diese bemerkenswerte Übersetzungsleistung ermöglichte die Ableitung von Prinzipien zur räumlichen Fassung von Straßen und Plätzen, die wie bei Innenräumen unterm Strich auf ein wohldosiertes Verhältnis von Öffnung und Wandfläche sowie auf maßstäbliche Angemessenheit abzielten. Und noch etwas: In Anbetracht eines im Historismus üblicherweise auf die formalstilistische Durchbildung von Bauten konzentrierten Blicks ist die Wucht dieses Perspektivwechsels immens, wendet sich die Gestaltung doch nunmehr eben gerade nicht den Bauten zu, sondern dem Raum, der von ihnen begrenzt wird: „Der Raum ist ein hohler Kern, der Baukörper dessen Hülle, mit der überhaupt erst die künstlerisch gestaltete Raumform zu stande gebracht werden kann. Raum und Hülle, oder Wandung, sind gar nicht von einander zu trennen, sie bedingen in der Architektur einander“.(9)

In der Stadt sind es ganz basal die folgenden Elemente, auf die mit gestalterischen Entscheidungen Einfluss genommen werden kann: „Das Bild einer Strasse, eines Platzes setzt sich zusammen aus der Bodenfläche, also der den Raum nach unten begrenzenden Ebene, und den Hochbauten, welche die seitlichen Wandungen des Strassen- oder Platzraumes ausmachen.“(10) Soweit, so allgemein anwendbar auch auf die Innenraumgestaltung. Doch anders als bei letzterer ist die obere Begrenzung im Außenraum nicht oder nur selten baulich gefasst. Dennoch ist die „Decke“ in Henricis ästhetischer Städtebautheorie berücksich­tigt: „Die Silhouette der Hochbauten – ihre oberen Begrenzungslinien – bilden zugleich die Umränderung des über der Strasse, über dem Platze ausgespannten Himmelsgewölbes und dadurch tritt auch dieses gewissermassen in Form und Gestalt und hat in dem Bilde mitzuwirken.“(11)

Wahrnehmungsgegenstand „Raum“
Das hier herauszulesende Verständnis außenräumlicher Gestaltung im Städtebau als „Bild“ hat der Theorie des künstlerischen Städtebaus den zweifelhaften Ruf eingebracht, auf das Malerische abzuzielen. Henrici selbst sprach ja von der „malerischen Erscheinung“, was dieser Interpretation durchaus Vorschub leisten könnte. Legt man aber die Betonung auf das Wort „Erscheinung“, dann kommt man dem phänomenologischen Kern seiner Theorie schon sehr viel näher. Es ist nicht das Bild an sich, um das es geht. Es ist der Eindruck, den die von Bauten gefassten Räume auf die Spaziergängerin, den Anwohner, kurzum: auf die in diesen Räumen lebenden und sich in ihnen bewegenden Menschen machen.

Im Lichte der heutigen Phänomenologie der Stadt mag dies wie ein Verweben unabhängiger, anachronistischer Diskursstränge erscheinen. Allerdings zeigt sich bereits in den ersten Äußerungen einer ästhetischen Städtebautheorie, dass das Subjekt „Mensch“ von Beginn an mitgedacht worden ist und derjenige Kern war, um den sich all das Aufheben um Form, Bild und Raum drehte. So war schon 1877 der Gegenstand der jüngst sich in der Philosophie etablierenden physiologischen Psychologie – der Mensch, seine sensorische Wahrnehmung und die Beeinflussung seiner Gefühle durch dieselbe – vom Bonner Architekten Hermann Maertens in so etwas wie eine städtebauliche Wahrnehmungslehre überführt worden.(12) Ihm ging es darin um greifbare Faktoren, die die optische Erscheinung von Raumsituationen beeinflussen, und so leitete er, ganz dem Positivismus des 19. Jahrhunderts verschrieben, aus vertikalen Blickwinkeln Idealabstände ab, aus denen Details, ganze Gebäude oder städtebauliche und gar landschaftliche Zusammenhänge zu betrachten seien. Von diesen frühen Wurzeln ausgehend kulminierte die Architektur- und Städtebautheorie ab der Jahrhundertwende in einem ganzen Strauß von Abhandlungen zu diesem Thema. Der Münchner Architekt Carl Hocheder etwa stellte Überlegungen an zum architektonischen „Gefühlsmaßstab“, den er als Grundlage dafür ansah, dass der Mensch sich mithilfe seines Gefühls für Größenverhältnisse grundlegend in „die Beziehungen zu seiner Umwelt“ einfühlen könne.(13) Aus gestalterischer Perspektive ist auch hier die angemessene Wahl räumlicher Verhältnisse im Angesicht des durch den Raum streifenden Menschen entscheidend.

