neu im club

Den Geist der Gebäude erhalten

Inga Soll und Heiko Sasse, soll sasse architekten BDA, Dortmund

soll sasse architekten BDA, Temporäre Installationen auf dem Robert-Koch-Platz, Dortmund: Stadthäuser, 2016, Foto: Claudia Dreyße

soll sasse architekten BDA, Temporäre Installationen auf dem Robert-Koch-Platz, Dortmund: Stadthäuser, 2016, Foto: Claudia Dreyße

In einer ehemaligen Bäckerei im Dortmunder Kaiserviertel, die sie zu ihrem Büro umgebaut haben, sitzen Inga Soll und Heiko Sasse. Von zwei Seiten schauen interessierte Blicke in das Ladenlokal: durch das Schaufenster die Passantinnen und Passanten – durch ein virtuelles Fenster der Interviewer. Der Robert-Koch-Platz vor der Tür, mehr Parkplatz als öffentlicher Ort, inspiriert die beiden Büropartner zu Interventionen im Stadtraum. Heiko Sasse erklärt: „Es gilt bei uns das ungeschriebene Gesetz, einmal im Jahr etwas komplett Freies zu machen, wenn es die Zeit zulässt.“ So haben soll sasse architekten für den autofreien Parking Day ein Objekt aus Getränkekästen gebaut, um zu zeigen, dass dem Platz eine Mitte wie etwa eine Skulptur fehlt. Der bestehende Treffpunkt, ein Sitzrondell, war Gegenstand ihrer jüngsten Intervention Mitte März 2020, als es auch nach Beginn der Kontaktbeschränkungen noch hoch frequentiert war. In einer Guerilla-Aktion sperrten die beiden es nach Anbruch der Dunkelheit mit Flatterband ab, das noch vom Parking Day übrig war. Weil sie ganze 500 Meter Band zur Verfügung hatten, spannten sie eine netzartige Struktur, die neben Zivilcourage auch Gestaltungswillen zeigte. Eine weniger klare Botschaft, eher eine Verrätselung, ging von den hölzernen „Stadthäusern“ aus, mit denen sie vor wenigen Jahren die Telefonsäule und einen Abfalleimer auf dem Platz einhausten.

soll sasse architekten BDA, Temporäre Installationen auf dem Robert-Koch-Platz, Dortmund: Fünfhundert Meter, März 2020, Foto: Claudia Dreyße

soll sasse architekten BDA, Temporäre Installationen auf dem Robert-Koch-Platz, Dortmund: Fünfhundert Meter, März 2020, Foto: Claudia Dreyße

Inga Soll und Heiko Sasse sind beide im Ruhrgebiet aufgewachsen und haben dort eine handwerkliche Ausbildung absolviert: sie zur Tischlerin, er zum Metallbaumeister. Diese Grundlage möchte Inga Soll nicht missen: „Ich kann nur empfehlen, nicht direkt aus der Schule ins Studium zu starten, sondern vorher ein Gespür für das Handwerkliche zu bekommen.“ Heiko Sasse nickt: „Man muss manche Materialien in der Hand gehabt haben, um Fügungen, Haptik und Texturen zu verstehen.“

soll sasse architekten BDA, Umbau eines Hauses aus den 1950er Jahren, Köln 2014 – 2016, Foto: Claudia Dreyße

soll sasse architekten BDA, Umbau eines Hauses aus den 1950er Jahren, Köln 2014 – 2016, Foto: Claudia Dreyße

Nachdem sich die beiden im Studium an der Fachhochschule Dortmund kennengelernt hatten, gingen sie erst einmal wieder ihrer Wege. Inga Soll arbeitete zwei Jahre lang bei Kleihues + Kleihues und sattelte anschließend ein Studium der Baukunst an der Kunstakademie Düsseldorf auf. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Augenzwinkern erinnert sie sich: „Ich hatte das Glück, dort auf die ‚alten Herren‘ zu treffen: Max Dudler, Axel Schultes und Laurids Ortner.“ Währenddessen arbeitete Heiko Sasse als Projektleiter bei LHVH Architekten BDA in Köln und Gerber Architekten in Dortmund. Durch diese unterschiedlichen Schwerpunkte hat sich nach der gemeinsamen Bürogründung eine Arbeitsteilung herausgebildet, die in dem jungen Büro aber natürlich sehr durchlässig ist. Während Inga Soll überwiegend die Wettbewerbs­entwürfe konzipiert, konzentriert sich Heiko Sasse eher auf die Ausführungsplanung.

soll sasse architekten BDA, Haus am Hang, Iserlohn 2014 – 2016, Foto: Claudia Dreyße

soll sasse architekten BDA, Haus am Hang, Iserlohn 2014 – 2016, Foto: Claudia Dreyße

Trotz ihrer regionalen Verwurzelung haben soll sasse architekten bislang, abgesehen vom eigenen Büro und den Interventionen vor dessen Tür, noch nichts in Dortmund gebaut. Sie möchten sich nicht regional einschränken, erläutert Heiko Sasse: „Unsere Leidenschaft sind die Wettbewerbe. Wir bewerben uns bundesweit bei allen Wettbewerben, die uns interessieren, und kommen so pro Jahr auf ungefähr zehn, was zu zweit schon ganz ordentlich ist.“ Während beide auch Entwerfen lehren – Inga Soll an der Fachhochschule Dortmund und Heiko Sasse an der Hochschule Bochum –, begreifen sie die Arbeit an Wettbewerben als stetigen Lernprozess für sich selbst: „Wir finden es spannend, uns immer wieder mit neuen Aufgaben auseinanderzusetzen: Kiosk, Kita, Schule, Uni-Campus, Museum, Fußballstadion – und wann befasst man sich sonst schon mit dem Bautyp Gefängnis?“

Über einen großen Wettbewerb für das Wohnen am Dortmunder Phoenix-See waren ihre ersten Bauherren auf soll sasse architekten aufmerksam geworden. Ein Grundstück am Waldrand in Iserlohn sollte mit einem Neubau zur Zusammenführung der verstreut lebenden Familie nachverdichtet werden. Mit ihrem Entwurf reagierten die Architekten auf die Erfordernisse der Hanglage sowie der Barrierefreiheit und inszenierten zudem spektakuläre Ausblicke ins Grüne durch offene Räume und unverstellte Wände.

soll sasse architekten BDA, Umbau einer Remise, Saarburg bei Trier, seit 2018, Foto: soll sasse

soll sasse architekten BDA, Umbau einer Remise, Saarburg bei Trier, seit 2018, Foto: soll sasse

Das Gegenteil eines solchen Raumeindrucks fanden soll sasse architekten in einer Kölner Doppelhaushälfte aus den 1950er Jahren vor, mit deren Umbau sie betraut wurden. „Das Haus war total verbaut. Sieben Räume gab es allein im Erdgeschoss, dazu die niedrigen Decken von gerade einmal 2,45 Meter“, erinnert sich Heiko Sasse. „Wir haben es befreit.“ So ist zum Beispiel ein Durchschuss von der Straße zum Garten entstanden und die Trennung zwischen Schlafzimmer und Bad aufgehoben.

Inga Soll resümiert: „Für den Start waren diese kleineren Projekte gut, weil wir alleinverantwortlich das Rundum-Paket, alle Leistungsphasen übernommen haben.“ Heiko Sasse führt den Gedanken fort: „Es ist aber auch relativ müßig, emotional wie finanziell. Wir sperren uns nicht dagegen, wir machen das auch gerne – zum Beispiel momentan bei der Umnutzung einer denkmalgeschützten Remise zu Wohnraum, aber unser Fokus liegt inzwischen doch woanders.“

soll sasse architekten BDA, Neugestaltung der Fassade der Stadthalle Göttingen, seit 2018: Entwurf, Abb.: soll sasse

soll sasse architekten BDA, Neugestaltung der Fassade der Stadthalle Göttingen, seit 2018: Entwurf, Abb.: soll sasse

Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit hat sich in Umbau und Sanierung von Architektur der Nachkriegsmoderne herausgebildet. Zum einen liegt dies an der Nachfrage, da landauf landab die Substanz dieser Gebäude in die Jahre gekommen ist. Zum anderen haben soll sasse architekten einen bewussten Umgang mit dem Bestand gefunden, der von Respekt getragen wird: „Wir stellen immer die Frage: ‚Was ist daran gut?´ Wir müssen dem Ganzen kein neues Gesicht geben oder eine neue Hülle überstülpen, damit es hinterher ‚unseres‘ ist“, findet Inga Soll. „Unser Weg ist, die Potenziale zu erkennen und weiter zu interpretieren, um den Charakter, den Geist des Gebäudes zu erhalten.“ Diese zeitgemäße Haltung schlägt sich auch in ihren Wettbewerbserfolgen nieder.

