Buch der Woche: Das Ende der Moderne?

Farbpalette CMYK

Hannover, Expo 2000, Litauischer Pavillon (Audrius Bucas/Gintaras Kuginys/Marina Buciene/Valdas Ozarinskas/Aida Ceponyte, 2000), Bild: AxelHH, CC0 1.0, 2011

Die 90er – laut und bunt, Farbpalette CMYK. Auch das Cover des Buchs „Das Ende der Moderne?” springt durch die prägnante Farbwahl sofort ins Auge. Eingerahmt in Magenta, lenkt der verspiegelte, futuristische und aus vielen Elementen zusammengesetzte Erschließungsraum der bereits abgerissenen Zeilgalerie in Frankfurt am Main den Blick auf sich. Gleichzeitig findet das Auge keinen Ruhepunkt, keinen Vordergrund, kein Hauptelement. Das Gefühl einer Reizüberflutung liegt wohl darin begründet, dass die Baukunst dieser Dekade, wie es im Klappentext heißt, „stilistisch zwischen allen Stühlen [saß] – zwischen Öko und Hightech, zwischen Rekonstruktion und Rendering, zwischen Magenta-Mint und Anthrazit”. 

Vier Kapitel – Grenzen, Arbeiten, Wohnen und Freizeit – gliedern den von Karin Berkemann herausgegebenen Band, der eine Tagung der Initiative „Best of 90s” dokumentiert. Porträtiert werden nicht nur einzelne Gebäude, sondern auch das Leben selbst. So befasst sich der erste Abschnitt „Grenzen” mit den neunziger Jahren als „Schanierjahrzehnt” zwischen Postmoderne und Transmoderne, das die Aufgabe hatte, Ost- und Westdeutschland zu vereinen. Allerdings gilt es, wie auch Kirsten Angermann in ihrem Beitrag „Aus zwei mach eins?” betont, zu hinterfragen, ob es tatsächlich nur eine deutsche Architektur gibt und wie diese zu definieren sei. Besonders Stadtsanierungen in den „neuen Bundesländern“ sind von der Architektur der Neunziger geprägt. Dabei wurden nicht nur einzelne Baulücken geschlossen, sondern auch ganze Stadtquartiere im Geist der Zeit errichtet. Aufgrund der schnell alternden Bausubstanzen und der bedeutsamen Aufgabe der Nachhaltigkeit drängt die Frage, wie mit diesen Bauten in Zukunft umgegangen und wie das architektonische Erbe der Epoche definiert werden soll. 

Köln, WDR-Arkaden (Gottfried Böhm, 1996), Bild: Elke Wetzig, CC BY-SA 3.0 (https://creative-commons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons, 2009

Einen außerordentlich großen Anspruch auf Repräsentation lässt die Architektur dieser Zeit in ihren Arbeitsräumen erkennen. Dieser fand sowohl Ausdruck in Großbauten wie der wachsenden Skyline von Frankfurt am Main, dem vielschichtigen Berliner Sony Center oder auch in den profanen Gewerbegebieten am Stadtrand. Angesichts wachsender Anonymität des Lebens in der Stadt war der Wohnungsbau vom Wunsch nach Zusammenhalt geprägt. Dem Konzept des New Urbanism folgend, näherten sich beispielsweise Siedlungen wie Kirchsteigfeld am Rande Potsdams dem Wohnen auf dem Dorf an. 

Weil am Rhein, Feuerwache auf dem Vitra Campus (Zaha Hadid, 1993, seit 2016 für Ausstellungen genutzt), Bild: Marsupium, CC0 1.0, 2012

Das abschließende Kapitel setzt sich mit der Inszenierung von Freizeiträumen auseinander, die nicht ganz zu Unrecht die Erinnerung an dieses Jahrzehnt prägen. Gestalterisch bewegen sie sich zwischen den Gegensätzen der plakativen Zeilgalerie (Kramm & Strigl Architekten, 1992) und behutsam auf den Ort bezogenen Gebäudelandschaften wie der Therme Vals von Peter Zumthor (1996) oder Renzo Pianos Fondation Beyeler (1997). Das epochenprägende Ereignis der Expo 2000 und den damit verbundenen Niederländischen Pavillon nimmt Philipp Reinfeld in seinem Essay unter dem Stichwort „Medienarchitektur“ auf und spricht von „Strategien der Raumverbildlichung und Bildverräumlichung”. Jedes Geschoss des von MVRDV geplanten Pavillons zielte darauf ab, ein stereotypes Bild der niederländischen Landschaft zu erzeugen und ordnete sich durch den schrillen und expressiven Ausdruck in die Architektur der 90er ein. 

Der Publikation gelingt die Pionierleistung, die Architektur der neunziger Jahre in den Fokus der Denkmalpflege zu rücken. Dass sie vorerst ohne Anspruch auf Vollständigkeit Schlaglichter wirft und Fragen sowie Forderungen stellt, gehört zum Wesen eines Tagungsbandes. Für einen Ausblick auf die Zukunft des Erbes dieser Jahre muss man nur den Blick zurück auf den Niederländischen Pavillon richten. MVRDV ist derzeit dabei, den „Expo Pavillon 2.0” entstehen zu lassen. Der Bestand wird umgebaut und um zwei Ergänzungsbauten mit Wohnungen für Studierende sowie klassischen Büroräumen und Co-Working-Plätzen erweitert.
Moana Ühlein 

Berkemann, Karin (Hrsg.): Das Ende der Moderne? Unterwegs zu einer Architekturgeschichte der 1990er Jahre, 192 S., 29,– Euro, Urbanophil Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-9820586-9-6 

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