Buch der Woche: Die Neugestaltung einer Metropolregion

Chancen und Potenziale

Noch bis zum 14. Oktober läuft im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt die Ausstellung „Rhein-Main: Die Region leben“. Die von Christian Holl, Felix Nowak und Kai Vöckler kuratierte Schau beleuchtet die Gegend zwischen den Großstädten Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Mainz, sowie den angrenzenden Odenwald und den Vogelsbergkreis, ihre gegenwärtige Situation als Metropolregion, ihre Probleme, Chancen und Potentiale. Nach Prognosen sollen hier im Jahr 2030 5,8 Millionen Menschen leben. Bemerkenswert ist, dass in den genannten Städten der Wohnraum knapp und immer teurer wird, die angrenzenden Regionen im Süden und Norden aber mit Bevölkerungsrückgang zu kämpfen haben.

Aus der Serie „Re:RheinMain“, Foto: Malte Sänger

Genau das macht den von den Kuratoren und Peter Cachola Schmal vom DAM herausgegebenen Katalog „Living the Region“ auch für andere Gegenden interessant. Das Phänomen, dass Städte aus allen Nähten platzen, die Menschen dort kaum noch bezahlbaren Wohnraum finden und gleichzeitig Landstriche mit Überalterung und Wegzug konfrontiert sind, ist schließlich kein spezifisches, sondern ein globales. Die Publikation dokumentiert dabei die Beiträge der Ausstellung und ergänzt sie um vielfältige Texte unterschiedlicher Autorinnen und Autoren. Katalog wie Ausstellung haben dabei gemein, dass sie versuchen, mit einem positiven Blick nach vorne, Potentiale vor Ort zu erkennen und sie mittels neuer Technologien, anderer Denkweisen und vernetzter Strukturen nutzbar und damit wieder lebenswert zu machen.

schneider+schumacher Architekten, Brücke am Ölhafen, Raunheim, Foto: Jörg Hempel

Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Verkehr. So wird dafür plädiert, Mobilität als Teil von Lebenszeit und -qualität zu verstehen, was sie automatisch zu einem Thema der Gestaltung werden lässt. Denn, so Christian Holl: „Neue Mobilität bedeutet nicht, irgendwann einmal ein Leihrad zu nutzen.“ Vielmehr gehe es darum, in einer systemischen Kette von Verkehrsträgern zu denken und sie reibungsfrei miteinander zu verknüpfen. „Nur wenn Mobilität ein Erlebnis ist, wenn es keine Nachteile bedeutet, die Verkehrsträger zu teilen und zu wechseln, nur wenn die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Angeboten funktionieren, werden wir auch die vielen Vorteile von neuen Mobilitätsformen nutzen können, die unter anderem darin bestehen, die enormen Belastungen durch den Autoverkehr zu reduzieren“, so Holl weiter. Szenarien einer solchen systemischen Verflechtung werden hier dargestellt – unter anderem durch einen Blick von außen. So haben die Macher fünf internationale Büros um Beiträge gebeten: feld72 aus Wien, AWP aus Paris, LoLA und KCAP aus Rotterdam sowie URBED aus Manchester.

feld72 architektur und urbane strategien, Airport Ring Rhine-Main City, Abb.: feld72

Den Büros ist gemein, dass sie am Architektursommer des BDA Hessen teilgenommen haben, mit der Region also vertraut sind. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben den Großraum um den Flughafen Frankfurt in Augenschein genommen und geben nun eine Vorstellung davon, wie sich ein weiterer Betrachtungswinkel, der die gesamte Region mit einbezieht, und neue Technik auf die Orte auswirken können. Grundlage dafür ist eben jene, dass sie Veränderungen als Chance zur Gestaltung – und für Gestalter – begreift. „Diese Projekte könnten dazu anregen, über Modellprojekte nachzudenken, sie können Anschauungsmaterial liefern, die Sicht auf die Beziehungen zwischen den Orten intensivieren, sie können das Denkbare sichtbar werden lassen und den konstruktiven Dialog befördern“, so die Hoffnung von Christian Holl und seinen Mitstreitern.

Vandkunsten, Wohnungsbau Almen Bolig+, Kopenhagen, Dänemark 2010–2014, Foto: Mads Frederik

Zusätzliche Relevanz bekommt das gut 300 Seiten dicke Buch durch den zweiten thematischen Schwerpunkt, der sich dem Wohnen annimmt. Projekte aus dem In- und Ausland werden dokumentiert und textlich eingeordnet. Manches davon ist bekannter, anderes weniger, in der Gesamtschau ergibt sich dadurch aber ein stimmiges Bild. Wenngleich manche Abbildung – vor allem die Grundrisse – größer wünschenswert gewesen wäre, wie das bemüht „frische“ Layout insgesamt eher ein Ärgernis ist. Zwar mag man den farbigen Seiten ein gliederndes Momentum zusprechen, die vielen Kästen, die noch dazu mit Pseudoschattenwürfen versehen sind, wirken jedoch sehr gewollt. Und so ist es weniger die Optik als vielmehr die Inhalte, die hier überzeugen – auch weil sie in einer positivistischen Weltsicht zusammen- und vorgetragen werden. Den Themen, denen wir alltäglich begegnen wohnen schließlich nicht nur Konflikte inne, sondern auch Chancen.

David Kasparek

Christian Holl, Felix Nowak, Peter Cachola Schmal, Kai Vöckler (Hrsg.): Living the Region. Rhein-Main – die Region leben. Die Neugestaltung einer Metropolregion, mit Texten von Kenneth Anders, Jörg Dettmar, Peter Eckart, Agnes Förster, Maren Harnack, Andreas Knie, Gerd Kuhn, Monika Meyer, Lara-Maria Mohr, Annette Rudolph-Cleff, Yasemin Utku u.v.a., 320 S. zahlr. Abb., deutsch/englisch, 38,– Euro, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 2018, ISBN 978-3-8030-0837-4

Christian Holl, Felix Nowak, Peter Cachola Schmal, Kai Vöckler (Hrsg.): Living the Region. Rhein-Main – die Region leben. Die Neugestaltung einer Metropolregion

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