Buch der Woche: Eine politische Designtheorie

Gegen die Unterwerfung

Im Mai 1963 kamen die ersten zwanzig Bände der edition suhrkamp auf den Markt. Eine Buchreihe mit einem strikten Konzept: 48 Publikationen pro Jahr, jeder Buchumschlag in einer der 48 Farben des Sonnenspektrums gehalten, die Cover ohne Abbildung zeigen einzig Autoren- und Verlagsnamen sowie den jeweiligen Titel der Bandes, getrennt nur von Linien, gesetzt aus der immer gleichen Schrift. Veröffentlicht wurden Theodor W. Adorno, Samuel Beckett, Ludwig Wittgenstein, später dann Silvia Bovenschen, Jürgen Habermas und Peter Handke – inzwischen Ulrich Beck, Peter Sloterdijk und dergleichen mehr. Einer der tagesaktuellen Autoren ist auch der 1974 geborene Friedrich von Borries. Von Borries, studierter Architekt, war 2008 gemeinsam mit Matthias Böttger Generalkommissar des deutschen Beitrags zur Architekturbiennale in Venedig und lehrt derweil Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

Das von ihm nun vorliegende kleine Büchlein „Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie“ kommt grundsympathisch daher. Trotz – oder je nach Standpunkt – wegen des Titels. Ein weißer „Schutzumschlag“ umfasst das Buch, das darunter in einem klassischen edition-suhrkamp-Orangeton eingebunden ist. Mit diesem zweiten Umschlag, der mit dem Bild zweier Türdrücker versehen ist, umgeht der Autor die ursprüngliche Setzung der Edition, die Covergestaltung rein typografisch zu lösen. Womöglich ist schon dies ein Hinweis auf eine der Kernaussagen des Buchs: die Unterscheidung zwischen Entwerfen und Unterwerfen

Auf kompakten 144 Seiten arbeitet der Autor diese anhand von sechs Kapiteln aus: „Entwerfen“, „Überlebensdesign“, „Sicherheitsdesign“, „Gesellschaftsdesign“ „Selbstdesign“ und „Welt“. Die Ausgangsthese dabei ist, dass sich der Begriff keinesfalls nurmehr auf die Gestaltung – das Entwerfen – von Gegenständen reduzieren lässt. Heute, so Friedrich von Borries, wird praktisch alles designt: vom Türdrücker über das Haus, den Menschen selber, von Städten und Flüchtlingslagern bis hin zu Prozessen im Allgemeinen oder gleich dem ganzen Klima. Diese systemische Einheit, diese Vielschichtigkeit macht es für von Borries dringend notwendig, Design und Entwerfen nicht länger nur ästhetisch zu bewerten, sondern ganzheitlich. Für ihn bedeutet das: politisch.

Letztlich ist das keine neue Forderung. Die Rückbesinnung und das Stützen auf bestehende Quellen und getätigte Aussagen anderer Gestalter und Theoretiker macht der Autor dabei jedoch stets deutlich. Und nicht nur das. Statt nur zu zitieren passt er das, was etwa Otl Aicher, Dieter Rams, Michel Foucault oder Vilém Flusser in der Vergangenheit gesagt und geschrieben haben, an die, durch Klimawandel, aktuelle Migrationsbewegungen und Digitalisierung, veränderte Lebenswelt unserer Tage an. Dabei scheut von Borries auch nicht den ganz großen Bogen über Heidegger, Kant, Marx und Co. zu schlagen. In den Anmerkungen ist das dann etwas mühsam zu lesen, dem Fluss des eigentlichen Textes tut es aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: diverse bemerkenswerte Querverbindungen und Verweise gelingen dem Buch so.

Von Borries geht von einer grundlegenden Setzung aus: Unter den genannten Vorbedingungen definiert er Entwerfen als die Notwendigkeit, die Bedingungen, die uns umgeben, zu gestalten. Alle. Wenn das so vonstatten geht, dass unsere Handlungsoptionen reduziert werden, ist das für den Autor „Unterwerfen“. Wenn beispielsweise ein digitales Endgerät mit einer schön gestalteten Oberfläche und einer ebenso ästhetischen wie intuitiven Programmierung zum Abspielen von Musik und Filmen daherkommt, dem Benutzer aber vorschreibt, in welchem Format und vor allem in welchem digitalen „Laden“ diese Dateien zu erwerben sind, ist das „Unterwerfung“ – schöne Oberflächen und souveräne Bedienung hin oder her.

Dabei macht das Buch durchaus deutlich, dass wir es in vielen Fällen mit einer „Unterwerfung aus Bequemlichkeit“ zu tun haben. Die Einschränkung unserer Möglichkeiten nehmen die allermeisten billigend in Kauf, weil sie mit einem Zugewinn an Bequemlichkeit einhergeht. Die entscheidende Frage ist, ob wir diese Entscheidung bewusst oder unbewusst treffen.

In diesem Hinterfragen steckt ein entscheidender Kern des Buches, das ob der inhaltlichen Weite des angewendeten Designbegriffs auch für Architektinnen und Architekten hoch interessant sein dürfte. Von Borries plädiert für entwerfendes und nicht unterwerfendes Design – für ein Design, das geschlossene Systeme und damit totalitäre Logiken nicht nur hinterfragt, sondern sich ihrer entzieht. Für ein Design, dass sich bewusst gegen die vermeintlichen Sicherheitsaspekte solcher Systeme und solcher Logik stellt. Und letztlich für ein Design, das positivistisch neue Ideen für Formen unseres Zusammenlebens entwickelt, anstatt sich mittels benutzerfreundlicher Hochglanzoptiken der Ideologie der Alternativlosigkeit anzuschließen. Im Kleinen – wie dem Umschlag des eigenen Verlagshauses – ebenso, wie im großen Ganzen.

David Kasparek

Friedrich von Borries: Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie, Broschur, 144 S.,  14,- Euro, edition suhrkamp, Berlin 2016, ISBN 978-3-518-12734-6

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Friedrich von Borries: Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie, Broschur, 144 S., 14,- Euro, edition suhrkamp, Berlin 2016, ISBN 978-3-518-12734-6

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