Andreas Denk

Unter fremder Flagge

Über den Sinn von Bauausstellungen, insbesondere von IBAs, also von Bauausstellungen, die sich ausdrücklich als „international“ verstehen, ist in den letzten Monaten viel hin und her diskutiert worden. Die vermeintlich provokante Frage, ob man diese seit 1957 immer mal wieder in Deutschland eingeübte Verfahrensform zur Erprobung neuer Architekturen im städtebaulichen Kontext überhaupt (noch) braucht, ist dabei sicherlich der falsche Aufhänger. Denn unbestreitbar sind diese Veranstaltungen – in Berlin, im Ruhrgebiet, im „Fürst-Pückler-Land“, in diesem Jahr in Hamburg, demnächst in Heidelberg – Ausdruck und Eindruck eines baukulturellen Wollens. Und das ist immer gut.

Die Wirklichkeit ist der harte Maßstab, an dem sich jede IBA messen lassen muss. Das gilt auch für Hamburg 2013. Die große Idee dort ist es, den Sprung der Stadt über die Elbe zu schaffen und im Anschluss an die munter sich selbst reproduzierende HafenCity dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg neue Bedeutung zu geben. Wilhelmsburg, im Südosten der Hansestadt, ist eigentlich eine große Insel, die fast rundum von Schiffswegen und Hafenbecken umschlossen ist. Die Verbindung zur City ist problematisch, weil sie eigentlich nur durch eine Autobahn und eine S-Bahnlinie hergestellt wird.

Die isolierte Lage hat dazu geführt, dass hier neben einer endlosen Menge Einfamilienhäusern und Zeilensiedlungen mit dem Reihersteigviertel so etwas wie eine kleine Stadt in der Stadt entstanden ist – ein polykulturelles Quartier mit „emergenten Strukturen“, wie die Planer der IBA zu den wiederentdeckten lokalen Qualitäten des Stadtteils sagen. Der erwünschte „Sprung über die Elbe“ bedeutet natürlich, dass sich hier etwas ändern wird. Die IBA versucht, auf verschiedenen Ebenen Antworten zu geben, wie sich dieser Stadtteil im 21. Jahrhundert entwickeln kann.

Für das Reihersteigviertel müsste das heißen: Stabilisierung und strukturelle Verbesserung des Vorhandenen. Die IBA hat die Notwendigkeit erkannt, allein: Die Qualität der Architektur wird nicht thematisiert. Gewerbehöfe wurden eingerichtet, die ihre Funktion erfüllen, aber mehr nicht; ein architektonisch verbesserungswürdiges Seniorenwohnheim vornehmlich für türkische Bewohner mit dementiellen Erkrankungen ist entstanden; die südlich gelegenen Zeilenbauten der 1930er Jahre mit einem Flakbunker als exzentrischem Zentrum sind nominell, aber kaum gestalterisch zum „Welt-Quartier“ erhoben worden. Allein ein neuer Siedlungsteil von Eckhard Gerber könnte ein Beitrag sein, der architektonisch in Erinnerung bleibt.

Der eindrucksvolle Flakbunker steht für die zweite Ebene der IBA-Interventionen: sie gelten der energetischen Zukunft. Der Umbau des Nazi-Großbauwerks zum „Energiebunker“ als Großspeicheranlage für ein Wilhelmsburger Energienetz gibt einen Hinweis darauf, wie der Umbau der Stadt unter energetischen Gesichtspunkten aussehen könnte. Dazu gehört auch der „Energieberg Georgswerder“ im Westen von Wilhelmsburg, der auf einem ehemaligen Deponiegelände entstanden ist. Er soll mit Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen einen Teil der Energieversorgung übernehmen und damit belegen, wie ländliche Energiekonzepte städtisch genutzt werden können. Die „energetische Ertüchtigung“ von Bestandsgebäuden und im Neubau schließlich bleibt im Rahmen des Üblichen.

Schließlich hat man das implantiert, was in der IBA-Terminologie als „Metrozone“ bezeichnet wird. Die Aufgabenstellung sollte hier sein, „innerstädtische Bruchkanten für Neues nutzbar“ zu machen. Konkret hat dies den Neubau eines gewaltigen Verwaltungsgebäudes von Sauerbruch Hutton für die Senatsbehörde für Stadtentwicklung und Umwelt zur Folge gehabt, das zeichenhaft das Rückgrat einer „Bauausstellung in der Bauausstellung“ bildet. Damit wiederum ist eine kleine Auswahl von mehr und minder guten Häusern gemeint, bei der neue Materialien und neue oder günstige Wohnkonzepte ausprobiert werden sollen. Sie münden in das Gelände der „Internationalen Gartenschau“, die unter dem Motto „In achtzig Tagen um die Welt“ globale Freiraumkreationen á la carte offeriert.

Den enttäuschenden Eindruck der Neubaufraktion, die sich bis auf einige Ausnahmen wie BeLs Selbstbauhaus „Grundbau und Siedler“ (s. der architekt 1/13) höchstens als architektonische Mittelklasse ohne Risiko präsentiert, hat Matthias Sauerbruch selbst in einem Kommentar für die Wochenzeitung „freitag“ beschrieben: Die Musterbauausstellung sei „prinzipiell interessant, in einigen Fällen auch schön anzusehen, nur: Eine Stadt ist hier nicht entstanden.“ Das Neubaugebiet erscheint Sauerbruch „im Augenblick (…) in erster Linie als Projektionsfläche guter Absichten (…), Selbstversicherung einer Planer-Generation, die beim Gang durch die Institutionen recht sesshaft geworden ist.“

Sauerbruch sagt höflicherweise nur die Hälfte: Bei der Mehrzahl der IBA-Vorhaben handelt es sich um stadtplanerische Eingriffe, die sicherlich – alle – eine Begründung haben und, viele, auch eine Berechtigung. Die politische Korrektheit, die das gesamte Projekt durchflutet – Multikulti, Energiewende, Metrozone – verfasst den Raum der Stadt als sozio-ökologische Notwendigkeit und lässt das architektonische Experiment als Einzelerscheinung zu, bestimmt es aber im Meer der „Maßnahmen“ und „Interventionen“ von vornherein als Marginalie – und damit als schad- und wirkungslos.

Mit dieser fragwürdigen Auffassung von „Stadt der Zukunft“ segelt Hamburg auf Kurs, wenn auch unter fremder Flagge: Denn schon lange nicht mehr sind „Internationale Bauausstellungen“ Ausstellungen von Bauten, die international interessant sind. Vielmehr sind es Möglichkeiten halbwegs prosperierender Kommunen zu Stadt-entwicklungsmaßnahmen, die ansonsten nur schwer politisch vermittelbar wären. Das ist immerhin auch etwas – wenn auch keine „IBA“ im ursprünglichen Sinne.

Insofern sollte man, anstatt über die Vergänglichkeit von Initiativen zu jammern, eher darüber nachdenken, wie sie zu verstetigen sind: Eigentlich müsste alle fünf Jahre eine „IBA“ irgendwo in der Bundesrepublik stattfinden, um – wie die documenta – einen regelmäßigen Überblick über den state of the art zu geben. Das könnte auch Kommunen nützen, denen es nicht so gut geht wie Hamburg oder Heidelberg. Und vielleicht könnte man dann auch mal mehr riskieren. Das wiederum würde der Stadt und der Architektur helfen – sogar „international“.

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