Houston, we have a problem

Dorf im Haus

Mit dem Jahresthema „Kulisse und Substanz“ nimmt der BDA sich 2019 den drängenden Fragen rund um die Themen Ökologie und Verantwortung an. Dabei steht die Diskussion im Vordergrund, welche Maßnahmen uns dabei helfen können, die Effekte des Klimawandels zu gestalten, und welche Eingriffe, Postulate oder Moden nur Kulisse bleiben. Im Dezember letzten Jahres hat der architekt gemeinsam mit dem BDA und dem Deutschen Architektur Zentrum DAZ den Call for Projects „Houston, we have a problem“ gestartet und um Einreichung solch substanzieller Beiträge gebeten. Bis Ende Januar 2019 sind rund 150 gebaute und gedachte Projekte zusammen gekommen. Im Wochentakt stellen wir an dieser Stelle ausgewählte Beiträge vor.

CUBITY | “energy-plus and modular future student living”, Frankfurt am Main

Studierende eignen sich besonders gut für Experimente mit neuen Wohnformen, denn zumindest dem Klischee nach sind sie sind meist besonders offen gegenüber Unbekanntem und aus finanziellen Gründen eher kompromissbereit, was Raumgrößen und Lebensweisen betrifft. An der TU Darmstadt ist ein Studierendenwohnheim entwickelt worden, das auf vielen Ebenen experimentiert: sowohl das Leben in der Gemeinschaft und auf reduziertem Raum, Energieeffizienz und Ökologie, als auch modulares Bauen und Rezyklierbarkeit werden hier in einem Bau zu einem innovativen Konzept vereint.

TU Darmstadt, CUBITY, Foto: Thomas Ott

CUBITY nennt sich das kubische Bauwerk mit seiner ungewöhnlichen Hülle aus transluzenten Polycarbonatplatten, das seit Ende 2016 in Frankfurt am Main Niederrad steht und derzeit von zwölf Studierenden bewohnt wird. Entwickelt wurde es von 45 Master- und Bachelor-Studierenden der Architektur an der TU Darmstadt unter Leitung der Professoren Annett-Maud Joppien und Manfred Hegger anlässlich des Solar Decathlon 2014 in Versailles, einer Art studentischer Zehnkampf für nachhaltiges Bauen. Im Vordergrund bei der Entwurfsbildung stand dabei die Frage nach sozialer und energetischer Suffizienz, also einem möglichst geringen Verbrauch von Fläche, Rohstoffen und Energie. Die Lösung ist hier als „Dorf im Haus“ ausformuliert: auf einer Grundfläche von 16 mal 16 Metern erhebt sich die hallenartige Gebäudehülle, innerhalb derer sechs paarweise gestapelte Wohnkuben aufgestellt sind. Während die Wohnkuben die privaten Rückzugsräume bereitstellen, ist der restliche Raum der Halle für gemeinschaftliche und halbprivate Funktionen vorgesehen, neben einer frei bespielbaren Zone gibt es die Küche und eine Lounge im Obergeschoss.

TU Darmstadt, CUBITY, Foto: Thomas Ott

Mit 9,5 Quadratmetern unterbieten die Wohnkuben unter anderem die gängigen Größen von Mikroapartments und „Tiny Houses“ und sparen hierbei Material und Heizaufwand. Ganz bewusst wurde mit den kleinen Privatbereichen der gängige Wohnstandard unterschritten, womit laut den Projektausführenden aktuelle Bedürfnisse und Nutzerkomfort in Frage gestellt werden sollen. Die Bereitschaft, eigenen Komfort zurückzustellen, wird auch in der klimatischen Zonierung des Baus in unterschiedlichen Behaglichkeitsbereichen herausgefordert: Während die Nutzer in ihren privaten Kabinen nach individuellen Bedürfnissen die Temperierung vornehmen, ist die Halle selbst nur in Teilbereichen temperiert. Ähnlich sieht es beim Lüftungskonzept aus, bei dem ein Spannungsfeld zwischen den optimierten Individualräumen und den Gemeinschaftsbereichen entsteht. Gegen sommerliche Überhitzung sollen verglaste Eckfensteranlagen in Verbindung mit einem zentralen Oberlicht sorgen, die eine natürliche Thermik erzeugen.

Neben diesen, im Sinne der Suffizienz möglichst passiven Strategien, wird Solarenergie über Photovoltaikanlagen auf dem Dach genutzt. Der Bau ist dabei gänzlich aus vorgefertigten Modulen zusammengesetzt und fast vollständig rückbaubar – die Auswahl der Low-Budget-Materialien folgte Aspekten der Wiederverwendbarkeit. Damit wird auch dem Konzept der temporären Nutzung Rechnung getragen: CUBITY, wohinter sich neben „Cube“ die Begriffe „City“ und „Unit“ verbergen, versteht sich als flexibler Stadtbaustein, der auch kurzfristig auf Wohnraummangel in urbanen Lagen reagieren kann und bei Bedarf und ohne große Verluste wieder abgebaut werden kann.

Momentan wird der bestehende Bau in Frankfurt am Main durch ein sozialwissenschaftliches und energetisches Monitoring begleitet – im nächsten Schritt steht also die Auswertung der Ergebnisse des innovativen Konzepts an. Die Radikalität und Stringenz des Projekts zeigt jedoch schon jetzt, dass ein Wandel im Bauen in jedem Fall auch durch die Freiheit und Offenheit von Experimenten befördert werden kann.

Elina Potratz

CUBITY | “energy-plus and modular future student living”, Darmstadt 2014
Architektur: Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Gebäudetechnologie, Prof. Anett-Maud Joppien
Standort:
Versailles (2014), Frankfurt am Main (seit 2016)
Fotos: Thomas Ott
Status: realisiert

weitere Projekte aus dem Call for Projects „Houston, we have a problem“ können Sie in der Übersicht hier einsehen.

 

 

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