Galata, Istanbul, Foto (1865): Cornell University Library / Pascal Sébah (via Wikimedia / CC BY 2.0)

Galata, Istanbul, Foto (1865): Cornell University Library / Pascal Sébah (via Wikimedia / CC BY 2.0)

Aufgrund ihrer exklusiven künstlerischen Befähigung sei es ja die Aufgabe von Architekten (nicht von „Landmessern“), solche Stadträume zu planen. So musste denn auch darauf Wert gelegt werden, diese Befähigung in der Ausbildung sicherzustellen. Als „Erziehung des Raumsinns“ ist dies kaum je treffender formuliert worden als durch den Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann, der sich 1926 zu der Bemerkung veranlasst sah, dass zwar die darstellende Geometrie noch immer als Vermittlerin raumgestalterischer Kompetenzen angesehen werde – zu Unrecht aber, wie er meinte, denn „der künstlerische Raum [unterscheidet sich] dadurch wesentlich von dem mathematischen, daß er stets materialgebunden ist und stets gefühlsbetont vom Betrachter gesehen wird.“(14) Auch hier: der Mensch als Betrachter, der seine räumliche Umwelt „gefühlsbetont“ wahrnimmt.

Eine Fußnote der Geschichte ist, dass die Phänomenologie selbst in ihren frühen Jahren unmittelbar von der ästhetischen Theorie beeinflusst wurde: Deren Begründer Edmund Husserl hatte 1898 das fünf Jahre zuvor vom Bildhauer Adolf Hildebrand vorgelegte Buch Das Problem der Form in der bildenden Kunst gelesen und aus der dortigen Unterscheidung einer wahrgenommenen und einer nur vorgestellten Form Anregungen für die Methode der sogenannten phänomenologischen Reduktion gezogen.(15) Somit findet mit dem Einzug phänomenologischer Betrachtungsweisen im Städtebau in gewisser Weise ein umgekehrter Prozess statt, in dem sich die Phänomenologie der Architektur- und Städtebauästhetik bemächtigt und mit den Stadtnutzern dieselben Menschen mit ihrem subjektiven Raumbezug zurück in den Fokus rückt, die schon im künstlerischen Städtebau die Hauptrolle gespielt hatten.

Die Stadt als Bühnenraum
Stand Walter Curt Behrendts Zeitanalyse am Beginn dieses Texts, so kann er kaum als Ausklang dienen. Seine 1911 gezogene Folgerung nämlich, „daß nur ein klar bewußter einheitlicher Wille Ordnung und Ausdruck im Stadtbild zu wirken vermag“(16), klingt heute so angestaubt wie bedenklich. Die unhinterfragt lenkende Hand des Demiurgen ist aus guten Gründen in die Mottenkiste verbannt worden. So läuft eine an der ästhetischen Städtebautheorie geschärfte Einsicht in Gestaltungsmittel im Stadtraum keineswegs auf die revisionistisch müffelnde Forderung hinaus, historische Stadträume plump zu kopieren oder gar zu rekonstruieren.

Viel eher kann der Schluss gezogen werden, dass es einen Grundkanon von Faktoren und Elementen gibt, der uns eine auf das menschliche Maß bezogene Raumgestaltung als gelungen empfinden lässt. Gerade weil es im Stadtraum darum gehen muss, Partikularinteressen und vielfältige Ansprüche auszuhandeln, kann die Besinnung auf einen solchen Grundkanon hilfreich sein, um einen common ground zu definieren. Die von der ästhetischen Städtebautheorie aufs Tapet gebrachten Themen – eine architektonisch wie gesellschaftlich verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit der Technik, die das Gesicht unserer Städte verändert (und heute sicher nicht nur im engeren Sinne des städtischen Verkehrs verstanden werden darf), vor allem aber ein Bewusstsein für die Menschen als eigentliche Adressaten und Gradmesser des Planens und Bauens – sind von unverändert hoher Bedeutung. Der Raum der Stadt ist die Bühne, auf der sich das öffentliche Leben abspielt. Dass dieses in seinen Formen, seinen Äußerungsweisen und seiner Intensität wandelbar ist, lehrt nicht erst eine Pandemie wie die, die wir aktuell durchleben. Die Architektur gibt diesem Leben einen Rahmen und erlaubt die Identifikation(en) mit konkreten räumlichen Situationen, die umso wichtiger werden, je stärker sich digitale Parallelwelten zum „materialgebundenen“ Raumerlebnis gesellen und zuweilen in Konkurrenz mit ihm treten.

Dr. Rainer Schützeichel (geboren 1977) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Architekturtheorie am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich und unterrichtet als Gastdozent an der Architekturfakultät der Hochschule München. Er publiziert regelmäßig zu Architekturtheorie, -kritik und Stadtbaugeschichte.

Anmerkungen
(1) Behrendt, Walter Curt: Die einheitliche Blockfront als Raumelement im Stadtbau. Ein Beitrag zur Stadtbaukunst der Gegenwart, Berlin 1911, S. 11.
(2) Siehe dazu ausführlich Cassani, Laura / Rossi, Riccardo / Schützeichel, Rainer / Zangerl, Bettina: Ueberall Wandung, überall Schluss! Der Raumbegriff in der deutschsprachigen Städtebautheorie um 1900, in: Magnago Lampugnani, Vittorio / Schützeichel, Rainer (Hrsg.): Die Stadt als Raumentwurf. Theorien und Projekte im Städtebau seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, Berlin / München 2017, S. 9-57.
(3) Sitte, Camillo: Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Ein Beitrag zur Lösung modernster Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter besonderer Beziehung auf Wien, Wien 1889, S. 155.
(4) Zu Aufbau und Themensetzung des Buchs siehe Bihlmaier, Helene: Reinhard Baumeister. Stadt-Erweiterungen, 1876, in: Magnago Lampugnani, Vittorio / Albrecht, Katrin / Bihlmaier, Helene / Zurfluh, Lukas (Hrsg.): Manuale zum Städtebau. Die Systematisierung des Wissens von der Stadt 1870 – 1950, Berlin 2017, S. 51-69.
(5) Stübben, Josef: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, in: Zeitschrift des Architekten- und Inge­nieur-Vereins zu Hannover, Heft 6 / 1889, Sp. 617-619, hier Sp. 618.
(6) Henrici, Karl: Gedanken über das moderne Städte-Bausystem, in: Deutsche Bauzeitung, Heft 14 / 1891, S. 81-83 und Heft 15 / 1891, S. 86-91, hier S. 86.
(7) Ebd., S. 90.
(8) Henrici, Karl: Betrachtungen über die Grundlagen zu behaglicher Einrichtung, Hamburg 1889, S. 9.
(9) Henrici, Karl: Von innen nach aussen oder von aussen nach innen?, in: Süddeutsche Bauzeitung, Heft 39 / 1903, S. 307-310, hier S. 307.
(10) Henrici, Karl: Die künstlerischen Aufgaben im Städtebau (1891), in: Ders.: Beiträge zur praktischen Ästhetik im Städtebau. Eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen, München 1904, S. 3-33, hier S. 3.
(11) Ebd.
(12) Maertens, Hermann: Der Optische-Maassstab, oder Die Theorie und Praxis des ästhetischen Sehens in den bildenden Künsten, Bonn 1877. Siehe dazu auch Moravánszky, Ákos: The optical construction of urban space. Hermann Maertens, Camillo Sitte and the theories of ‘aesthetic perception’, in: Journal of Architecture, Heft 5 / 2012, S. 655-666.
(13) Vgl. Hocheder, Carl: Architektonischer Gefühlsmaßstab, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, Heft 9 / 1914-15, S. 369-382, hier S. 369.
(14) Brinckmann, Albert Erich: Erziehung des Raumsinns, in: Zeitschrift für Deutschkunde, Heft 1 / 1926, S. 49-59, hier S. 50.
(15) Zur Hildebrand-Rezeption bei Husserl siehe etwa Pinotti, Andrea: Style, in: Sepp, Hans Rainer / Embree, Lester (Hrsg.): Handbook of Phenomenological Aesthetics, Dordrecht u. a. 2010, S. 325-330.
(16) Behrendt 1911, S. 59.

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