Buch der Woche: Max Bächer

Auf den Spuren des Königsmachers

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Ausstellungsansicht im Atrium des Architekturgebäudes der TU Darmstadt, 2019, Foto: CCSA

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Ausstellungsansicht im Atrium des Architekturgebäudes der TU Darmstadt, 2019, Foto: CCSA

Etwas mehr als fünfzig Meter misst jene Betonbrüstung, die die zunächst flach ansteigende, dann steile Treppe vom Erdgeschoss hinauf in den zweiten Stock und um das Atrium des Architekturgebäudes der TU Darmstadt herum, begleitet. Max Bächer lehrte hier von 1964 bis 1994 Entwerfen und Raumgestaltung. Anfang 2019, 25 Jahre nach seiner Emeritierung, haben Studierende der Kunstgeschichte sowie der Curatorial Studies der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Architekturstudierende der TU Darmstadt Max Bächer hier eine Ausstellung gewidmet. Genauer: seinem Archiv. Dieser umfängliche Schatz ist nach dem Tod des Architekten, Hochschullehrers, Jurors und Publizisten an das Deutsche Architekturmuseum DAM übergegangen. Schlaglichtartig beleuchtete die Ausstellung einzelne Punkte aus Bächers Wirken. Ausgewählt nach Sichtung der Archivalien von den Studierenden selbst, geschärft im Rahmen eines Seminars durch die Betreuenden: Unter dem Label CCSA (Center for Critical Studies in Architecture) hat sich eine Forschungsgemeinschaft aus dem Kunsthistorischen Institut der Goethe-Universität Frankfurt, dem Fachbereich Architektur der TU Darmstadt und dem DAM gebildet, die Studierende der Fachrichtungen Architektur und Kunstgeschichte in gemeinsamen Forschungsprojekten zusammenführt und schult. Das Ergebnis: eine Ausstellung. Aufgebracht auf dem Betonhandlauf. Fünfzig Meter lang.

Zu Beginn der Auseinandersetzung mit der Person Max Bächers stand dabei die Frage, wie Architektur wirklich entsteht, so Carsten Ruhl, Lehrstuhlinhaber an der Goethe-Universität, in seiner Einleitung der nun vorliegenden Dokumentation „Max Bächer. 50 Meter Archiv“. Neben der tatsächlichen Idee zum Entwurf, der ersten Skizze, sind es eine Vielzahl von Faktoren. Was wie eine Binse klingt, wird dennoch stets aufs neue negiert. Je größer der Name, desto klarer scheint: außer dem Genius des Architekten selbst, bestimmt rein gar nichts das später gebaute Werk. Bücher wie „Entwürfe meines Lebens“ von Daniel Libeskind oder Youtube-Videos von Bjarke Ingels versuchen diese Verklärung in diverser medialer Ausformung immer wieder zu untermauern. Der Blick auf Max Bächer aber zeigt: Es ist soviel mehr –  und das Ergebnis der Beschäftigung der Studierenden mit seiner Person bestärkt dies.

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Als Juror hat Bächer zwischen 1960 und 2010 an so vielen Wettbewerben teilgenommen, wie vor und nach ihm kein anderer Architekt hierzulande. Und er hat Unterlagen, Gesprächsnotizen, eigene Eindrücke, ja Briefwechsel zur Vorbereitung der Jurysitzungen dokumentiert. Die Publikation hält die Darmstädter Ausstellung, grafisch fein vom Stuttgarter Büro Matter Of aufbereitet, ihrerseits für die Nachwelt fest. In einem Seminar, in einer Ausstellung, gebannt auf einen Handlauf zumal, lässt sich naturgegeben kein ganzes Leben festhalten – erst recht nicht, wenn der Protagonist so umtriebig war wie Max Bächer. Die Auswahl überzeugt dennoch, denn sie beleuchtet in den Weiten des Archivs ebenso spannende wie prototypische Teilbereiche.

Das erste Kapitel „Max Bächer als Juror“ beschränkt sich auf die Wettbewerbe für den Potsdamer Platz und das Deutsche Historische Museum in Berlin, sowie den für das Rathaus Fellbach bei Stuttgart. Allein diese drei Beispiele zeigen die Vielschichtigkeit des Wettbewerbswesens von vermeintlich oder tatsächlich ideal ablaufenden Verfahren, und jene, bei denen Vermittlungsgeschick und Fingerspitzengefühl in der Debatte dann doch zum gebauten Ergebnis führen, bis hin zu konfliktreichen Zeugnissen des Scheiterns.

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Das zweite Kapitel stellt den Publizisten Bächer vor und beschränkt sich einzig auf den spannenden Briefwechsel zwischen ihm und Albert Speer. Hier, wie auch in den anderen Teilen, glänzt das Buch mit hervorragend lesbaren Faksimiles der Briefe, Gesprächsnotizen und Zeichnungen. Wie Max Bächer den Kontakt zu Hitlers Architekten und Rüstungsminister sucht, wie dieser sich zunächst windet, Bächer nebst Gattin dann schließlich doch empfängt und zum Essen einlädt, um den Gast dann nicht zuletzt durch die eigene, später publizierte Werkschau zu enttäuschen, ist ein fesselnd nachzuverfolgendes Dokument deutscher Architekturgeschichte.

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Auch Kapitel drei, das sich dem Architekten Bächer widmet, zeigt sich vielschichtig. Durch die Fotografien von Haus Luz lässt sich die Wirkmächtigkeit von Architekturfotografie als argumentative Stütze architektonischer Aussagen ablesen. Dem Entwurf für Haus Huber scheint nur eine einfache, schnell hingeworfene Strichzeichnung vorweg zu gehen, die aber im Laufe des Prozesses mit einer Vielzahl ortstypischer und in Zeichnungen sowie Fotografien festgehaltener Details angereichert wurde. Dem dritten Projekt, der Bebauung um den Schlossplatz in Stuttgart – gemeinsam mit dem Stuttgarter Büro Kammerer und Belz –, folgten nach Architekturpreisen schier endlose Debatten und schließlich der Abriss.

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Das letzte Kapitel beleuchtet den „roten Dekan“ Bächer, der an der TH Darmstadt die bis heute stattfindenden Mittwochsvorträge ins Leben rief, sich nach 1968 auf die Seite der Studierenden schlug und gemeinsam mit Günter Behnisch und Walter Belz eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten prägte. Spannend schließlich der Text „Klotz, Behnisch, Bächer und das DAM“ von Oliver Elser, dem Kurator eben jenes Architekturmuseums, für dessen Gründung sich Bächer stark einsetzte, dem er als Vorsitzender des Freundeskreises des DAM verbunden und mit dessen Gründungsdirektor Heinrich Klotz er befreundet und in herzlicher Abneigung gegen den Professorenkollegen Behnisch einig war.

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Max Bächer. 50 Meter Archiv, Abb.: M BOOKS

Die Fülle von Quellen macht das unprätentiöse broschierte Büchlein zu einem schönen Anschauungsobjekt für die Vielschichtigkeit dessen, was heutzutage als „Architekturproduktion“ beschrieben wird und zeigt auf, dass es die Summe vieler Einflüsse ist, die Architektur gelingen oder eben scheitern lässt. Nicht zuletzt lässt es den Humor, den Elan und das Engagement Max Bächers erneut lebendig werden.
David Kasparek

Frederike Lausch, Oliver Elser, Carsten Ruhl, Christiane Salge (Hrsg.): Max Bächer. 50 Meter Archiv. CCSA TOPICS 1, 128 S., 133 s-w Abb., Broschur,  15,- Euro, M BOOKS, Weimar 2019, ISBN 978-3-944425-14-6

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