Jüngst konnten sie mit ihrem Entwurf zur Fassaden-Neugestaltung der Stadthalle Göttingen überzeugen: einer behutsamen Sanierung der charakteristischen Kachelfassade. Im Wettbewerb waren sie das einzige Büro, das vorschlug, diese auch nach einem temporären Rückbau im Zuge der Kernsanierung (Generalplaner SSP AG) zu erhalten. Die ursprüngliche Gestaltung des Architekten Rainer Schell (1962 – 1964), die auf verschiedenen Farben von Rot über Blau bis Schwarz sowie den ausgesparten Relief-Formen Dreieck und Kreis basiert, interpretieren sie als Fingerzeig auf das Zusammenleben in einer Stadt: „Wenn man die Stadthalle von weitem sieht, vermischen sich in der Wahrnehmung alle Kacheln zu einem gemeinsamen Lila-Ton“, beobachtet Heiko Sasse. „Je näher man kommt, desto heterogener wird das Bild. Die einzelnen Farben lösen sich heraus und die unterschiedlichen Relief-Geometrien zeigen sich.“

soll sasse architekten BDA, Neugestaltung der Fassade der Stadthalle Göttingen, seit 2018: Mockup (Farbfindung neue Kacheln, Zwischenstand), Foto: 9 Eberhard Sasse

soll sasse architekten BDA, Neugestaltung der Fassade der Stadthalle Göttingen, seit 2018: Mockup (Farbfindung neue Kacheln, Zwischenstand), Foto: Eberhard Sasse

Diese Metapher greifen soll sasse architekten auf und stärken sie, indem sie die weißen Kachelbänder an der Ober- und Unterkante aufgeben und so die Farbfläche bis zu den Rändern ausdehnen. Während die weißen Kacheln zur Verkleidung neuer Anbauten genutzt werden, wird die Hauptfassade um neue Kacheltypen ergänzt, die sich in Farbe (Flieder und Rosa) sowie Geometrie des Reliefs (Quadrat) in den vorhandenen Kanon eingliedern. Gefertigt werden die Unikate in der Kachelmanufaktur, die auch das Kirchenzentrum Seliger Pater Rupert Mayer in Poing (meck architekten, 2018) ausgestattet hat. Inga Soll war begeistert: „Wir hätten am liebsten direkt ein Praktikum gemacht, weil dort alles noch von Hand gefertigt wird.“

soll sasse architekten BDA (freie Arbeit für SSP AG), Fassadensanierung des Märkischen Gymnasiums Hamm, Wettbewerbsbeitrag same same but different, 1.Preis, 2015: Farbfindung, Abb.: soll sasse

soll sasse architekten BDA (freie Arbeit für SSP AG), Fassadensanierung des Märkischen Gymnasiums Hamm, Wettbewerbsbeitrag same same but different, 1.Preis, 2015: Farbfindung, Abb.: soll sasse

So sind soll sasse architekten dem Handwerk also wieder ganz nah – wie auch bei einem ähnlichen Wettbewerb zur Fassadensanierung des Märkischen Gymnasiums in Hamm. Für ihren innovativen Vorschlag in freier Arbeit für die SSP AG erhielten sie den ersten Preis. In einem Prozess der Wiederverwertung wollten sie die bestehende Waschbetonverkleidung in ihre Bestandteile zerlegen und die Zuschlagstoffe nach Farben sortieren, um sie dann neu zusammenzusetzen. So würden nicht mehr alle Farben in allen Platten zusammenkommen, sondern eine Farbe könnte jeweils einen Baukörper farblich fassen. Inga Soll und Heiko Sasse geraten ins Schwärmen und sagen den denkwürdigen Satz, der Hoffnung gibt für den Erhalt selbst der ungeliebten Spuren der Nachkriegsmoderne: „Waschbeton ist eigentlich ein tolles Material.“
Maximilian Liesner

www.sollsasse.de

soll sasse architekten BDA (freie Arbeit für SSP AG), Fassadensanierung des Märkischen Gymnasiums Hamm, Wettbewerbsbeitrag same same but different, 1.Preis, 2015: Perspektivskizze, Abb.: soll sasse

soll sasse architekten BDA (freie Arbeit für SSP AG), Fassadensanierung des Märkischen Gymnasiums Hamm, Wettbewerbsbeitrag same same but different, 1.Preis, 2015: Perspektivskizze, Abb.: soll sasse

Dieser Text ist erschienen in der architekt 5/20 „das blaue wunder. vom wert und preis des wassers“.

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