Buch der Woche: Modernism Rediscovered

Drei mal Shulman

Julius Shulman, 1910 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren, gehört unbestritten zu den ganz Großen der Architekturfotografie. Vor allem in den Jahren der Nachkriegszeit und der Kennedy-Ära hatte er sie alle vor der Kamera: Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Frank O. Gehry, John Lautner, Pierre Koenig und viele mehr ließen ihre Bauten von Shulman in Szene setzen. Entstanden sind dabei ikonische Architekturfotografien, die sich teilweise so verselbständigten, dass sich beispielsweise bis heute Besucher des legendären Case Study House Nr. 22 erstaunt darüber zeigen, wie sich das Haus in den Hollywood Hills tatsächlich ausnimmt, wenn man ihm gegenübersteht, im Kopf aber die legendäre schwarz-weiß-Ansicht von Shulman hat. Neben dem 2004 verstorbenen Ezra Stoller gilt Shulman als der einflussreichste Architekturfotograf seiner Epoche. Betrachtet man Bilder von Häusern unserer Tage, so gilt zu konstatieren: der Einfluss des 2009 in Los Angeles verstorbenen Fotografen wirkt bis heute nach.

Der Kölner Taschen Verlag hat sich seit 1998 um die Aufarbeitung und Dokumentation  des Werks Julius Shulmans verdient gemacht. Damals erschien „Architektur und Fotografie“ mit Texten von Peter Gössel, zwei Jahre später, 2000, kam „Die Wiederentdeckte Moderne“ auf den Markt,  2007 schließlich ein Schuber mit drei gebundenen Büchern. Diese inzwischen offiziell vergriffene Erstausgabe von Julius Shulman. Modernism Rediscovered wird im Internet gebraucht zwischen 250 und gut 580 Euro gehandelt. Wem das zu viel ist, dem bietet Taschen nun Abhilfe.

Schon „Architektur und Fotografie“ war ein schönes Buch. Mit Julius Shulman. Modernism Rediscovered aber hat der Kölner Verlag noch eins draufgesetzt und das Werk des legendären US-amerikanischen Fotografen so opulent in Szene gesetzt, dass es unter alle Weihnachtsbäume und auf jeden Gabentisch derer gehört, die der US-Moderne ab etwa 1940 etwas abgewinnen können. Mit nunmehr knapp 100 Euro ist die Publikation wieder für ein größeres Publikum erschwinglich – bei etwas mehr als 1000 Seiten sind die zehn Cent pro Buchseite gut investiertes Geld. Seit Jahren machen sich Verleger Benedikt Taschen und sein Team mit einem Portfolio zwischen Architektur, Design, Film, Kunst und Porno um das Abbilden zeitgenössischer Strömungen einen Namen, oft hart an der Grenze zum Kitsch und reichlich oberflächlich, ab und an aber geht das Konzept schlüssig auf. Anders als bei den teuren, oft signierten Sammlereditionen mit Teils aufwendig aufgearbeiteten Kunstdrucken ist das bei der nun vorliegenden Shulman-Neuauflage der Fall: In einem schönen Wellpappeschuber sind die drei, insgesamt 1.008-Seiten-starken, Bände zusammengefasst. Damit ist jedes der drei Bücher dicker als die ursprüngliche Publikation aus den Jahren 1998 und 2000.

Jedes Buch widmet sich einer Episode des Schaffens Shulmans. Band I nimmt die Jahre 1939 bis 1958 unter die Lupe, Band II die direkt anschließende Zeit bis 1964, der abschließende Band III endet im Jahr 1981. In dieser weiten Spanne der Arbeiten wird deutlich, wie sehr Shulman Chronist des Bauens in Nordamerika war. Nicht nur die „Klassiker“ der pazifischen Stahl-Glas-Moderne rund um die Case-Study-Ikonen zeigt das Monumentalwerk, sondern darüber hinaus weit mehr Bilder aus dem offenkundig exzellent geführten Archiv des Fotografen aus verschiedenen Teilen der Amerikas, aus Israel oder Hongkong. Von Hawaii über Colorado und Arizona bis nach „El D.F.“ – Mexiko-Stadt – und weiter nach Südamerika reichen die abgelichteten Orte, der Fokus liegt dennoch klar auf Kalifornien und hier im Speziellen auf Los Angeles und der Umgebung der Stadt am Pazifik.

Jede Fotografie ist dabei mit einem kurzen Erläuterungstext versehen, der hilft, das Gesehene einzuordnen. Sie sind teilweise ergänzt um Zitate Shulmans, die die Einzelbilder in einen größeren Kontext rücken und um persönliche Noten und intime Einblicke bereicheren. Die Bildunterschriften wurden von Peter Loughrey, dem Gründer von Los Angeles Auctions, beigesteuert und erläutern abgelichtetes Design und Raumausstattung. So sind nicht nur die Fotos selbst wunderbar anzusehen, sondern auch die anekdotenhaften Anmerkungen eine willkommene Einladung, sich in diesem Konvolut zu verlieren. Dazu kommen pro Buch fundierte und gut zu lesende Essays von Hunter Drohojowska-Philp, Owen Edwards, Wim de Wit, Benedikt Taschen und Philip J. Ethington Peter Loughrey sowie von Shulman selber. Sie ordnen das fotografische Werk von Julius Shulman fachmännisch korrekt ein, bezeugen seine Prägekraft für die Fotografie wie gleichermaßen für die Architektur.

Alles geht: ausgedehnt schmökern, stichprobenartig mal hier, mal dort eintauchen, oder sich schlicht den wohlgesetzten Fotografien widmen. Ein wunderbarer Zeitvertreib, der jedem Betrachter Architektur wie Fotografie der Zeit von 1939 bis 1981 vermittelnd näher bringt.

David Kasparek

Julius Shulman. Modernism Rediscovered, mit Texten von Julius Shulman, Hunter Drohojowska-Philp, Owen Edwards, Philip J. Ethington, Peter Loughrey, deutsch/englisch/französisch, Hardcover, drei Bände im Schuber, 1.008 S., Taschen Verlag, Köln 2016, 99,99 Euro, ISBN 978-3-8365-3919-7

Fotos: Julius Shulman. © J.Paul Getty Trust. Used with permission. Julius Shulman Photography Archive, Research Library at the Getty Research Institute

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