Spaziergänge mit Heiner Farwick

am warmen herd

Der November ist eine dunkle Zeit, die jedes Jahr aufs Neue mühsam ausgelotet werden will. Das erfuhren auch unsere beiden Protagonisten Heiner Farwick, Präsident des BDA, und Andreas Denk, Chefredakteur dieser Zeitschrift, als zum Ende des Herbstmonats die Termine für einen gemeinsamen Spaziergang knapp wurden. Stattdessen einigten sie sich auf ein Telefongespräch, das den Vorteil klimatischer und menschlicher Wärme trotz ungemütlicher Außentemperaturen bot. Das Thema des talks: das BDA-Jahr 2016.

Andreas Denk: Herr Farwick, spätestens am ersten Advent merkt der Architekt, was er im letzten Jahr getan hat, was noch zu tun ist und was nicht mehr zu schaffen ist.  Ich glaube, der BDA kann auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken, das ihn als wichtigste architekturkulturelle und bedeutsame architekturpolitische Kraft in der Republik gefestigt hat. Was war für Sie der Höhepunkt des Jahres?

Heiner Farwick: Das war der BDA-Tag. Er war auf vielen Ebenen erfolgreich: Da war diese großartige Eröffnung mit einem Abend der jungen Architekten, der uns vermittelte, mit wie viel Engagement und Freude an der Architektur die jungen BDA-Kolleginnen und Kollegen arbeiten; es war dieser sehr starke programmatische Teil zum Thema „Wohnen“, bei dem wir mit Jacques Blumer, Doris Thut und Hermann Hertzberger Protagonisten einer zurückliegenden Zeit mit jungen Kollegen zusammengebracht haben. Dabei wurde deutlich, dass manche der vielfältigen Ansätze eines „neuen“ Wohnens, die wir beleuchten konnten, gar nicht so neu waren – sondern dass es klug sein kann, sich auf Positionen zu besinnen, die schon vor vierzig oder fünfzig Jahren diskutiert und erprobt worden sind. Und schließlich gab es die Preisverleihung der Nike mit bemerkenswerten Bauwerken, Bauherren und Architekten – ein feierlicher Höhepunkt der Veranstaltung.

Andreas Denk: Mir ist aufgefallen, dass das Thema des Generationenaustauschs immer wieder gewinnbringend ist. Der BDA hat einen hohen Altersdurchschnitt, den die Länder ziemlich erfolgreich immer mehr durch Neuberufungen verringern. Tatsächlich scheint es zu gelingen, die unterschiedlichen Altersstufen im BDA in ein produktives Gespräch miteinander zu verwickeln. Ist das ein Weg aus der „Alterskrise“, die jeder Verband immer wieder durchlebt?

Heiner Farwick: Na, von Alterskrise kann man sicherlich nicht sprechen. Der BDA ist überaus lebendig. Der Austausch über die architektonischen Generationen hinweg ist aber ein guter Weg, weil er erhellt, dass die Besetzung architektonischer Positionen nicht allein durch eine schnelle Medienwahrnehmung möglich ist, sondern einer tieferen Begründung bedürfen, die erst über einen langen Zeitraum der beruflichen Tätigkeit zu gewinnen ist. Es geht schließlich nicht darum, ständig nach einem Neuen zu suchen, sondern dass wohlfundamentierte Positionen weitertragen. Wenn jüngere Generationen das erkennen, ist es ein gutes Zeichen.

Andreas Denk: Es gab – nicht von ungefähr – eine gewisse Personalunion zwischen dem BDA-Tag und einem anderen Projekt des BDA, das BDA und DAZ zusammen erarbeitet haben: die Ausstellung „Neue Standards“, die sich mit zehn Thesen von zehn jüngeren Büros, die im Wohnungsbau arbeiten, dem Kontrast zwischen dem Gewohnten und dem Ungewohnten im Wohnen widmet. Seit Oktober ist die Schau in Berlin zu sehen…

Heiner Farwick: Da können wir beim gerade Gesagten anknüpfen. Ich habe in einer Ausstellungsrezension gelesen, dass in den Thesen ja nicht alles ganz neu sei. Richtig: Es muss nicht immer alles neu sein, man muss sich manchmal genauso der Qualitäten des schon Existenten oder des bereits Erörterten bewusst werden, um dessen Wert für die Zukunft zu erkennen. Die Ausstellung beleuchtet zweierlei. Sie hinterfragt bestehende, vielleicht überkommene Standards, wagt aber gleichzeitig einen mutigen Blick nach vorne, ohne nur nach dem Sensationellen und Spektakulären, Nie-Gesehenen zu schielen. Die Thesen der Architekten zeigen wunderbar, wie die Verbindung von guten Ideen aus der jüngeren Architekturgeschichte mit neuen Vorstellungen überein kommen können.

Foto: Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Die Ausstellung wandert in verschiedene Städte Deutschlands und wirbt dort für ihr Grundthema – nämlich angesichts der Knappheit an „bezahlbarem“ Wohnraum über gleichermaßen finanzierbare wie architektonisch gute Lösungen nachzudenken. Ist die Wanderausstellung auch ein Zeichen für die Landesverbände?

