Buch der Woche: Bauten und Projekte von Paul Böhm

Familie und Individuum

Wolfgang Pehnt ist ganz sicher einer der am besten informierten Experte bundesdeutscher Architektur und ihrer Geschichte. Eindrücklich unter Beweis gestellt hat er das in einer Vielzahl von Vorträgen und Publikationen, so dass es schwerfällt, einzelne herauszuheben. Benannt seien deshalb an dieser Stelle nur das wunderbar lesbare Buch „Deutsche Architektur seit 1900“ (DVA, 2005) und der präzise Beitrag zum opulenten Katalog der DAM-Ausstellung „SOS Brutalismus“ (Park Books, 2017). In der Reihe „Opus“ der Stuttgarter Edition Axel Menges hat Wolfgang Pehnt nun das Buch „Paul Böhm –Bauten und Projekte“ veröffentlicht.

Der zweisprachige Band (deutsch und englisch) trägt auf gut 140 Seiten Gebautes und Ungebautes zusammen und spannt einen so aufschlussreichen wie eindrücklichen Rahmen auf. Die Publikation trägt dabei die relevanten Projekte des jüngsten der aktuell praktizierenden Böhm-Dynastie zusammen: vom Wohn- und Geschäftshaus in Köln-Kalk über die katholische Pfarrkirche St. Theodor in Köln-Vingst hin zur Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Dazu gesellen sich Bauten unterschiedlicher Typologien, in verschiedenen Ländern, teils realisiert oder aus mannigfaltigen Gründen nur Projekt geblieben. Einfamilienhäuser wie das in Köln-Braunsfeld oder zuletzt in Bonn-Röttgen schließen unmittelbar an die Tradition des Wohnhauses an, das Paul Böhms Großvater ab 1931 in Köln-Marienburg baute, und weisen den Architekten als profunden Kenner einer modernen Sachlichkeit aus, die sich in einer reduzierten Angemessenheit des Bauen äußert.

Gotteshäuser wie (projektierte) Ausstellungs- und Informationsbauten zeichnen ebenfalls eine – wiederum anders gelagerte – Familienlinie fort und sind in teilweise unmittelbaren formalen Zitaten an Bauten des Vaters Gottfried Böhm zu sehen. Das äußert sich unter anderem im Motiv der Schalen und Segel, die sich in Gottfried Böhms Beiträgen zur Diskussion des Wiederaufbaus der Berliner Reichstagskuppel finden oder in dem gemeinsam mit den Söhnen Paul und Stephan ausgeführten Hans-Otto-Theater in Potsdam. Bei Paul Böhm wiederum findet sich dieses Bild als unmittelbare Weiterleitung und mittelbare Transformation im Entwurf für das Vulkanium in der Eifel, wo die Schalen-Konstruktionen – erstarrtem Eruptivgestein gleich – den in die Erde gegrabenen Bau überwölben, oder in der bereits benannten Kölner Moschee, wo sie sich blattartig um den zentralen Gebetsraum legen und zu einer skulpturalen Kuppel emporschwingen.

Jedes dieser Häuser ist mit kurzen Erläuterungstexten versehen und wird mit Plänen und Fotografien präsentiert. Immer wieder tauchen auch die typisch Böhmschen Handzeichnungen auf – eine weitere, nicht versiegende Lebenslinie der Architektenfamilie. Eingeleitet wird das Buch von einem umfassenden Essay Wolfgang Pehnts, dem hier das Kunststück gelingt, einen ebenso persönlichen Ton anzuschlagen, als auch die porträtierten Architekturen in einen größeren Kontext der Familien- und Architekturgeschichte zu stellen. Dieses Wandeln auf dem schmalen Grat zwischen persönlicher Anekdote und architekturhistorischer Einordnung erscheint gerade im Fall der Familie Böhm angemessen und ungemein passend. Bei all den familiären Verflechtungen von gemeinsamer Autorenschaft bei unterschiedlichen Bauten und direkten wie indirekten Anschlüssen an das Œuvre von Vater und Großvater zeigt die Publikation auch, wie sehr Paul Böhm „sein eigenes Ding“ macht und ganz spezielle bauliche Antworten auf bestimmte architektonische Fragen gefunden hat.

David Kasparek

Die Stuttgarter Architekturgalerie am Weißenhof zeigt noch bis zum 15. April die Ausstellung „Die Böhms. 100 Jahre Architektur. Handzeichnungen und Photographien“, die sich der drei Generationen der Architektenfamilie Böhm annimmt. Anhand ausgewählter Beispiele treten Gemeinsamkeiten und Übereinstimmung in der Tradition innerhalb der Familie ebenso zutage wie die Eigenheiten der einzelnen Personen und der von ihnen entworfenen Architektur.

Wolfgang Pehnt: Paul Böhm – Buildings and Projects / Bauten und Projekte, 144 S., 191 Abb., fest geb., deutsch/englisch, 69,– Euro, Edition Axel Menges, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-936681-85-7

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert