Gespräche mit Susanne Wartzeck

im frankfurter hof

Architektonische Räume prägen den Fluss der Gedanken und den Ton der Rede. Susanne Wartzeck, Präsidentin des BDA, und Andreas Denk, Chefredakteur dieser Zeitschrift, treffen sich diesmal an einem besonderen Ort: Es ist der Court d’Honneur des Hotels „Frankfurter Hof“, das der Semper-Schüler Alfred Bluntschli und Karl Mylius 1873 / 74 entworfen haben. In diesem Haus, das damals für die Idee einer Reformarchitektur stehen konnte, haben mehrere Architekten 1903 den Bund Deutscher Architekten gegründet. Heute sprechen Wartzeck und Denk hier nicht nur über den BDA, sondern auch über eine Reform der Architektur und des Berufsbilds des Architekten.

Andreas Denk: Wir haben diesen Platz mit Bedacht ausgesucht, denn der BDA hat in den letzten Jahren Entwicklungen in Gang gesetzt, die seine Rolle in der Landschaft des Bauens markant verändert haben. Dabei hat sich seine Position so geschärft, wie man das vor hundert Jahren, aber auch vor zwanzig Jahren kaum erwartet hätte. Es sind ökologische Aspekte – die Frage der Klimaeffizienz des Bauens und einer klimagerechten Architektur –, deren Bedeutung der BDA frühzeitig erkannt und programmatisch umgesetzt hat. Der Bund hat das vor mehr als zehn Jahren im Klimamanifest „Vernunft für die Welt“ und jetzt im Papier „Das Haus der Erde“ sehr klar zum Ausdruck gebracht und mit politischen Forderungen verbunden. Inzwischen hat sich auch die politische Großwetterlage so geändert, dass der BDA mit seinen Forderungen nach einer reformierten Architekturauffassung Boden gewinnt. Was sind Ihre nächsten Ziele?

Susanne Wartzeck: Eine Reform der Architektur, aber auch eine Reform des Berufsbildes des Architekten stehen sicherlich auf unserer Agenda. Ob sich damit zwangsläufig auch eine Reform des BDA verbindet, ist zu diskutieren. Schließlich stehen wir ja immer schon in der Verantwortung für die Gesellschaft und die Umwelt. Deshalb geht es vor allem darum, unsere Anliegen insbesondere in Hinsicht auf Energie und Klima auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene sichtbarer zu machen und wirksamer werden zu lassen.

Andreas Denk: Tatsächlich müssen sich die politischen Rahmenbedingungen ändern, damit das Bauen klimaneutral und ökonomisch sinnvoll sein kann. Was ist der Schwerpunkt, den Sie in der Architekturpolitik des BDA setzen wollen?

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Susanne Wartzeck: Der zentrale Punkt ist die Bewertung des CO2-Ausstosses beim Bau. Materialien, deren Herstellung oder Verwendung mit einem hohen Kohlenstoffdioxid-Ausstoß oder einem hohen Energieaufwand verbunden sind, müssen teurer bezahlt werden als die, die mit weniger auskommen. Diesen Preis müssen wir jetzt bezahlen, und nicht erst spätere Generationen. Eine Preiserhöhung geht nur über eine Besteuerung, für die derzeit erste Weichen gestellt werden. Das müsste insbesondere im Bauwesen viel stärker greifen, damit man nicht mehr sagen kann, dass die ökologischeren Materialien immer die teureren sind.

Andreas Denk: Allein eine Besteuerung vereinfacht die Durchsetzung ökologischer Wertmaßstäbe in der Gesellschaft noch nicht…

Susanne Wartzeck: …aber wir müssen ein neues Narrativ entwickeln, eine neue sinngebende Geschichte erzählen, die das Ziel gesellschaftlichen Handelns anders definiert. Das darf nicht nur eine Geschichte des Vorwurfs oder des Verzichts sein. Es geht darum, neue Chancen auf eine bessere Zukunft erkennbar und erlebbar zu machen. Dass das auch mit Verzicht zu tun haben kann, erscheint dann nachvollziehbar, wenn man mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft verzichtet. Ein solches Narrativ kann die Vision einer besseren Stadt sein, mit besseren öffentlichen Räumen, einer intensiven Begrünung, einer besseren sozialen Verflechtung und einer gemeinsamen Verantwortung der Bürger für das große Ganze. An solchen Programmen müssen wir als erstes arbeiten, damit die Menschen Lust bekommen, daran mitzuarbeiten.

Andreas Denk: Offensichtlich müssen erst katastrophische Ereignisse einsetzen, damit die Menschheit zu radikalen Kurskorrekturen bereit ist. Im Falle des Klimawandels könnte das bereits zu spät sein. Wie kann man die Menschen stärker sensibilisieren?

Susanne Wartzeck: Wir müssen den Mut zum entschlossenen Handeln und die sozialen Verhaltensweisen, die wir während der Corona-Pandemie gelernt haben, verstetigen. Wir haben gemerkt, dass nichts unlösbar ist, wenn die Gesellschaft gemeinschaftlich und solidarisch handelt. Warum sollte uns das nicht auch beim Klimaschutz gelingen? Das in alle Lebensfelder durchgreifende, lösungsorientierte Handeln, das sich in vielen Teilen der Welt gezeigt hat, ist signifikant für unsere Möglichkeiten im Anthropozän, in dem der Mensch der vielleicht wichtigste Einflussfaktor bei vielen terrestrischen Prozessen geworden ist. Für den Einzelnen scheint die Aufgabe unlösbar, aber wenn man sich als Teil einer globalen Gemeinschaft begreift, wird jeder individuelle Beitrag bedeutsam. Wenn auch nicht alle großen Staaten der Welt derzeit am gleichen Strang ziehen, so scheinen mir zumindest in Europa die gerade aufgelegten Hilfsprogramme und Förderungsmaßnahmen in die richtige Richtung, nämlich in Richtung Nachhaltigkeit zu zielen. