Oda Scheibelhuber

Zum guten Gelingen

Der hier publizierte Vortrag von Oda Scheibelhuber wurde anlässlich des Festakts zum 110jährigen Bestehen des BDA am 21. Juni 2013 in Frankfurt am Main gehalten. Er wurde erstmalig in der Broschüre „Berufung und Leidenschaft” abgedruckt, die über die Bundesgeschäftsstelle des BDA bezogen werden kann.

Zum 9. BDA-Tag möchte ich dem Bund Deutscher Architekten – auch im Namen von Bundesminister Peter Ramsauer – unsere Wertschätzung übermitteln, die der Verband genießt und darüber hinaus die besten Wünsche zum 110jährigen Jubiläum. Das Thema „Berufung und Leidenschaft“ ist gut gewählt. Es klingt zunächst wie eine Selbstbefragung zum Herstellen eines internen Selbstverständnisses – im Kontext des Jubiläums aber ist ‚Berufung und Leidenschaft‘ folglich in einen historischen Spannungsbogen gestellt – und damit stellen sich sowohl Fragen nach den Kontinuitäten als auch nach den Brüchen, nach der professionellen Herkunft und der Zukunft des Berufsstandes der BDA-Architekten und -Architektinnen.

Zukunft braucht Herkunft“. So schlicht und verständlich hat es der Philosoph Odo Marquardt formuliert. Zukunft zu gestalten – viele Architektinnen und Architekten charakterisieren ihr berufliches Selbstverständnis von Bauen und Entwerfen genau so. Das ist ein hoher Anspruch. Allein, da Gebäude auf eine zumeist recht lange Nutzungsdauer errichtet werden, planen und gestalten Architekten immer in die Zukunft hinein. Das ist selbstverständlich. Gerade vor dem Hintergrund der 110jährigen Geschichte des BDA geht es aber um eine viel größere gesellschaftliche Dimension, die über den Lebenszyklus des Projekts und das individuelle Schaffen hinausweist. Heute geht es um eine gesellschaftliche Positionierung, es geht um Haltungen.

Die Architektur bietet aus ihrer Tradition einiges zum Festhalten: die Herleitung aus dem Handwerk, die Verantwortung für die Stadtgestalt, für die Menschen und für die Gesellschaft insgesamt. Architektur ist eine praktische, wenn nicht gar handfeste Disziplin. Sie hat technische und konstruktive Parameter, benötigt ausreichende finanzielle Grundlagen und gute organisatorische Abläufe, sie hat juristische und ökologische Dimensionen – ihre Besonderheit ist und bleibt jedoch der kreative Schaffensprozess. Das kreative Moment, der Entwurf ist genau das Alleinstellungsmerkmal, das die Arbeit von Architekten auszeichnet: im individuellen Ideenreichtum liegt ihr Reich der Freiheit und ihr Privileg.

Oda Scheibelhuber

Als freiberuflich Tätige weiß man freilich am besten, welchen Anteil an Zeit man tatsächlich für die Ideen und das Entwerfen findet, wie viel Zeit man für die Arbeit an Skizze, Modell und Rendering verwendet. Wenig genug – im Verhältnis zu dem Anteil, den Architekten damit verbringen, die einmal gefundene Idee ins Materielle zu verwandeln: auf der Baustelle, mit den Bauhandwerkern, dem Bauherrn, den Behörden, den Bürgern… Andererseits: Die Architekten, die ich kenne, wollen bauen und nicht fürs eigene Büroarchiv oder die Kunstgalerie entwerfen. Denn erst durch das Bauen, auf der Baustelle, materialisieren sich ihre Ideen vor den Augen der Öffentlichkeit. Wir wissen, dass ich einen Idealzustand beschreibe, den es so oft genug nicht mehr gibt. Immer häufiger ist der Architekt mit einer unübersichtlichen und unpersönlichen, global vernetzten Immobilien- und Bauwirtschaft konfrontiert, mit hochkomplexen Bauabläufen: ein Rädchen in einem durchgetakteten Betrieb. Wo bleiben da die liebgewordenen Ideale eines Architekten als autonomer Künstler, als Generalist, als Sachwalter und Partner des Bauherrn auf Augenhöhe, als Dirigent für alle Gewerke, die sich auf der Baustelle tummeln?

Die gute alte Zeit war immer gestern. Der BDA, so habe ich ihn kennengelernt, verschließt sich gesellschaftlichen Veränderungsprozessen nicht: Klimamanifest der planenden Berufe, Diskussionsveranstaltungen zum demografischen Wandel und zur energetischen Stadt- und Gebäudesanierung, Hochschultag der Architektur … seien nur als kleine Erinnerungshilfen genannt. Für unsere baukulturellen Diskurse waren es Meilensteine. Dafür danke ich dem Verband. Und es ist insbesondere die Rolle und Aufgabe des BDA, diese gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben so zu buchstabieren, dass die kreativen und innovativen Elemente des Schaffens dabei nicht verlorengehen, sondern sich behaupten und sogar neu und selbstbewusst ausprägen. Realitätssinn und Bodenhaftung auf der einen Seite. Und der „Griff nach den Sternen“ auf der anderen Seite. Lieber BDA: bitte machen Sie so weiter. Es ist vielleicht nicht immer eine einfache Gratwanderung, aber es ist für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Und für die Architektinnen und Architekten ebenfalls.

Die Auseinandersetzung mit dem Bestand, dem Vorgefundenen, dem immer noch Brauchbaren und Nutzungsfähigen, wird im Schaffen von Architekten eine immer wichtigere Aufgabe. Ich erinnere mich mit großer Hochachtung an den letzten Biennale-Beitrag von Muck Petzet, Konstantin Grcic und Erika Overmeer, der, soweit ich es überblicke, auch in der Architektenschaft geschätzt wurde. Petzet und seine Mitstreiter haben deutlich gemacht, dass Weiter- und Umnutzen, Umbauen und Weiterbauen zu den absolut dominierenden Aufgaben der Zukunft gehören werden. Und sie schlossen ganz ausdrücklich nicht nur Denkmale und die gemeinhin als schön anerkannten Teile des baukulturellen Erbes ein, sondern auch jenen Teil des Bestands, der den meisten „unpassend, ärmlich und mangelhaft“ scheint. Weitergedacht stellt sich an die Architektinnen und Architekten des BDA, an die Besten ihres Fachs, vor allem die Frage, welchen architektonischen Ausdruck das im ökologischen Sinne nachhaltige, im ökonomischen Sinne vernünftige, in sozialer Hinsicht verträgliche Weiterbauen finden wird. Der architektonische Entwurf wird – so verstanden – immer mehr zu einem Dialog mit dem Vorgefundenen. Die Rolle der Architekten als Entwerfer, Forscher, als Gestalter und als Beteiligte in den hochdifferenzierten Bauprozessen wird sich ganz neu ausdefinieren müssen. Vor dem Hintergrund eines solcherart gewandelten Selbstverständnisses weitet sich das architektonische Schaffen zu einer umfassenderen baukulturellen Verantwortung in der Gesellschaft, an der mir besonders gelegen ist.

Stadtspaziergang mit Volkwin Marg anlässlich des Festakts 110 Jahre BDA

Die aktuellen Herausforderungen – Klimawandel, Demografie, Globalisierung, Wachstumsschwäche in einigen Märkten, und Migration – geben der Praxis von Stadtentwicklung, Planen und Bauen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik einen neuen Erwartungsrahmen. Architektur bedeutet in diesem Kontext technische Verantwortung mit einem hohen Anspruch an Innovation – man betrachte hier nur das Thema Klimafolgen und Energiewende, das Avantgardethema von heute; eine Stadt- und Umgebungsverantwortung, die neben dem Zeitgeist auch den Geist des Ortes einschließt, dessen Entwicklungslinien aufspürt, die Umgebung respektvoll behandelt und Baugeschichte und Baukultur fortschreibt – und soziale Verantwortung, in dem sich das Schaffen von Architekten an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und eine – ich nenne es: menschenfreundliche – Architektur schafft.

Baukultur meint vor allem erst einmal Zuhören und Mitdenken, bevor es ans konkrete Entwerfen und Bauen geht – vor allem vor dem Hintergrund gravierend gewandelter Beteiligungsprozesse. Da sind längst nicht mehr nur der Bauherr und diese oder jene Behörde als Partner beim Bauen. Es kommen inzwischen immer mehr selbstbewusste Persönlichkeiten, interessengeleitete Gruppen und eine gut informierte und organisierte Bürgerschaft – ungefragt, kritisch und gut organisiert – und fordern Mitsprache ein. Sich all dem zu stellen, ist die gesellschaftliche Verantwortung der Architekten. Oder auch schlichtweg: Baukultur. In diesem Kontext haben Architektinnen und Architekten ganz exklusiv die Verantwortung der Gestaltfindung – sie müssen den angemessenen architektonischen Ausdruck für diese Aufgaben finden, sie müssen den Freiraum für Kreativität offenhalten und ausfüllen.

Eine Gestaltungsavantgarde ohne gesellschaftliche Verantwortung kann es nicht geben. Baukultur ohne gute Entwürfe und hervorragende bauliche Lösungen aber auch nicht. Architekten machen aus Wünschen, Träumen, Interessen und Bedürfnissen realisierbare Raumprogramme, sie geben einer meist recht komplexen und manchmal auch verworrenen und verwickelten Auftragslage eine Form, eine Gestalt, ein Gesicht. Architekten haben eine vereinigende integrierende Rolle einzunehmen und müssen soziale, ökologische, ökonomische und ästhetische Anforderungen auf einen Nenner bringen – und dies bei jeder Bauaufgabe neu.

Ausstellung aller Nike-Auszeichnungen im Deutschen Architekturmuseum DAM in Frankfurt a.M.

Der Architekturentwurf, die Planung, das Bauen sind Spezialgebiet. Aber Baukultur ist keine Expertendisziplin. Sprechen wir von Baukultur als einer umfassenden Qualität unserer gebauten räumlichen Umwelt, so liegt die Verantwortung bei der Gesellschaft insgesamt. „Baukultur machen Menschen wie Du und ich“, sagt die österreichische Initiative „Landluft“ und hat es damit geschafft, Baukultur zum Katalysator von Kommunalentwicklung zu machen und zwischen Bürgerschaft, entwerfenden Profis und Politik und Verwaltung eng zu verweben. Architektinnen und Architekten brauchen aber auch gute Partner in Politik und Verwaltung, die mit qualitätssichernden Elementen souverän umgehen können: Planungsgrundlagen, politische Beschlüsse und das Fördermittelmanagement seien da nur als Stichworte genannt.

Vor fast zwei Jahren haben wir im Ministerium – auch mit Begleitung und Ermutigung von Seiten des BDA – einen Forschungs- und Austauschprozess angestoßen, der die Verantwortung für die Baukultur in Kommunalpolitik und -verwaltung zum Thema macht und die Instrumente baukultureller Qualitätssicherung systematisch erfasst. Für die Unterstützung danke ich sehr. Der Impuls für diesen Werkzeugkasten für kommunale Baukultur kam aus meiner Erfahrung als Bürgermeisterin, aber ohne den Zuspruch und die Ermutigung seitens des BDA wäre das Produkt wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Von unserer Seite ist die Arbeit abgeschlossen. Aber wir brauchen funktionsfähige Übergabepunkte. Konkret benötigen wir Baukulturakteure, die den Impuls aufgreifen und den eingeschlagenen Weg eigenverantwortlich fortsetzen. Die Bundesarchitektenkammer hat gerade eine Veranstaltungsreihe zur regionalen Baukultur gestartet. Hier treffen Vertreter von Länderkammern mit den Vertretern lokaler, regionaler Politik und der Landespolitik zusammen und beraten gemeinsam, wie man in Sachen Baukultur konkret und vor Ort vorankommen kann. In einer Veranstaltung der Kammer Mecklenburg-Vorpommern wurde gerade erst vor wenigen Tagen vom Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen die Einrichtung eines mobilen Gestaltungsbeirates angekündigt – für diese Region ein entscheidender Schritt. Die Initiative zu mehr Baukultur kann von jedem ausgehen: sich einzubringen, als professionell Planende, als Mitglied des BDA, einer Vereinigung mit Tradition, mit Anspruch und Stimme, aber auch als Bürgerinnen und Bürger am Wohn- und Arbeitsort, ist mein persönlicher Wunsch und meine zuversichtliche Hoffnung.

Oda Scheibelhuber ist Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin.

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