Heiner Farwick: Das Handeln auf mehreren Ebenen ist die große Stärke des BDA. Wir nutzen sie sehr bewusst, um ein durchgreifendes Bewusstsein für solche aktuellen Fragestellungen wie das „Wohnen“ zu wecken und das Querdenken anzuregen. Dabei müssen wir gar nicht trennen: Es gibt nur einen BDA, der sowohl auf Bundes- wie auf Länder- und Regionalebene mit inhaltlicher Qualität argumentiert. Unsere Ausstellung geht beispielsweise einher mit einer schönen Veranstaltungsserie zum Wohnen, die der Landesverband Nordrhein-Westfalen und die lokalen Gruppen im Herbst veranstaltet haben, und der bayerische LV hat eine „Kontroverse zur aktuellen Rechtslage” der Standards im Wohnungsbau herausgegeben: Das zeigt, wie die Architekten des BDA in großen Zügen denken, aber auch sehr spezifisch handeln können.

Andreas Denk: Die Ausstellung „Neue Standards“ ist auch und vor allem durch das Bundesbauministerium finanziert worden. Dies zeigt eine weitere Ebene der Bundesarbeit, nämlich die kontinuierliche Vernetzung und den inhaltlichen Austausch mit der politischen Ebene. Wie erfolgreich war der BDA dort bei der Vermittlung seiner Ideen und Ziele?

Heiner Farwick: Vieles, mit dem wir auf lokaler Ebene konfrontiert sind, wird auf Bundesebene vorgeprägt. Die Gesetze und Verordnungen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, werden in Berlin, mitunter auch in Brüssel gemacht. Das zeigt, welche Bedeutung die Bundesebene im BDA hat: Wir erfahren in Berlin eine große Wertschätzung, unsere Positionen werden auf Ministeriumsseite gehört. Das gilt nicht nur für die Ausstellung, sondern auch bei Sachfragen, wenn es beispielsweise um eine Änderung des BGB in Sachen Bauvertragsrecht geht oder bei der Neugestaltung der Vergabeverordnung. Dazu haben wir übrigens soeben gemeinsam mit den Architektenkammern und den anderen Architektenverbänden, unterstützt durch die kommunalen Spitzenverbände, den „VgV-Leitfaden” vorgelegt.

Andreas Denk: Ein anderes großes Ereignis war das inzwischen schon Tradition  gewordene BDA-Symposium am Eröffnungstag der Biennale in Venedig. Sowohl beim traditionellen Abendessen wie bei der Veranstaltung im deutschen Pavillon war Bundesbauministerin Barbara Hendricks zu Gast. Diesmal ging es um den „Umzug der Menschheit“, also – in einer Abwandlung der Programmatik des deutschen Pavillons – um Klimawandel und Migration…

Heiner Farwick: Wir hatten ein äußerst interessantes und sehr gut besuchtes Podiumsgespräch, bei dem wir unter anderem mit dem Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber und der Migrationsforscherin Naika Foroutan und dem Migrationsexperten Doug Saunders Fragen diskutiert haben, die uns in den nächsten Jahren wohl viel mehr bewegen, als wir derzeit zu ahnen vermögen. Die Veranstaltung war sicherlich ein Augenöffner, den man so schnell nicht vergessen wird.

Andreas Denk: Ähnliche Dimensionen hatte auch die Veranstaltung „Lebensform Stadt“ des Arbeitskreises Stadtplaner im BDA, die im Januar in der Akademie Tutzing stattgefunden hat und weit über die Grenzen der üblichen Diskussion um die Gestaltung der Stadt hinausging. Sie waren dort, was ist hängengeblieben?

Heiner Farwick: Das Symposion, vom Arbeitskreis Stadtplaner im BDA vorbereitet, war ein ganz besonderer Jahresauftakt: In der wunderschönen Atmosphäre der Akademie gab es in einer sehr gut konzipierten Abfolge von Vorträgen und Gesprächen eine Vielzahl von weiterführenden Anregungen jenseits des Alltagsgeschäfts. Die Stimmung des Ortes, die Möglichkeiten, für eine kurze Zeit gewissermaßen aus der Welt zu rücken, wurde geerdet durch die Vorträge und Redebeiträge von Chris Dercon, Wolf Lotter, Guy Dermosessian und vielen anderen, die in der Zusammenschau ein anderes, grundsätzliches Nachdenken über den Sinn der Stadt ermöglicht haben.

Andreas Denk: So, after all, was war Ihre schönste und bereicherndste Begegnung im Jahre 2016?

Heiner Farwick: Das war nicht nur eine Begegnung, sondern es waren die vielen Gespräche am Rande der verschiedenen Veranstaltungen, oft über die Themen der Architektur, oft auch sehr persönlich über das, was uns als Menschen bewegt in unserer Verantwortung für die Zukunft.

Andreas Denk: Und worauf freuen Sie sich am meisten im nächsten Jahr – aus der Sicht des Präsidenten?

Heiner Farwick: Am meisten freue ich mich darüber, dass wir im BDA 2017 mit der gleichen guten Stimmung und inhaltsstark wie bisher weitermachen. Mit Vorfreude denke ich natürlich schon jetzt an den BDA-Tag in Münster, auf den ich als Münsterländer natürlich schon sehr gespannt bin…

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