Das NS-Dokumentationszentrum in München

Im Kasten

Welche Formensprache spricht ein Erinnerungsort, der sich inmitten von negativ konnotierten Erinnerungsorten befindet? Der Neubau des NS-Dokumentationszentrums in München hat den Weg der Vermeidung gewählt: der Vermeidung jeglicher typologischer, städtebaulicher und architektonischer Annäherungen sowohl an seinen Vorgängerbau als auch an die Nachbarbebauung. Er will sich nicht einfügen, weder ins Stadtbild der Maxvorstadt noch in die axiale Anlage rund um den Königsplatz.

Es ist wie ein Kippbild: Der Ort ist mal Bezugs- mal Abgrenzungspunkt. Ein „Ort der Täter“, wie Winfried Nerdinger es ausdrückt, der Direktor des neu errichteten NS-Dokumentationszentrums, das am 1. Mai 2015 eröffnet wurde. Hier befand sich bis 1945 das Palais Barlow: 1930 nach dem Wahlerfolg von den Nationalsozialisten gekauft und in die Parteizentrale der NSDAP umgewandelt. Das fortan sogenannte „Braune Haus“ wurde zum Nukleolus des Verwaltungszentrums der Partei, die peu à peu Grundstücke und Bauten rund um den Königsplatz kaufte oder neu errichtete. Ende der dreißiger Jahre arbeiteten in dem Gebiet rund 6.000 Angestellte der NSDAP. Natürlich hat der Königsplatz eine viel längere Geschichte: Unter Leo von Klenze erhielt er seine jetzige Form, er ist ein Hauptwerk des Klassizismus und ein Grund für die Bezeichnung Münchens als „Isar-Athen“. Aber die Geschichtsschicht, die die Nationalsozialisten hinzugefügt haben, tritt dieser Tage stärker ins Bewusstsein und die öffentlichen Debatten.

Dass es überhaupt zu dieser Debatte kam, ist zahlreichen Bürgerinitiativen und nicht zuletzt der Arbeit des nahe gelegenen, im ehemaligen „Verwaltungsbau“ der NSDAP untergebrachten Zentralinstituts für Kunstgeschichte zu verdanken. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institutes beschäftigen sich schon länger mit der Geschichte des Ortes, geben Führungen und haben bereits 1995 eine Ausstellung zum Thema präsentiert.

Über sechzig Jahre nach Kriegsende hatte der Münchner Stadtrat 2008 einen Wettbewerb für die Errichtung eines „Lern- und Erinnerungsortes“ beim Baureferat in Auftrag gegeben. In der Aufgabenstellung war bereits gefordert worden, dass „der fundamentale Bruch mit der Geschichte des Standorts und zu den überlieferten NSDAP-Verwaltungsbauten durch die Architektur und Gestaltung des Außenraums“ deutlich gemacht werden sollte. Auch sollte kein „Markenzeichen“ entstehen, so Nerdinger. Das hält der Neubau von GEORG • SCHEEL • WETZEL ARCHITEKTEN ein und übersetzt die Forderungen mit den Mitteln der Schlichtheit und Zurückhaltung: In seiner Formensprache und Kubatur erinnert nichts an den Vorgängerbau.

Der Neubau ist ein Würfel aus weiß gefärbtem Sichtbeton mit einer Kantenlänge von 22,5 Metern, der durch unterschiedlich große, teils übereck angeordnete Fensterflächen mit lamellenartigen Unterteilungen gegliedert ist. Ihm vorgelagert ist eine ebenfalls weiße, quadratische Terrasse. In den Ansichten der Planung ist er von hohen Bäumen umstanden, seine Fernwirkung wird sich also in den nächsten Jahren noch verändern. Dass alles weiß gefärbt ist, außen wie innen, könnte man als etwas zu viel Symbolik bewerten. Wahrscheinlicher ist aber, dass auch hier vor allem die Eigenschaften „neutral“ und „schlicht“ maßgeblich waren. Insgesamt gibt der Bau sich sehr clean, fast aseptisch  auf die formale Nähe zur Zentrale eines Wirtschaftsprüfers an der Münchner Hackerbrücke wurde schon polemisch hingewiesen.

Im Innern erheben sich vier Ausstellungsgeschosse und ein fünftes Geschoss mit Büroräumen über dem Erdgeschoss, das die Information und einen kleinen Buchladen beherbergt. Die ursprünglich für das Erdgeschoss geplante Caféteria befindet sich nun in einem der beiden Untergeschosse und hat eher die Atmosphäre einer Kantine. Daneben befinden sich Hörsaal, Seminarräume und die Bibliothek mit schöner Eichenholzvertäfelung.

In der Ausstellung, in der vor allem der Aufstieg der Nationalsozialisten in München und die Rolle der Stadt als „Hauptstadt der Bewegung“ beleuchtet wird, findet man keine originale Objekte, sondern stattdessen eine unglaubliche Fülle an Texttafeln, Fotografien, Zeitungsberichten und Videos. Das einzige Original der Ausstellung ist der Ort selbst, der durch die Fenster hinein dringt. Man blickt so zum Beispiel auf die Sockel der zerstörten „Ehrentempel“, wo die Nationalsozialisten in den Dreißigern ritualisierte Versammlungen abhielten. Auf diesen Blick antworten Videodokumentationen, die direkt vor den Fenstern installiert sind und Aufnahmen eben dieser Aufmärsche jenen von der Sprengung der Tempel durch die Amerikaner dialektisch gegenüberstellen. Die Ehrentempel waren bis vor kurzem noch als Biotop eingetragen und vollständig überwuchert – man hat buchstäblich Gras über die Sache wachsen lassen. Einer davon wurde nun auf Betreiben des NS-Dokumentationszentrums freigelegt.

Die Einrichtung des Baus barg einige Herausforderungen: Das Raumprogramm ist groß und der Platz eng bemessen. Bis zu 300.000 Besucher mit 1.800 Gästen an Spitzentagen werden erwartet. Derzeit ist der Besucherandrang sehr groß, alles wirkt noch gedrängt in der Ausstellung, die in den Korridoren präsentiert wird. Für Kunstausstellungen ist es ein recht ungeeigneter Ort: In der Wechselausstellung im ersten Obergeschoss behalf man sich mit hölzernen Stellwänden, da an den Sichtbetonwänden nichts angebracht werden kann. Das ist zwar eine sehr zeitgenössische Präsentationsform, wirkt insgesamt aber eher provisorisch. Aus Platzgründen mussten beispielsweise auch die Schachttreppen übereinander angeordnet werden, so dass der Besucher zum rückwärtigen Ende der Treppe gehen muss, wenn er hinabmöchte. Was unter anderem zur Folge hat, dass man immer anderthalb Mal den Kern umrundet, wenn man durch die Ausstellung geht.

Da die Ausstellung mit dem Jahr 1918 beginnt und sich chronologisch bis in die Gegenwart erstreckt, wird man mit den Eindrücken aus der jüngsten Vergangenheit in die Welt draußen vor der Tür entlassen. Dort begleiten ihn noch eine künstlerische Arbeit von Benjamin und Emanuel Heisenberg: Teilweise in den Boden eingegrabene Monitore kombinieren Bilder und Texte der NS-Zeit mit zeitgenössischen Bildern, woraus sich unerwartete Assoziationsketten ergeben. Auch nachts laden sie zur Auseinandersetzung mit einem Thema ein, das noch längst nicht abgeschlossen ist.

Juliane Richter

GEORG • SCHEEL • WETZEL ARCHITEKTEN, NS-Dokumentationszentrum München, 2011-2014, Bauherr: Landeshauptstadt München

Fotos: Stefan Müller, Jens Weber, Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv

 

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