Buch der Woche: Einfamilienhäuser in Deutschland

Little Boxes

Das Einfamilienhaus polarisiert: Für die einen ist es Lebenstraum, für andere Inbegriff von Spießigkeit. Hinzu kommt in den letzten Jahren immer vehementere ökologische Kritik an dieser Wohnform, die Flächen versiegelt und kostspielige Infrastruktur sowie Pendelverkehr mit sich bringt. Dennoch steigt die Anzahl der Neubauten jährlich. Und das, obwohl vielerorts Einfamilienhäuser aus den 1950er bis 1980er Jahren leer stehen. Die Publikation „Housing the Family. Locating the single-family home in Germany“ untersucht das Phänomen, das gerade im Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte eine bedeutende Rolle erlangte und noch bis heute politisch gefördert wird. Wie in der Einführung betont wird, soll damit keine Entwertung dieser Lebensform vorgenommen, sondern eher an der Selbstverständlichkeit gerüttelt werden, mit der diese betrieben wird. In verschiedenen Untersuchungen der Soziologie bis Kunstgeschichte werden zahlreiche Fragen rund um die Thematik betrachtet.

Einfamilienhaus in Baden-Württemberg, Foto: Archiv

Im ersten Teil geht es insbesondere um die Perspektive der Bewohner: Warum ist das Eigenheim außerhalb der Stadt noch immer so beliebt? Was bewegt Menschen und insbesondere Familien dazu, diese Wohnform anzustreben und wie leben sie darin? Katherin Wagenknecht, die sich mit Ausprägungen der westdeutschen Einfamilienhaussiedlung beschäftigt, kommt zum Ergebnis, dass die Lebensweisen stark von der Art der Siedlung abhängig sind, in der das Haus gelegen ist. Während in kleinen und größeren Städten oftmals die finanzielle Investition im Vordergrund steht, wird das Haus in ländlichen Gegenden deutlicher als Gemeinschaftsprojekt, als Produkt einer Kooperation von Familie, Freunden und Dorfgemeinschaft erlebt. Die Kernfamilie ist jedoch unabhängig von der Siedlungsform zumeist die Einheit, in der das alltägliche Leben organisiert wird, oft mit der Frau als Zuständige für Haushalt und Kinder.

Entscheidende Frage ist hierbei auch: Warum wird immer weiter gebaut, obwohl es zahlreiche leerstehende Häuser gibt, die reaktiviert werden könnten? Hierbei spielt den Befragungen zufolge, die Anne Caplan und Katherin Wagenknecht in Dörfern, Kleinstädten und suburbanen Gebieten durchführten, bei vielen Bewohnern der Aspekt der Selbstverwirklichung eine Rolle – ein Haus selbst zu bauen wird als Lifestyle, als Manifestation der persönlichen und familiären Lebensleistung betrachtet. Oftmals werden extreme körperliche und finanzielle Aufwendungen in Kauf genommen, um das Eigenheim zu verwirklichen. Ein gekauftes, älteres Haus wird dagegen häufig eher als Kompromiss wahrgenommen, der sich vor allem finanziell auszahlen soll. Die eigene Arbeit, die investiert wird, dient weniger der Verwirklichung, sondern wird eher als notwendige Maßnahme erlebt, um das Haus an gewünschte Bedürfnisse anzupassen.

Einfamilienhaus in Baden-Württemberg, Foto: Archiv

Im zweiten Teil des Buches steht die Materialität sowie ökonomische und symbolische Werte des Einfamilienhauses im Vordergrund. Johannes Warda zeigt, wie ausgerechnet die Bausparkasse Schwäbisch Hall in ihren Werbemagazinen der 1970er bis -90er Jahre das Ideal des individualistischen Altbau-Umbaus propagierte. Geschuldet war dies dem Autor zufolge der kritischen Rezeption der nachkriegsmodernen Wohnbaupolitik, wobei der bauliche Bestand nicht nur als Kulturgut erhaltenswert galt, sondern auch als Teil einer Wiederverwertungslogik betrachtet wurde. Jakob Smigla-Zywocki weist in seinem Text zudem die in Deutschland tief vehaftete Vorstellung nach, dass Miete-Zahlen Geldverschwendung, der Ankauf einer Immobilie dagegen eine lohnende Investition ist. Die Verschuldung wird weniger als Last, sondern als Perspektive auf Freiheit und Wohlstand wahrgenommen, das Zahlen von Miete betrachten viele als Einschränkung und Abhängigkeit.

Der dritte Teil beleuchtet die bildwissenschaftlichen Aspekte, die mit dem Einfamilienhaus verbunden sind. In Johanna Hartmanns Untersuchung zeigt sich beispielsweise, wie sich in der frühen Nachkriegszeit bestimmte bildliche Visionen des Wohnraums verbreiteten, unter anderem verbunden mit Wohn-Ausstellungen. Hartmann zufolge bildet sich im Einfamilienhaus der späten 1940er und -50er das gesellschaftliche Streben nach Bodenständigkeit, Tradition und konservativen familiären Werten ab, dem in Wohn-Ausstellungen die urbane Wohnung als moderneres Pendant entgegengestellt wurde – gerade in dieser Kombination sei das Nachkriegs-Wohnideal zwischen Progressivität und Konservatismus zu sehen. Interessant auch der Einblick von Anne Caplan in die Bildsprache von aktuellen Fertighaus-Produzenten ebenso wie die Untersuchung zur westdeutschen Bungalow-Architektur der 1960er und -70er in Anlehnung an Vorstellungen kalifornischen Luxus’. Insgesamt wird in dem Band eine spannende, facettenreiche Analyse dieses so prägenden kulturellen Phänomens geboten, das uns hinsichtlich des Klimawandels, Ressourceneinsparung und Mobilität noch weiter beschäftigen wird. Zu hoffen ist, dass der Titel bald auch in deutscher Sprache erhältlich ist.

Elina Potratz

Christiane Cantauw / Anne Caplan / Elisabeth Timm (Hg.): Housing the Family. Locating the Single-Family Home in Germany, 328 S., 75 Abb., 32,– Euro, Jovis Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-86859-543-7

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