Buch der Woche: Hannsjörg Voth und Ingrid Amslinger

Zu Lande und zu Wasser

Hannsjörg Voth ist spätestens seit seinem Projekt „Reise ans Meer“ (1975–1978) deutschlandweit ein Begriff. Mit Bundeswehrsoldaten hatte er ein 32 Meter langes Floß zum Transport einer zwanzig Meter langen, liegenden und bandagierten Skulptur geschaffen. Drei Jahre dauerten die Vorbereitungen. Allein das Einholen aller Genehmigungen und die entsprechenden Auseinandersetzungen mit den zuständigen Ämtern und Schifffahrtsbehörden möchte man sich nicht ausmalen. Mit sechs Flößern wurde die, eine Bleimaske tragende Figur im Mai 1978 innerhalb weniger Tage von Speyer aus den Rhein hinab bis in die Nordsee manövriert, wo sie, einem traditionellen Ritus gleich, in Flammen aufging. All das dokumentierte Ingrid Amslinger.

Hannsjörg Voth, Feldzeichen, 1973-75, Fotografie: Ingrid Amslinger, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Hannsjörg Voth, Feldzeichen, 1973-75, Fotografie: Ingrid Amslinger, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Von ihr stammen seit den „Feldzeichen“ (1973–1975) alle Bilder der Arbeiten von Hannsjörg Voth. Es ist paradox: Auf der einen Seite betont Voths stets, die Realisierung einer Idee sei im Gegensatz zur Konservierung eines Objekts der Kern seiner Arbeit, auf der anderen Seite ist ihm die Dokumentation der Realisierung doch wichtig. Das Buch, das Amslinger und Voth zu den „Feldzeichen“ machten, ist bis heute ein eindrückliches Zeugnis typischer Konzeptbücher aus den 1970ern. Jegliche Form von Korrespondenz mit den Behörden ist darin enthalten, genau wie erste Zeichnungen und die Bilder der von Vandalen nur sechs Wochen nach ihrer Aufstellung gefällten, knapp 30 Meter hohen Fichtenstämme.

Hannsjörg Voth, Stadt des Orion, 2003, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Hannsjörg Voth, Stadt des Orion, 2003, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt noch bis zum 13. September die Ausstellung „Zu Lande und zu Wasser. Hannsjörg Voth, Ingrid Amslinger“. Der begleitende Katalog ist ein beredtes Zeugnis des holistischen Arbeitens dieses Künstlerpaares. Seit der „Reise zum Meer“ gehört das Wohnen und Arbeiten in den Objekten für Voth und Amslinger zum Werk. Analog zur Schau in Wuppertal dokumentiert die Publikation, mitgestaltet vom gelernten Grafiker Voth selbst, die Projekte „Feldzeichen“ (Ingelsberg bei München, 1973–1975), „Reise ans Meer“ (Rhein, 1975–1978), „Boot aus Stein“ (Ijsselmeer, Niederlande, 1978–1981), „Himmelstreppe“ (Marha-Ebene, Marokko, 1980–1985), „Zwischen Sonnentor und Mondplatz“ (München, 1991–1993), „Goldene Spirale“ (Marha-Ebene, Marokko, 1992–1997) und „Stadt des Orion“ (Marha-Ebene, Marokko, 1997–2003). Kurze Texte kontextualisieren die teils immens großen Objekte, die durch die feinen Collagen Voths und die präzisen Schwarzweiß-Fotografien Amslingers für sich sprechen.

Hannsjörg Voth, Himmelstreppe, 1987, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Hannsjörg Voth, Himmelstreppe, 1987, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Die genauen und grafisch akkurat komponierten Collagen Voths, die ohne weiteres Anschauungsmaterial für jede Einführungsvorlesung in die Architekturdarstellung sein könnten, stehen in krassem Gegensatz zu den groben Wasserfarben- und Materialbildern, die das letzte Drittel des Buchs einnehmen. Katalog wie Ausstellung zeigen zwei Zyklen, die in der „Himmelstreppe“ entstanden. Voth sagte in einem 1996 publizierten Gespräch einst, er glaube zwar, „dass jede künstlerische Botschaft eine Aussage hat. Falsch wäre aber zu glauben, dass ich in erster Linie Botschaften vermitteln will. Es geht mir primär um die egoistische Realisierung meiner Wunschvorstellungen.“ Interessant sind sie dennoch – und zwar nicht nur auf technischer Ebene. Staub, Asche, Sand und andere Materialien der Wüste applizierte Voth auf einen im Vorfeld auf die Papiere aufgetragenen Kleber, in die feuchte Masse ritzte und malte er schließlich Figuren. Diese wiederum sind immer wieder von den gleichen Motiven geprägt. Tiere tauchen auf, Speere, Masken, Hörner, Geschlechtsteile. Dass es sich derart wiederholt, ist aber insofern bemerkenswert, als der Künstler im selben Gespräch davon sprach, dass die Impulse für seine Arbeiten stets aus ihm selbst kämen. Und zwar als eine Mischung aus kindlichen Erinnerungen – so habe er einst das „Boot aus Stein“ schon einmal im Kleinen aus Torf gebaut – und einer Art Urinstinkt, der jedem „unverbildeten Menschen“ innewohne.

Hannsjörg Voth, Boot aus Stein, 1978-81, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Hannsjörg Voth, Boot aus Stein, 1978-81, Fotografie: Ingrid Amslinger, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Die Fotografien Amslingers aber setzen das gebaute Werk, das stets in engem Austausch mit einheimischen Handwerkern entsteht, derart in Szene, das man sich ihm kaum entziehen kann. Die skulpturalen Objekte entfalten eine beeindruckende plastisch-räumliche Kraft. Anders als die Ausstellung verzichtet der Katalog auch auf eine zusätzliche Gewichtung der Werke Voths und Amslingers. Zwar steht auch hier ihr Name unter seinem, doch sind beide im gleichen Schriftgrad gesetzt – die Ausstellung legt da mittels fetter Lettern ein deutliches Gewicht auf den Namen des Mannes. In der Kombination mit den Collagen Voths sind die Fotografien Amslingers eine Begegnung auf Augenhöhe und ein Anschauungsbeispiel dafür, wie Architektur, die diese Kunst in weiten Teilen ist, präsentiert werden kann.

David Kasparek

Von der Heydt-Museum Wuppertal / Antje Birthälmer / Anna Storm (Hrsg.): Zu Lande und zu Wasser. Hannsjörg Voth, Ingrid Amslinger, 132 S. zahlr. Abb., 20,– Euro, Wuppertal 2020, ISBN 978-3-89202-103-2

Die Ausstellung „Zu Lande und zu Wasser. Hannsjörg Voth, Ingrid Amslinger“ läuft noch bis 13.9.2020
Von der Heydt-Museum
Turmhof 8
42103 Wuppertal
Öffnungszeiten: Di-Fr 14.00-18.00 Uhr, Do 14.00-20.00 Uhr, Sa+So 11.00-18.00 Uhr

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