neu im club

Vernünftiger bauen

orange architekten, Anna Weber und Peter Tschada, Architekten BDA, Berlin

Das Ladenlokal in der Eckertstraße 1 steht noch leer – nicht, weil es bisher keine Interessenten gegeben hätte, sondern weil das Geschäftsmodell zum Pioniercharakter des gesamten Hauses passen soll. Sie wünschen sich einen regionalen Lebensmittelladen, erklären Anna Weber und Peter Tschada, während sie plaudernd mit einem der Bewohner ihres Hauses vor der Tür stehen. Anschließend geht es zum Gespräch hinein. An den Wänden lehnen Tafeln aus verschiedenen Ausstellungen, weil orange architekten den Raum übergangsweise als kleine Pop-Up-Ausstellungsfläche nutzen. So können sie während des Gesprächs immer direkt auf die passenden Projektbeispiele verweisen.

orange architekten, Eckertstraße 1, „einfach gebaut“, Berlin 2016–2017, Foto: Jasmin Schuller

orange architekten, Eckertstraße 1, „einfach gebaut“, Berlin 2016–2017, Foto: Jasmin Schuller

Ihr bislang bekanntester Bau aber ist der Treffpunkt selbst, das Wohnhaus in Berlin-Friedrichshain, das unter dem Namen „einfach gebaut“ hohe Wellen geschlagen hat (siehe der architekt 4/19) und beim renommierten DAM Preis als einer von fünf Finalisten ausgezeichnet wurde. Die Aufmerksamkeit, die ihnen dadurch zuteil wird, möchten sie nutzen, um ein öffentliches Bewusstsein für verantwortungsvolles Bauen zu schaffen: „Unser Antrieb ist, aufzuzeigen, dass man auch vernünftiger bauen kann.“ Diese Vernunft lässt sich bei orange architekten besonders an zwei Faktoren ermessen: dem Umgang mit Material und Kosten. Anna Weber erläutert den Anspruch, „Materialien so punktgenau einzusetzen, dass sie ihre Fähigkeiten ausspielen“. Im Gegensatz zu handelsüblichen Systemen verzichten sie auf Verbundstoffe und suchen nach einfachen Lösungen aus sortenreinen Materialien, die sich später problemlos wieder recyclen lassen.

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

Auch an den Bestand treten orange architekten mit dieser, wie sie es nennen, „Freude am Material“ heran. Beim Umbau des ehemaligen Berliner Umspannwerks „Marienburg“ in eine Druckerei übernahmen sie möglichst viel des Vorhandenen, um mit minimalen Eingriffen Räume und Materialien einer neuen Nutzung zuzuführen. Oft fanden sie noch auf derselben Etage eine Wiederverwendung für die alten Ziegel, Stahlträger und ähnliches. Darüber hinaus verwandelten gezielte Decken- und Wandöffnungen sowie ausgewählte Ergänzungen den Infrastrukturbau in großflächige, helle und räumlich vernetzte Büro- und Produktionsflächen.

orange architekten, Umbau Laborcontainer, Potsdam 2009, Foto: Sanny Wildemann

orange architekten, Umbau Laborcontainer, Potsdam 2009, Foto: Sanny Wildemann

Abbruchmaterialien sind für orange architekten eine wertvolle Ressource, die sie nicht bloß in konstruktiven Elementen, sondern auch in der technischen Gebäudeausstattung finden. So konnten sie sogar die Leuchten aus den entfernten Rasterdecken der Marienburg erhalten und neu gruppiert wieder einsetzen. Wenig später verfolgten sie diese Idee weiter, als sie in Potsdam einen ehemaligen Laborcontainer umbauten. Um eine indirekte Beleuchtung für die neu geschaffenen Büros zu erzeugen, drehten sie die grellen Laborleuchten einfach um.

orange architekten, Lärmschutz „C-Schale“, Passau 2014, Foto: orange architekten

orange architekten, Lärmschutz „C-Schale“, Passau 2014, Foto: orange architekten

Es sind die harten Fakten wie Materialgerechtigkeit oder Raumeffizienz, deren Kenntnis orange architekten ihre Gestaltungsspielräume eröffnen. Und: „Kosten spielen in unserem Büro eine große Rolle“, stellt Anna Weber fest. Peter Tschada schlägt sein Skizzenbuch an beliebiger Stelle auf und landet bei der Zeichnung einer C-förmigen Schale aus Acrylglas für den Lärmschutz entlang von Bahnstrecken: „Jede Skizze beschreibt ein Bauteil und man muss mit den ersten Strichen wissen, ob es eine einfache oder teure Lösung ist.“

orange architekten, Sanierung Grabenviertel, Berlin 2004–2006, Foto: Sanny Wildemann

orange architekten, Sanierung Grabenviertel, Berlin 2004–2006, Foto: Sanny Wildemann

Anfang des Jahrtausends entdeckten sie, dass bei der Sanierung von Plattenbauten landauf, landab eine teure Standard-Lösung angewendet wurde, die im Wesentlichen aus Kunststofffenstern, Wärmedämmverbundsystem und buntem Fassadenanstrich bestand. Der öffentlichen Hand stellten sie eine umfassendere, aber kostengleiche Alternative vor, die elementare Grundrissänderungen sowie großflächige Verglasungen und weit auskragende Balkone beinhaltete. Daraufhin bekamen sie den Auftrag, diese im Grabenviertel in Berlin-Hellersdorf umzusetzen. Peter Tschada rekapituliert: „Die Wohnungsbaugesellschaften haben ein Vermögen für Standard-Sanierungen ausgegeben. Wir haben vorgeschlagen, anstelle von Montagefirmen Fachbetriebe in Einzelgewerken vertraglich zu binden. Man kann für wenig Geld in sehr guter Qualität bauen.“

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

Dieses Auge für die Kosten erklärt Anna Weber: „Wir haben intuitiv immer auch Bauherrenaufgaben übernommen, weil wir dachten, es sei unser Job. Erst sehr spät haben wir verstanden, dass darin ein Service liegt.“ Den Umbau der Marienburg beispielsweise betreuten sie als Architekten von der Grundstücksverhandlung über die Bankfinanzierung bis hin zum Kostencontrolling. Weil sie also ohnehin diese ganzheitliche Herangehensweise pflegen, war der Schritt, unter dem Namen „orange bauwerk gmbh“ zusätzlich auch selbst als Bauträger zu fungieren, nicht mehr so groß. Genau genommen hat er laut Anna Weber beim Projekt „einfach gebaut“ sogar einiges erleichtert: „Wenn man experimentell baut, also neue Lösungen nach den aktuellen Regeln der Technik entwickelt, entsprechen diese den anerkannten Regeln der Technik und der DIN-Normen nicht immer. Diesen Fortschritt umzusetzen ist als eigener Bauherr einfacher.“

orange architekten und Stephane Laimé, Freiluft­inszenierung „flambée – human facets“, Hannover, Expo 2000, Foto: orange architekten

orange architekten und Stephane Laimé, Freiluft­inszenierung „flambée – human facets“, Hannover, Expo 2000, Foto: orange architekten

Zu diesem selbstbestimmten Unternehmertum passt auch der zweite Ableger ihres Büros namens „orange produkt“. Auslöser war der Auftrag, die technischen Lösungen für eine Freiluftinszenierung auf der Expo 2000 zu entwickeln. Der Kunde wollte nur bei Lieferung einer funktionstüchtigen Ware die Planungsleistung zahlen. So verließen die Architekten notgedrungen ihr Metier und wurden auf dem Papier zu Herstellern. Peter Tschada blickt zurück: „Wir haben die Angebote der Schlosser und unser Honorar zusammengezählt, einen Gewerbeschein beantragt und dem Bauherrn angeboten, die großen Bühnenbildfiguren als Stück zu liefern, weil wir überzeugt waren, dass es klappt. Da waren wir dann plötzlich Stahl­einkäufer und haben riesige Träger auf Mietautos durch Hannover geführt.“ Hersteller sind sie bis heute geblieben und haben auf diese Weise unter anderem die textile Fassade des Projekts „einfach gebaut“ entwickelt und realisiert. Dennoch ist es Peter Tschada wichtig zu betonen: „Wir sind immer noch aus tiefster Seele Architekten, und das werden wir auch bleiben.“

orange architekten, Eckertstraße 1, „einfach gebaut“, Berlin 2016–2017, Foto: Jasmin Schuller

orange architekten, Eckertstraße 1, „einfach gebaut“, Berlin 2016–2017, Foto: Jasmin Schuller

Dass sie diese verschiedenen Rollen einnehmen können, führen sie unter anderem auf ihre Ausbildung zurück. Mit einem Augenzwinkern beschreibt Anna Weber ihre Arbeitsweise als „oldschool“. Peter Tschada, den Beweis in Form des Skizzenbuchs noch in der Hand, ergänzt: „Wir können mit dem Bleistift umgehen und haben gelernt, wie man Details bis zum Schluss entwickelt und sie umsetzt. Dass die beiden selbst, obwohl frisch in den BDA berufen, nicht mehr ganz als „junge“ Generation durchgehen, haben sie damit selbst vorweggenommen. Gegründet haben sie ihr eigenes Büro bereits 1996, nachdem sie gemeinsam in einem Berliner Büro gearbeitet hatten. Dort haben sie vor allem die gängigen Planungsabläufe kennengelernt – Inspiration aber sei aus anderen Quellen geflossen. Anna Weber erwähnt ihr Praktikum beim niederländischen Architekten John Körmeling, der ihr „eine ganz andere Sichtweise auf Architektur vermittelt hat.“ Als sie nicht mehr angestellt arbeiten wollte, schlug sie Peter Tschada die Selbständigkeit vor: „Peter meinte: ‚Du bist wahnsinnig, wir können uns doch jetzt nicht selbständig machen!‘, und ich sagte: ‚Doch, das können wir!‘ – und dann haben wir es gemacht.“

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

orange architekten, Umbau Marienburg, Berlin 2004–2007, Foto: Sanny Wildemann

Der Büroname „orange architekten“ war ursprünglich nur ein Arbeitstitel. Peter Tschada erinnert sich: „Weil wir uns relativ spontan und ohne Auftrag in der größten deutschen Stadt selbständig gemacht haben, mussten wir auffallen. Jemand hatte einmal zu uns gesagt, es bräuchte so ein Wort wie ‚Orange‘. Und nach langer Suche haben wir uns gefragt, warum wir den Namen nicht einfach nehmen.“ In der mittlerweile beinahe 25-jährigen Geschichte variiert die Bürogröße kontinuierlich. Aktuell sind sie zu viert, in den Hochphasen der Projekte steigt die Zahl bis auf 13. Der nächste Anstieg steht bevor, wie die Außenwand des Ladenlokals verrät. Deren Sichtbeton-Oberfläche ist, solange das Lokal noch nicht betrieben wird, mit einem Graffiti-Schutz aus Papier überzogen, auf dem eine riesige Stellenanzeige prangt.
Maximilian Liesner

www.orange-architekten.de

Der reguläre Talk „neu im club im DAZ-Glashaus“ mit Anna Weber und Peter Tschada muss aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um das Corona-Virus leider entfallen.

www.daz.de
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Medienpartner: www.marlowes.de

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