Alexandra Schmitz, Ulrich Grenz, Philipp Loeper, asdfg Architekten (HH)

Offene Werkstatt

„Proberaum“ nennen asdfg Architekten die Halle 4b im Hamburger Oberhafenquartier, in der sie und STLH Architekten ihre Büros bezogen haben, um in einer „offenen Werkstatt für Architektur“ gemeinsam mit verwandten Disziplinen an Zukunftsfragen zu arbeiten. Diese reichen vom ressourcenschonenden Ausbau der vormals leerstehenden Halle mit wiederverwendeten hölzernen Saft-Transportkisten über den Prototyp einer Virtual-Reality-Schaukel bis hin zum temporären Sommerlager einer traditionsreichen Kunstbuchhandlung, die sich hier während des Umbaus ihres Stammhauses neu erfinden will. Ursprünglich sollte die Halle – wie auch der Rest der langen Schuppen des ehemaligen Güterbahnhofs – neuen Gewerbebauten der HafenCity weichen. Schließlich entschloss sich die Stadt jedoch dazu, sie zu erhalten und die aufkeimende kreativwirtschaftliche Nutzung zu fördern. So herrscht heute ein lebendiges Treiben auf der entstandenen Ladenstraße und im neuen Garten entlang des Hafenbeckens.

asdfg Architekten / STLH Architekten, PRO Proberaum Oberhafen – Offene Werkstatt für Architektur, Hamburg, seit 2019, Foto: asdfg / Proberaum

asdfg Architekten / STLH Architekten, PRO Proberaum Oberhafen – Offene Werkstatt für Architektur, Hamburg, seit 2019, Foto: asdfg / Proberaum

Das Gespräch mit Alexandra Schmitz, Ulrich Grenz und Philipp Loeper findet in ihrem Besprechungsraum statt, der Keimzelle des Ausbaus, die während der ersten Bauarbeiten nur eine Warmluftblase aus Malerfolie war und mittlerweile zu einem mit Stoff bespannten Zelt gewachsen ist. Um nicht die gesamte Halle heizen zu müssen und möglichst viel Fläche flexibel für Veranstaltungen, Workshops, Ausstellungen an andere öffentliche Austauschformate freizuhalten, sind die Einbauten platzsparend gehalten und an den Rändern der Halle geclustert. Alles ist aber noch im Werden, was Alexandra Schmitz eindeutig als Qualität begreift: „So attraktiv ich als Architektin perfekt gestaltete und fertige Räume finde, so endgültig erlebe ich sie auch. Demgegenüber ist es eine wahnsinnige Qualität, hier Platz und Freiheiten zu haben, um unsere Umgebung zu entwickeln.“

Diese Umgebung reicht bis ins Quartier hinaus, wo asdfg Architekten ihre Kompetenzen ebenfalls einbringen. Philipp Loeper erläutert: „Als Architekturbüro verfügen wir ja über die Werkzeuge, um Wünsche aus dem Beteiligungsprozess zu visualisieren und räumlich zu strukturieren.“ Alexandra Schmitz ergänzt lachend: „Wir haben auch immer ein Interesse daran, unsere Umgebung zu gestalten. Es ist also nicht nur altruistisch, sondern hat auch damit zu tun, dass wir klare Vorstellungen davon haben, was dem Ort guttun würde.“

asdfg Architekten / Jesko Fezer / Glen Oliver Löw, BHH Bibliothek der Hochschule für bildende Künste, Hamburg 2016, Fotos: Michael Pfisterer

asdfg Architekten / Jesko Fezer / Glen Oliver Löw, BHH Bibliothek der Hochschule für bildende Künste, Hamburg 2016, Fotos: Michael Pfisterer

Das bauliche Erbe Hamburgs liegt ihnen am Herzen, wie auch die gezielten Eingriffe beim Umbau von Fritz Schumachers Bibliothek der Hochschule für bildende Künste zeigen. Unter anderem entwickelten sie in Zusammenarbeit mit den örtlichen Professoren Jesko Fezer und Glen Oliver Löw ergänzende Tische auf Grundlage der bauzeitlichen Möbel. So überrascht es nicht, dass Ulrich Grenz die Gründung ihres Büros als „Entscheidung für Hamburg“ bezeichnet. Alle drei weder hier aufgewachsen noch ausgebildet, waren sie 2006 im Team von Herzog & de Meuron zum Bau der Elbphilharmonie in die Stadt gekommen. Alexandra Schmitz arbeitete am Dach, Ulrich Grenz an der Neubaufassade und Philipp Loeper am Konzertsaal.

Hochschule Wismar (Studierende: Frauke Nessler, Hannes Eggert, Joel Laurino, Moritz Niebler; Lehrende: Asko Fromm, Philipp Loeper), Pavillon „Instant Space“ aus ehemaligen Transportkissen für Paneele des großen Saals der Elbphilharmonie, Proberaum 2019, Foto: asdfg

Hochschule Wismar (Studierende: Frauke Nessler, Hannes Eggert, Joel Laurino, Moritz Niebler; Lehrende: Asko Fromm, Philipp Loeper), Pavillon „Instant Space“ aus ehemaligen Transportkissen für Paneele des großen Saals der Elbphilharmonie, Proberaum 2019, Foto: asdfg

Als die Fertigstellung dieser Teilbereiche absehbar wurde, entschieden sie sich zum Bleiben und gründeten 2011 asdfg Architekten, benannt nach der Buchstabenfolge in der mittleren Reihe einer Tastatur. Philipp Loeper erläutert: „Der Name steht für Offenheit, sowohl inhaltlich als auch personell. Darüber hinaus strahlt er Computeraffinität aus, was zu unserer Arbeitsweise passt, weil wir konsequent digital modellieren.“ Der Weg in die Selbstständigkeit erschien ihnen beinahe zwangsläufig, erinnert sich Alexandra Schmitz: „Anders als bei heutigen Studierenden waren die freischaffende Architektin und der freischaffende Architekt in unserer Generation der späten 1970er Jahrgänge, die um die Jahrtausendwende studiert hat, noch das Idealbild.“ Ulrich Grenz ergänzt: „Wir wollten ganzheitlicher arbeiten, statt im nächsten Großprojekt wieder über Jahre hinweg einen Teilbereich zu entwickeln. Das bedeutete natürlich aber auch einen starken Maßstabswechsel.“

asdfg Architekten, SST Sky‐Stack, Kassel 2012, Foto: asdfg

asdfg Architekten, SST Sky‐Stack, Kassel 2012, Foto: asdfg

Die Beschäftigung mit städtebaulichen Dominanten blieb ihnen allerdings erhalten. 2012 gewannen sie einen Wettbewerb zur Aufwertung eines strukturschwachen Kasseler Stadtteils mit ihrem Vorschlag, spiegelnde Ringe an einem Industrieschornstein anzubringen – mit dem verblüffenden Ergebnis, dass dessen obere Segmente im Himmel zu schweben scheinen. Das ursprünglich als temporäre Intervention geplante – und dementsprechend low-budget mit auf PVC aufgezogener Spiegelfolie umgesetzte – Projekt erfreut sich anhaltender Beliebtheit, sodass die Ringe inzwischen in Edelstahl produziert wurden und dauerhaft bleiben dürfen. Die Bedeutung einer solchen Intervention möchte Ulrich Grenz im Vergleich zu anderen Aufgaben nicht zu niedrig einstufen: „Weil sie für viele Leute im Stadtbild sichtbar ist, hat sie unter Umständen eine höhere Relevanz als private Einfamilienhäuser“ – mit denen sich asdfg Architekten auch auseinandergesetzt haben.

asdfg Architekten, MMB Müllerhaus Metzerstrasse, Berlin 2014, Foto: Michael Pfis­terer

asdfg Architekten, MMB Müllerhaus Metzerstrasse, Berlin 2014, Foto: Michael Pfis­terer

Der „Durchbruch“ gelang ihnen zum Beispiel mit dem Umbau eines ehemaligen Müllerhauses in zweiter Reihe in Berlin. Mit seinem Baujahr 1844 ist es das älteste erhaltene Gebäude des Prenzlauer Bergs, wobei diverse Umbauten der Vergangenheit bereits fast alle bauzeitlichen Spuren zerstört hatten. Der Denkmalschutz forderte die Wiederherstellung der historischen Fassadenstruktur anhand einer erhaltenen Ansichtszeichnung. asdfg Architekten wollten die vorgegebenen Linien nicht, wie vermutlich in der ursprünglichen Fassade, als in den Putz eingeritzte Bossenstruktur umsetzen, sondern interpretierten sie stattdessen als Höhenversprünge im Putz. „Es hat uns sehr viel Zeit und noch mehr Darstellungen und Modelle gekostet, das Denkmalschutzamt von unserem höheren Abstraktionsgrad zu überzeugen“, erinnert sich Philipp Loeper. „Wir wollten die Geschichte des Hauses sichtbar machen, aber keine historisierende Fassade entwerfen, die vorgibt, 170 Jahre alt zu sein.“ Im Innern entfernten sie alle Wände bis auf eine mittige tragende Mauer, die mit ihren Öffnungen den entstandenen Raum gliedert. Eine dieser Öffnungen wird effektvoll von der Küche durchstoßen.

asdfg Architekten, MMB Müllerhaus Metzerstrasse, Berlin 2014, Foto: Michael Pfis­terer

asdfg Architekten, MMB Müllerhaus Metzerstrasse, Berlin 2014, Foto: Michael Pfis­terer

Das Zentrum des Hauses ist die Treppe, inszeniert von einem kleinen Podest, mit dem sich die Laufrichtung ändert und an der Mauer entlang nach oben führt. Philipp Loeper erinnert sich: „Das Podest war schon auf der Baustelle eine kleine Bühne. Uns war wichtig, dass die Erschließung nicht in einem Treppenhaus verschwindet, sondern den hohen Raum erlebbar macht.“ Das Erdgeschoss ist auf knapp der Hälfte der Fläche doppelstöckig, bevor sich das Obergeschoss mit einer als Arbeitsraum genutzten Galerie hineinschiebt. Dahinter folgen die privaten Zimmer, kompakt angelegt mit Schlafplätzen auf Emporen. Was nicht viele Projekte schaffen, ist diesem Haus gelungen: der Sprung in eine überregionale Tageszeitung, in diesem Fall die FAZ. Die gesteigerte Sichtbarkeit hat allerdings nicht unmittelbar zu neuen Aufträgen geführt. Philipp Loeper liefert eine Erklärung: „Die städtebauliche Situation, der Umbau eines freistehenden Einfamilienhauses im Zentrum von Berlin, ist einzigartig und deswegen nicht direkt auf andere Projekte übertragbar.“

asdfg Architekten, ABZ Anbau an denkmalgeschütztes Einfamilienhaus, Hamburg 2017, Foto: Michael Pfisterer

asdfg Architekten, ABZ Anbau an denkmalgeschütztes Einfamilienhaus, Hamburg 2017, Foto: Michael Pfisterer

Ein weiteres individuelles Projekt ist der Anbau an ein Hamburger Wohnhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert, den asdfg Architekten aus Gründen des Denkmalschutzes teilweise eingruben, um die Silhouette des Hauses inklusive des Schleppdachs nicht zu zerstören. Weil die Bauherren den Bestand als kleinteilig empfanden, wünschten sie sich den Anbau als ein großes Wohnzimmer. Auch ästhetisch sollte er mit seinen Betonoberflächen einen Kontrast zum ornamentalen Altbau herstellen. Jenseits formaler Fragen ringen asdfg Architekten merklich um ihr Berufsbild und ihre Verantwortung. Alexandra Schmitz fasst den inneren Konflikt in Worte: „Wir sind an akribisch und hochwertig gestalteten Räumen interessiert. Die Elbphilharmonie ist ein extremes Beispiel dafür und hat in ihrer Einzigartigkeit ihre Berechtigung. Obwohl sie für viele Menschen zugänglich ist, liefert sie aber wenige Antworten auf ökologische und soziale Fragen. Deswegen faszinieren uns auch das Experiment und das Einfache, Unfertige. Im Reallabor Proberaum und im gesamten Oberhafen können wir die Reduktion der Mittel testen, die unter dem Einfluss des Klimawandels eine große Rolle spielen wird.“
Maximilian Liesner

www.asdfg.co

neu im club im DAZ
Talk mit Alexandra Schmitz, Ulrich Grenz und Philipp Loeper:
3. November 2021, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de

Medienpartner: www.marlowes.de

neu im club wird unterstützt von Haushahn, Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern

BILDERGALERIE:

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert