Buch der Woche: Otto Bartning

Am Puls der Zeit

Im Rahmen des Pressegesprächs zur Eröffnung der Ausstellung „Otto Bartning. Architekt einer sozialen Moderne“ (siehe der architekt 2/17, S. 12-13) am 30. März dieses Jahres erzählten die Kuratorin Sandra Wagner-Conzelmann und der Darmstädter Architekturhistoriker Werner Durth begeistert von der Sichtung des Nachlasses des 1959 verstorbenen Bartnings. Fast entschuldigend fügten beide an, der nun vorliegende Ausstellungskatalog sei eigentlich nur ein Vorspiel für die noch folgende „umfängliche Bartning-Monografie“ (Durth). Wahrscheinlich darf man sich dann auf ein Werk von epochaler Wucht freuen, das da derzeit an der Technischen Universität Darmstadt erarbeitet wird. Denn schon der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung hat es wahrlich in sich. 128 größtenteils dicht bedruckte Seiten sind es geworden, die Durth und Wagner-Conzelmann mit punktueller Unterstützung durch den dritten Autor im Bunde, Wolfgang Pehnt, zusammengetragen haben.

Das Ergebnis ist überaus lesens-, aber leider weniger sehenswert. Grafik und Satz, für die das Team von Polynox verantwortlich sind, wollen zu viel auf zu wenig Raum. Dabei stört nicht so sehr der knapp bemessene Weißraum, als vielmehr die Fülle an Schriften und Absätzen, die mal links, mal rechts angeschlagen sind und als Bildunterschriften wiederum zentriert mittig gesetzt sind. Das ist insofern schade, als dass das Buch inhaltlich umso mehr überzeugt.

Wie auch die Ausstellung nimmt sich der Katalog dem Leben Otto Bartnings chronologisch an. Dabei streift er immer wieder das eine, das benannte Kernthema der Ausstellung: das Soziale im Werk Bartnings. Von dem anderen, womöglich viel entscheidenderen Kernthema soll hier später die Rede sein. In fünf Kapitel gliedert sich der Katalog und spannt den Bogen vom „Aufbruch im Kaiserreich“ und der „Revolution der Kunst“ über „Neues Bauen für die Republik“ bis hin zur Frage nach „Wiederaufbau oder Neubeginn“ und den „Perspektiven einer neuen Baukultur“. Das ist alles in allem spannend zu lesen. Vor allem, weil dem Katalog gelingt, was in der Ausstellung angedeutet wird: er legt das weitere Kernthema ganz wunderbar dar. Es ist schlicht beeindruckend, mit welch weitem Horizont der Architekt, Hochschullehrer und spätere Architekturlobbyist Otto Bartning über die Jahre hinweg agiert.

Erste Villen, die deutlich vom englischen Landhausstil und Hermann Muthesius inspiriert sind und nachgerade revolutionäre Kirchenbauten finden sich in den 1910er Jahren, die nach dem Ersten Weltkrieg zu expressionistischen Entwürfen erster Güte führen. Die nicht ausgeführte Sternenkirche und das Wohnhaus Schuster am Wylerberg bei Klewe sind bis heute herausragende Zeugen einer formalen wie inhaltlichen Neubestimmung nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs.

In die Zeit der Weimarer Republik schließlich fallen wohl die drei bekanntesten ausgeführten Bauten aus der Feder Otto Bartnings: die Stahlkirche auf der Messe „Pressa“ in Köln (1928), die Erlöserkirche in Essen (1930) und die Gustav-Adolf-Kirche in Berlin (1934). Sie alle sprechen nicht nur die rationale Formensprache des Neuen Bauens, sondern sind in ihrer inhaltlichen Ausrichtung und der Grundrisskonfiguration unmittelbar aus den Ideen entwickelt, die Bartning mit der Sternenkirche erstmals formuliert.

Es folgt die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der der Architekt und seine Familie in Deutschland bleiben, Bartning aber vor allem für Kirchengemeinden im europäischen Ausland baut. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgen mit dem Programm der Notkirchen und der Wandlung vom Baumeister zum Macher im Hintergrund die abschließenden elementaren Schritte im Werk des 1883 in Karlsruhe geborenen Bartnings.

Eindrücklich zeigt diese Publikation nun erstmals in dieser Fülle auf, wie weitgefächert das Werk des Architekten tatsächlich ist: Villen, Mehrfamilienhäuser und ganze Siedlungen, Musikheime, Krankenhäuser und Brunnen und eine Vielzahl von Kirchen. Dazu die Tätigkeit als Hochschullehrer und Taktgeber des architektonischen Diskurses – etwa als Initiator und Moderator der Darmstädter Gespräche der 1950er Jahre. Bei all dem, das machen Wagner-Conzelmann, Durth und Pehnt mit „Otto Bartning. Architekt einer sozialen Moderne“ deutlich, ist Bartning stets am Puls der Zeit, seine Bauten und Schriften dabei aber nie modisch oder gar beliebig.

Welche Wichtigkeit er für den Wiederaufbau der jungen Bundesrepublik tatsächlich hatte, wird schließlich im letzten Kapitel deutlich. Eindrücklich ist geschildert, wie der Architekt zum Strategen, Juror und Netzwerker wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bartning Präsident des Bundes Deutscher Architekten, Zweiter Vorsitzender des Werkbundes und Sprecher der deutschen Fraktion in der Union Internationale des Architectes. Dazu kommt eine Beteiligung an Preisgerichten für über sechzig Architekturwettbewerbe. So war er zum Beispiel ab 1951 zunächst als Preisrichter im Wettbewerbsverfahren zum Wiederaufbau Helgolandsund  beteiligt und in Folge als Vorsitzender der sogenannten „Technischen Kommission“, die als Bauherr alle relevante Entschlüsse auf der Nordseeinsel fällte.

Als „Städtebaulicher Berater“ des damaligen Berliner Bausenators Rolf Schwedler beeinflusste er, der kurz vorher bereits die Moderation und schließlich die Leitung der Planungen zur Interbau 1957 übernommen hatte, maßgeblich das Bild der ehemaligen Reichshauptstadt. So war Bartning Mitglied des Preisgerichts für die Wettbewerbe zum Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtsniskirche (1956) und der Philharmonie (1957), begleitete die Planungen für den Ernst-Reuter-Platz (1956) und als der große Le Corbusier schäumte, er wolle ob der Veränderungen an seinem Beitrag zur Interbau die Wanderausstellung zu seinem Werk nicht in Berlin gezeigt wissen, war es wiederum Bartning, der den launischen Franko-Schweizer besänftigte und gemeinsam mit Hans Scharoun dafür sorgte, dass die Schau 1957 schließlich doch im Beisein des Architekten der Unité d´Habitation Type Berlin eröffnet werden konnte.

Die Publikation macht besonders in diesem letzten Kapitel deutlich, wie inhaltsstark und wirkmächtig der Architekt Otto Bartning in dieser letzten Schaffensperiode wird, da er nicht mehr in der ersten Linie der Bauenden steht, sondern ins zweite Glied der Macher und Entscheider im Hintergrund tritt. Und auch hier beeindruckt die Haltung des Menschen Bartnings. Als Leiter der Interbau verzichtet er auf ein eigenes großes Projekt, obschon er – analog zu den Meisterbauten in Darmstadt – erneut für einen Krankenhausbau vorgesehen war. Für die Planungen des deutschen Beitrags zur EXPO 1958 in Brüssel initiierte er bereits 1956 eine „Inhaltskommission“, der neben Bartning auch Hans Schwippert und die späteren Architekten des Pavillons Egon Eiermann und Sep Ruf angehörten. Beim endgültigen Projekt aber begnügte sich Otto Bartning gemeinsam mit Karl Hartung mit dem Entwurf des Quellenraums, der heute als Brunnen in bemitleidenswertem Zustand sein Dasein auf der Darmstädter Mathildenhöhe fristet. Dem Ausstellungskatalog jedenfalls gelingt – mehr noch als der Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste – die Erzählung einer konsistenten Geschichte.

David Kasparek

Sandra Wagner-Conzelmann, Werner Durth, Wolfgang Pehnt: Otto Bartning. Architekt einer sozialen Moderne, hrsgg. von der Akademie der Künste und der Wüstenrot Stiftung, 128 S., zahlr. Abb., 19,90 Euro Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 2017

Unter den Einsendern der richtigen Lösung unseres Architekturrätsels „tatort“ verlosen wir fünf mal zwei Freitickets für die Ausstellung „Otto Bartning (1883 – 1959). Architekt einer sozialen Moderne“ und ein Exemplar des Katalogs zur Ausstellung. Einsendeschluss ist der 15. Mai 2017.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert