architekten und richter

Die Splitter im Anspruch des Architekten

Am 24.06.2004 entschied der Bundesgerichtshof (Az. VII ZR 259/02): „Eine an den Leistungsphasen des § 15 HOAI orientierte vertragliche Vereinbarung begründet im Regelfall, dass der Architekt die vereinbarten Arbeitsschritte als Teilerfolg des geschuldeten Gesamterfolges schuldet. Erbringt der Architekt einen derartigen Teilerfolg nicht, ist sein geschuldetes Werk mangelhaft.“ Konkret billigte der BGH die Kürzung des Architektenhonorars durch den Bauherrn wegen Nichterbringung der Grundleistung Zusammenstellung der Vorplanungsergebnisse, darüber hinaus initiierte der BGH mit diesem Urteil aber ein Procedere, das Honorarprozesse für Planer erheblich unkalkulierbarer und teurer macht.

Was hatte bislang gegolten? Bis zur vorstehenden Entscheidung hatte der werkvertragliche Charakter des Architektenvertrags auch die Rechtsprechung zum Honoraranspruch geprägt. Der werkvertragliche Charakter begründet zunächst die Pflicht für den Planer, nicht nur einzelne, ihm erteilte Aufgaben (ggf. Leistungsphasen) abzuarbeiten, sondern vor allem den werkvertraglichen Erfolg herbeizuführen, nämlich die Entstehung des mängelfreien Bauwerks; dabei schuldet er etwaig zur Herbeiführung dieses Erfolgs erforderliche Leistungen unabhängig davon, ob diese im Vertrag ausdrücklich erwähnt oder überhaupt vergütungsfähig sind.

Übertragen auf den Honoraranspruch begründete der werkvertragliche Charakter des Architektenvertrags (ausgleichender Weise) die Ansicht, die Nichterbringung einzelner Grundleistungen müsse nicht zwingend zu einer Kürzung des Honorar-anspruchs führen. Noch mit Urteil vom 11.03.1982 (Az. VII ZR 128 / 81) hatte der BGH klargestellt, dass – soweit es sich allein um die mangelfreie Errichtung des Bauwerks und nicht um andere, nicht im Bauwerk verkörperte Leistungen (zum Beispiel Kostenschätzung) handele – der Architekt nicht die Einzeltätigkeit, sondern die einwandfreie Gesamtleistung schulde.

Auf dieser Grundlage entstand die bei den Oberlandesgerichten verbreitete Rechtsprechung zu den sogenannten „zentralen Leistungen“. Diese Rechtsprechung konzedierte dem Bauherrn jedenfalls dann ein Recht zur Honorarkürzung, wenn es sich bei der vom Architekten nicht erbrachten Leistung um eine solche handele, die – neben dem Entstehenlassen des mangelfreien Bauwerks – einen selbständigen Werkerfolg darstelle. Angenommen wurde dies beispielsweise für die Kostenermittlungen. Selbst für solche zentralen Leistungen wurde aber geprüft, ob diese im Einzelfall wirklich für den Bauherrn von Bedeutung gewesen waren: So verweigerte das OLG Naumburg mit Urteil vom 02.02.1997 (Az. 9 U 325 / 96) dem Bauherrn eine Honorarkürzung trotz nicht erbrachter Kostenberechnung mit der Begründung, diese habe im besonderen Fall für den Bauherrn gar keine Rolle gespielt.

Anspruch und Wirklichkeit, Foto: David Kasparek

Anspruch und Wirklichkeit, Foto: David Kasparek

Mit dem oben zitierten Urteil vom 24.06.2004 verwarf der BGH nunmehr die Lehre von den zentralen Leistungen und kehrte auch seiner eigenen Rechtsprechung den Rücken. Er definierte nun – jedenfalls wenn zur Leistungsbeschreibung auf die HOAI-Leistungsbilder Bezug genommen würde (was in etwa 90 Prozent aller Architektenverträge der Fall sein dürfte) – jeden Arbeitsschritt, im weiteren als jede Grundleistung gedeutet, als geschuldeten Teilerfolg.

Fortan sauste das Fallbeil, das der BGH hoch aufgehangen hatte, etliche Male auf Honoraransprüche der Planer nieder und trennte, fein säuberlich in Prozentpunkten bemessen, den unverdienten Honoraranspruch vom verdienten: Ausführungsplanung nicht in ausreichender Tiefe – zssszz – Unternehmervergabe ohne Ausschreibung – zzzzsss – Bautagebuch nicht vollständig – zssszzzt. Als Vollstreckungsgehilfen ziehen die Gerichte Honorarsachverständige hinzu, die lange Gutachten schreiben, um zu ermitteln, wo der Honoraranspruch exakt zu guillotinieren ist.

Weitgehend unreflektiert werden hierbei die trefflich als „Splittertabellen“ bezeichneten Aufstellungen verwendet, die versuchen, was die Väter der Architekten-Gebührenordnung zu Recht vermieden hatten: nämlich die Aufteilung der den einzelnen Leistungsphasen zugeordneten Prozentpunkte auf die in der Leistungsphase enthaltenen Grundleistungen. Zum Beispiel 0,25 Prozentpunkte für die Zusammenfassung der Vorplanungsergebnisse (bei angenommen anrechenbaren Kosten von 100.000 Euro, HZ II entfallen auf diese Grundleistung netto 31,61 Euro Mindestsatz, bei anrechenbaren Kosten von 15 Millionen, HZ IV netto 3.967,94 Euro).

Gut, dies alles wäre zu akzeptieren, wenn dann die Vertragsauslegung des BGH richtig wäre. Immerhin verbreitert sie die Lebensgrundlage der Honorarsachverständigen. Aber ist sie das? § 133 BGB gibt vor, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften sei. Nach BGH selbst soll die Auslegung eines Vertrags zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führen. Bei nüchterner Betrachtung wird man aber gerade nicht sagen können, dass der Planer, der für die Herbeiführung des Erfolgs haftet, ohne Weiteres eine Zusammenfassung von Vorplanungsergebnissen verspricht; und der Bauherr eines durchschnittlichen Vorhabens, der von seinem Planer zu Recht alle Anstrengungen zur Herbeiführung des vereinbarten Erfolgs fordert, erwartet diese Leistung auch gar nicht. Häufig genug weiß mindestens der Bauherr, bevor der Streit beginnt, nicht einmal, dass diese Leistung überhaupt existiert. Und hieran ändert sich auch nichts, wenn die Parteien meist zur Vereinfachung im Vertrag auf die HOAI-Leistungsbilder Bezug genommen haben.

Um den Gerichten schwierige Auslegungen zu ersparen, ist Planern und Bauherrn ohnehin immer zu raten, ihre Vorstellungen vom Umfang der zu erbringenden Leistungen im Vertrag eindeutig und klar zu definieren. Sollte dies aber – wie nicht selten – unterlassen worden sein, bedarf es für jeden Einzelfall einer Auslegung des Vertrags, welche Leistungen über den Gesamtwerkerfolg hinaus wirklich als Teilerfolge geschuldet sind und entsprechend bei Nichterbringung den Bauherrn zu einer Honorarkürzung berechtigen könnten. Die pauschale Vorgabe des BGH, jede Grundleistung stelle einen gewollten Teilerfolg dar, taugt nicht und ist in den Ruhestand zu begnadigen.

Christian Reuter

Christian Reuter ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Mediator in RGS Rechtsanwälte, Düsseldorf, sowie Lehrbeauftragter für Architekten- und Baurecht an der FH Düsseldorf.

Foto: David Kasparek

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