Buch der Woche: Landschaft als Aggregat

Mutation und Morphose

Günther Vogt ist einer der bedeutendsten Landschaftsarchitekten dieser Zeit. Der ziegelsteingroße Band, den er jetzt gemeinsam mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter an der ETH Zürich, Thomas Kissling, herausgegeben hat, sprengt den Rahmen jeder konventionellen Rezension. „Mutation und Morphose“ ist ein etwas übergroßer Band, der prallvoll mit Bildern und Texten aller Art ist. Seine assoziative Struktur vermeidet einen linearen Leseweg durch das Buch. Vielmehr ist der Inhalt in Kategorien aufgeteilt: Projektdarstellungen vom Büro Vogt und einigen anderen wechseln sich mit Gesprächen ab, die Günther Vogt unter anderen mit dem Kollegen Roger Diener, dem Ausstellungsmacher Chris Dercon und dem Künstler Olafur Eliasson führte. Dazwischen finden sich Portraits von Gewächsen wie dem Fagus Sylvatica (Rotbuche) und dem Lolium Perenne (Rasengras) und Tieren wie dem Canis Lupus (Wolf) und der Apis mellifera (Honigbiene), die die Kulturlandschaften prägen oder geprägt haben. Darüber hinaus ist Platz für eingestreute Interventionen von Grafikern und Künstlern.

Schafherde am Passo Brocon, Italien 2008, Foto: Giancarlo Rado

Schafherde am Passo Brocon, Italien 2008, Foto: Giancarlo Rado

Reflexionen über landschaftsplanerische Aufgaben von den Alpen über den Green Belt bis zum Stadtgarten zeigen die Bandbreite der Arbeit von Günther Vogt, seinem Büro und seinem Lehrstuhl. Auf mehreren Blättern erscheinen Maximen der Arbeit des Landschaftsarchitekten, die man sich durchaus zu Herzen nehmen kann: So ist beispielsweise Vogts Leidenschaft für Field Trips als Methode der Ortsbegehung en passant auch jenseits der Arbeit an Landschaft und Park von Bedeutung: „Das absichtliche oder absichtslose Gehen ermöglicht auch die unmittelbare oder zufällige Interpretation von Landschaft“. Die Publikation hingegen ermöglicht eine überaus kenntnisreich begleitete Reise in das Wesen der Landschaft und zu den unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man mit ihr heute umgehen kann. Beim Lesen und Blättern entwickelt sich unversehens ein enzyklopädisches Erlebnis, in das man mehr und mehr hineingezogen wird. Insofern ist es schade, dass das Buch etwas unhandlich ist, denn auf einen Field Trip mitnehmen kann man es nicht.
Andreas Denk

Mutation und Morphose. Landschaft als Aggregat. Hrsgg. von Günther Vogt und Thomas Kissling, 656 S., zahlr. Abb., 50.- Euro, Lars Müller Publishers, Zürich 2020, ISBN 978-3-03778-619-2.

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