Das 21. Berliner Gespräch des BDA

Zu spät für Pessimismus

Blauer Himmel, Sonne, Raureif an den Bäumen: Draußen ein klarer Berliner Wintersamstag, drinnen ein vollbesetzter Taut-Saal. Das 21. Berliner Gespräch im DAZ beginnt am 3. Dezember mit einer eher deprimierenden Bestandsaufnahme. BDA-Präsident Heiner Farwick zitiert den Klimaforscher Joachim Schellnhuber mit seiner These vom bevorstehenden „Umzug der Menschheit”, der durch die drohende Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche aufgrund des Klimawandels erforderlich werden wird. Andreas Denk unterfüttert dies mit der Feststellung, dass die so genannte Flüchtlingskrise des Jahres 2015 nur die Spitze eines Eisbergs war, der auf uns zukommt. Eine Milliarde Menschen, darunter auch in den USA, seien in ihrer Existenz bedroht. Die Menschen verlassen ihre Heimat und gehen aus Not woanders hin. Ihnen zu helfen, ist ein Gebot des Mitfühlens, der Nächstenliebe, es ist schlicht eine ethisch-moralische Notwendigkeit. Doch diese steht im Widerspruch zur völligen Individualisierung der Gesellschaft. Wie muss die Stadt der Empathie aussehen? Wenn technische Systeme wie Eindeichungen versagen, bleibt dann nur „Glaube, Liebe und das Prinzip Hoffnung”?

Annette Rudolph-Cleff bringt neben der bekannten Nachhaltigkeit den neueren Begriff der Resilienz ein, verstanden als Widerstandskraft in Krisensituationen, die das bisherige Planerverständnis zwangsläufig verändert. „Böse Lösungen” wie in Aquila, wo die nach dem letzten Erdbeben auf der grünen Wiese neu gebaute Stadt die Menschen von ihren sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen komplett losgelöst hat, können es nicht sein. Und auch in Brooklyn, das wie ganz New York von der Erhöhung des Meeresspiegels bedroht ist, kann die Erdgeschosszone nicht einfach ungenutzt bleiben. Benötigt wird also eine „soziale Resilienz”, eine Kooperationsbereitschaft angesichts von Konflikten, für die es keine einfachen Lösungen gibt.

Eine furiose Antwort gibt der Soziologe Harald Welzer. Auch ihn hat die Ausgangslage durchaus ein wenig freudlos gestimmt, aber „es ist zu spät für Pessimismus!” Die wachsenden Fluchtbewegungen sind niemals allein durch den Klimawandel verursacht; sie kommen vielmehr aus den Regionen mit schwacher Staatlichkeit. Dort haben die Betroffenen keine andere Möglichkeit, als zu „verschwinden”. Denn niemand greift regulierend ein, niemand ist mehr da, der die Folgen moderieren könnte, stattdessen monetarisieren private Gewaltakteure die Konflikte. Flüchtlinge vor unseren Türen sind nichts anderes als „Mitteilungen”, dass unser Tun Folgen hat. Nach Welzer handelt es sich bei den Klimafolgen also nicht um Naturkatastrophen, sondern um soziale Katastrophen, die unser zivilisatorisches Projekt gefährden. Die sieben Jahrzehnte Sicherheit, Freiheit und Wohlstand, die hinter uns liegen, sind ein welthistorischer Ausnahmefall. Jetzt wird die offene Gesellschaft von Demokratiefeinden angegriffen, es herrscht Unglaube, Hass und Pessimismus statt Glaube, Liebe und Hoffnung. Das marktwirtschaftliche Wirtschaftsprinzip hat sich zwar globalisiert, nicht jedoch unser Konzept der Gesellschaftlichkeit. Kapitalismus funktioniert auch ohne Demokratie. Von Digitalisierung als Heilmittel hält Harald Welzer nichts, sie ist eine Fortsetzung der fossilen Kultur, die von außen abhängig ist: „Was ist, wenn kein Strom da ist”?

