Buch der Woche: Architektur auf gemeinsamem Boden

Modelle, Positionen, Diskussionen

Florian Hertweck (Hrsg.): Architektur auf gemeinsamem Boden, Cover

Florian Hertweck (Hrsg.): Architektur auf gemeinsamem Boden, Cover

Der Mietmarkt in den deutschen Städten explodiert, aber „schlimmer geht immer“: In Luxemburg verfügt die öffentliche Hand nurmehr über zehn Prozent des baufähigen Bodens, ein Prozent der Bevölkerung besitzt dagegen ein Viertel des gesamten Landes. Noch drastischer lesen sich die Zahlen aus Großbritannien, wo rund 25.000 (sehr wohlhabende) Menschen die Hälfte des Landes besitzen, die öffentliche Hand über acht Prozent und alle Hausbesitzer zusammen über fünf Prozent des gesamten Grund und Bodens verfügen. Hierzulande sind uns vergleichbare Entwicklungen durchaus bewusst, wenngleich sie noch nicht derart drastisch zu Tage treten. Die Folgen solcher Akkumulationsprozesse aber beobachten auch wir hier: Gentrifizierung, Verdrängungsprozesse bis in die gehobene Mittelschicht, mehr schlecht als recht kontrolliertes Wachstum der boomenden Regionen an ihren Rändern, wachsende Pendlerströme, steigende CO2-Emissionen. All das wiederum provoziert Ungerechtigkeiten an verschiedenen Stellen.

ARC Studio Architecture + Urbanism, Pinnacle @ Duxton, Singapur 2005–2009, Foto: Stefan Rettich

ARC Studio Architecture + Urbanism, Pinnacle @ Duxton, Singapur 2005–2009, Foto: Stefan Rettich

Florian Hertweck, Architekt und Professor an der Universität Luxemburg, beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der „Bodenfrage“. Sein intelligenter Beitrag für Luxemburg zur Architekturbiennale 2018 und die damit einhergehende Ausgabe der Zeitschrift Arch+ zeugen davon. Nun hat Hertweck mit „Architektur auf gemeinsamem Boden“ auf 400 Seiten verschiedene Positionen und Modelle zur Bodenfrage zusammengetragen. Die Positionen überwiegen dabei, die Modelle lassen wirklichen Realitätstest ein wenig vermissen. Aber wen will das wundern, regieren doch die Gesetze des Marktes und der Freiraum für Modelle wurde von den wenigen Protagonisten hart erkämpft. So erstaunt auch die gewisse Skepsis gegenüber dem System der freien und sich vermeintlich selbst regulierenden merkantilen Kräfte nicht, die das Buch durchweht.

Florian Hertweck (Hrsg.): Architektur auf gemeinsamem Boden, Lars Müller Publishers, Auszug

Florian Hertweck (Hrsg.): Architektur auf gemeinsamem Boden, Lars Müller Publishers, Auszug

Hertwecks Sammlung von Texten, Gesprächen, Stadt- und Architekturmodellen ist insofern interessant, als sie den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus weitet, nach Basel, Amsterdam, Liverpool und Singapur bis nach China. Dazu kommen verschiedene Stadtutopien, die den Bogen von Ildefons Cerdàs Planung L’Eixample für Barcelona 1860 über Ebenezer Howards Garden City von 1902 und Frank Lloyd Wrights Broadacre City (1932–1958) bis zu einem Beitrag Hertwecks selbst aus dem Jahr 2019 spannen, sowie in ähnlicher Manier unterschiedliche Architekturmodelle.

Blick in die Freilandstadt, 2019, Illustration: Florian Hertweck / Dragos Ghioca

Blick in die Freilandstadt, 2019, Illustration: Florian Hertweck / Dragos Ghioca

Vieles davon ist an anderer Stelle schon einmal publiziert, manche Auslassung erscheint wenig überraschend, wenn man die Protagonisten kennt. Folgerichtig will der Herausgeber die Publikation auch weniger als Manual zur Lösung aller Probleme, denn vielmehr als Debattenbeitrag verstanden wissen. Wenn etwa der Umgang mit Land in China thematisiert wird, ist das kein Hinweis darauf, dass diese Praxis hierzulande zu übernehmen sei, sondern schlicht darauf, dass anderswo mit divergierenden Mitteln agiert wird.

Assemble, Gemeinschaftsprojekt „Granby Four Streets“, Liverpool, seit 2013, Foto: Assemble, London

Assemble, Gemeinschaftsprojekt „Granby Four Streets“, Liverpool, seit 2013, Foto: Assemble, London

In der Zusammenschau ist Florian Hertweck und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern genau damit aber ein ebenso informatives wie wichtiges Buch gelungen, dem Architektinnen und Architekten, die an der Zukunftsfähigkeit und Zugänglichkeit von Stadt mitwirken wollen, unbedingt Aufmerksamkeit schenken sollten. Wenn schon kein Ende der aktuellen Pandemie abzusehen scheint, so ist doch für einen Zeitpunkt, ab dem wir uns auf einen lebenswerten Umgang mit all ihren Phänomenen geeinigt haben, eine Diskussion darüber unbedingt vonnöten, wie wir soziale Ungerechtigkeit in unseren Städten abbauen. Wenn wir auf unserer aktuellen Fahrt in ein ungewisses Morgen beim Blick nach vorne schon nicht genau wissen, wo wir hinsteuern, wahrscheinlich sogar den ein oder anderen Umweg einplanen müssen, so scheint beim Blick in den Rückspiegel doch die These, dass es auch in Zukunft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Menschen in die Städte ziehen wird, nicht allzu gewagt.
David Kasparek

Florian Hertweck (Hrsg.): Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage, mit Beiträgen von Dirk Löhr, Bart Lootsma, Sylvia Claus, Giovanni la Varra, Franziska Eichstädt-Bohlig, Tanja Herdt, Laura Weißmüller u.a., 400 S., 65 Abb., 25,– Euro, Lars Müller Publishers, Zürich 2020, ISBN 978-3-03778-602-4

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