Buch der Woche: Eventisierung der Stadt

Konfetti und Kommerz

Die Stadt ist immer mehr ein Schauplatz von Ökonomisierung – das konstatieren Soziologen bereits seit Jahrzehnten. Neben der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung wird dabei auch auf die Eventisierung der Stadt hingewiesen: Gemeint ist die Entwicklung einer Eventkultur, im Rahmen derer Ereignisse und Erlebnisse eine immer größere Rolle spielen und auch als Teil eines unternehmerisch denkenden Stadtmarketings geschaffen, gelenkt und gefördert werden. Von Stadtfesten und Stadtmarathons über Street-Food-Markets bis hin zu Open-Airs und Festivals dienen die Veranstaltungen dabei der Imagesteigerung der jeweiligen Stadt, die sich im nationalen und internationalen Wettbewerb behaupten muss. Die Publikation „Eventisierung der Stadt“, herausgegeben von Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus und Francis Müller, hat den Trend nun in Bezug auf die Stadt Zürich untersucht und zeigt auf, dass mittlerweile eine Belastungsgrenze für die Stadt erreicht ist.

Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus, Francis Müller (Hrsg.): Eventisierung der Stadt. Berlin 2019.

Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus, Francis Müller (Hrsg.): Eventisierung der Stadt. Berlin 2019.

Warum nun gerade Zürich? Wie Daniel Späti darlegt, ist es zum einen die überschaubare Dimension der Stadt (knapp 430.000 Einwohner) als auch ihre sehr deutlich ablesbare Entwicklung in Hinblick auf die Kultur- und Unterhaltungsindustrie seit den 1980er Jahren. Gleich am Anfang werden dazu Daten und Fakten von Philipp Klaus präsentiert: Seit den 1980ern hat sich etwa die Zahl der Gesuche für die Bewilligung von Straßenfesten in Zürich verdoppelt. Während die Anzahl bewilligter Veranstaltungen seit 2006 ungefähr konstant ist, werden Ausmaß und Aufwand immer größer – ablesbar etwa an der mehr als vierfachen Anzahl an Event-Caterern. Insbesondere bei den Diskotheken und Clubs gab es einen gewaltigen Anstieg – seit 1995 stieg die Anzahl von 45 auf über 1000. Hinzu kommen unzählige andere kulturelle Angebote, die mittlerweile nur noch von professionellen Unternehmen erfasst werden können, die sie wiederum an Printmedien weiterverkaufen.

Wie Gabriela Muri in ihrem Beitrag zur Begriffsgenese zeigt, steht das Event in einer Entwicklungslinie mit traditionellen Festen, Feiern und Ritualen: „Als solche zeigen sie Zusammengehörigkeiten auf und repräsentieren ein bestimmtes Selbstverständnis des interessierten Publikums“, so Muri. Zudem sind sie auch als „Pausen im Alltag“ zu sehen, „die Sehnsucht nach freier Zeit, Gemeinschaft und Glück erfüllen“. Was das Event jedoch zu einem „genuin modernen Phänomen“ macht, ist laut Francis Müller seine Charakteristik des produziert und konsumiert Werdens – die kapitalistische Verwertungslogik ist hier quasi schon eingeschrieben. Zudem sind Events im Gegensatz zu Riten und Festen nicht als „totale“, mit gewissen gesellschaftlichen Zwängen behaftete Ereignisse zu verstehen, sondern sind im Zeitalter der Individualisierung eine „moderne Form der temporären und situativen Vergemeinschaftung“, so Müller.

Wenngleich Events auch einen wichtigen Teil von Lebensqualität darstellen können, geht es dennoch immer wieder um die Schattenseiten der Eventisierung. Abstumpfung angesichts des Überangebots ist mitunter die Folge: „Allein schon ein Blick in den Eventkalender einer mittelgroßen Stadt oder gar eines Altersheims zeigt einen Wandel in Richtung Anreihung verschiedener Höhepunkte auf“, so Muri. Bei so viel Highlights steigt der Druck, mitzuhalten. Auch die Angst, etwas zu verpassen, FOMO (Fear of missing out) genannt, gehört zu den Begleiterscheinungen.

Eroeffnung Landesmuseum am 31. Juli 2016

Vor allem aber ist auch die Ökonomisierung eine zentrale Problematik, wenn das Event vornehmlich der Verfolgung kommerzieller Ziele dient. Wie Gabriela Muri beleuchtet, ist dies besonders bei Sportevents durch die Abhängigkeit von Sponsorengeldern evident und in Hinblick auf die Verflechtung der Akteure der Stadt mit denen der Wirtschaft mindestens bedenklich. Gerade das in Zürich sehr beliebte freestyle.ch-Festival für Sportarten wie Snowboarden und Skaten sei hierfür beispielhaft: Dieses werde „als Szeneevent wahrgenommen“, während der global agierende Hauptsponsor „keinen Bezug zur Szene“ habe. „Dieser kann damit sein Image verbessern, und durch die Unterstützung der Stadt Zürich positioniert sich die Stadt im Wettbewerb der coolen Standorte, finanziert indirekt jedoch die Sichtbarkeit der Sponsoren mit“. Als Marketingstrategie werden Events als „warme Kommunikation“ betrachtet – hier werden Emotionen adressiert und die erhofften Werbeeffekte sind besonders hoch.

Platzfäscht, Foto: Stefan Tschumi

Deutlich wird insgesamt, dass die „Eventitis“, wie Daniel Späti es nennt, in Zürich ein Maß angenommen hat, das zu zahlreichen Interessenkonflikten, etwa zwischen Anwohnern, Geschäftstreibenden und Eventveranstaltern führt. Dabei ist die Stadt in der schwierigen Situation, entscheiden zu müssen, wie viele und welche Events im öffentlichen Raum stattfinden. Wie die Macher des Buches immer wieder hervorheben, muss – und das betrifft nicht nur Zürich, sondern auch viele andere Städte – eine Qualitätsdebatte in Bezug auf die Veranstaltungskultur angestoßen werden: „Die entsprechende Auseinandersetzung müsste auf einer Diskussion basieren, wie die Lebensqualität einer Stadt diesbezüglich zu bewerten und zu gestalten (oder eben nicht zu gestalten) ist, nicht nur seitens der Behörden, sondern auch aller weiteren Protagonisten wie Veranstaltern, Teilnehmenden oder vom Lärm und Abfall betroffenen Bürgern.“

Elina Potratz

Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus, Francis Müller (Hrsg.): Eventisierung der Stadt. 408 Seiten, 20 farb. und 20 s/w Abb, jovis Verlag, Berlin 2019, 38,– Euro, ISBN 978-3-86859-493-5

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