Veränderungen sind in der Geschichte immer von unten gekommen, aus dezentralen Strukturen heraus, nicht aus strukturkonservativen Einheiten wie Universitäten. Für die Architektur und den Städtebau hat Welzer Konzepte wie die von Arno Brandlhuber oder Muck Petzet als „sehr handfeste, sehr wache Entwicklungen” identifiziert: Stoffliche Wandlungen, Umbauten, Wiedernutzungen statt Digitalisierung, „denn Nullen und Einsen kann man nicht essen”. Örtliche Akteure, dezentrale Communities sorgen für Resilienz: „Vorarlberg aktiviert lokale Kulturen, Mecklenburg-Vorpommern macht das Gegenteil”. Allerdings ist empathisches Handeln nur möglich im rechtlichen Rahmen der freiheitlichen Demokratie. Überraschend, dass Welzer scheinbar anerkannte Werte als unbedeutend sieht: „Die Leute benutzen die Schweizer Bahn nicht, weil sie nachhaltig ist, sondern weil sie extrem gut funktioniert!” Die Menschen handeln eben nicht werte-, sondern praxisgesteuert. Auch in der Architektur interessiert Nachhaltigkeit nicht, weil sie implementiert ist. „Vielmehr geht es um die Frage, warum ein Haus hundert Jahre alt“ wurde.

„Globale Wärme trifft auf soziale Kälte”: Der Geograph Simon Runkel will dem die Liebe als stärkster Form des Zusammenhalts entgegensetzen, denn „… Liebe wird nicht weniger, wenn man sie schenkt”. Er will liebevolle Impulse für die Planungspraxis setzen, wobei er Liebe (Eros) in einer vormodernen Weitung des Begriffs versteht: Eros ist mehr als Sexualität, ist das Schenken von Fülle, die Lust am Zusammenleben. Empathie reicht da nicht, denn auch ein Sadist kann empathisch sein, wenn er foltert. Erst die Liebe verändert unseren Weltbezug spürbar: „Die Liebe ist eine stadt- und sozialpolitische Aufgabe, und sie beginnt im Hier und Jetzt.”

Thorsten Nolting, „Kultpfarrer” und Leiter der Diakonie in Düsseldorf, fordert mehr Liebe. Er berichtet vom Düsseldorfer Diakoniezentrum in einem Problemstadtteil, das nach Abriss einer viel zu groß gewordenen Kirche von Helmut Hentrich von den Architekten Baumschlager Eberle in enger Zusammenarbeit mit den Nutzern errichtet wurde. Hier gibt es Angebote für die Modernisierungsverlierer; Strukturen, die nicht für den Notfall aufgebaut wurden, sich aber im Notfall der Flüchtlingskrise bewährt haben. „Es ist gefährlich, die Religiosität der Menschen, die zu uns kommen, zu unterschätzen. Wir laden Muslime in unsere Kirche ein, denn wir glauben an die Friedenssehnsucht in allen großen Religionen”.

Auch Alberto Pérez-Gómez aus Montreal hat auf Liebe gebaut: Unter dem Titel „Built upon Love” erläutert er in einer Tour de Force durch die Baugeschichte seit der Antike seine Auffassung von der Architektur als kommunikativen Rahmen für Gesellschaften, die ihre Schönheit und Bedeutung erst in ihrer Verbindung zum menschlichen Selbstverständnis entfaltet: „Architektur ist mehr gesellschaftliche Ordnung als Bauen”.

Andreas Denk fasst schließlich zusammen: „Glaube und Hoffnung sind zwar keine Begriffe der Handlungsebene, aber ich glaube, dass wir etwas tun können.” Und „wir”, das sind die „community based approaches”, die Annette Rudolph-Cleff bewusst unübersetzt lässt und die Zuhörer damit in den Berliner Winter entlässt.

Benedikt Hotze

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert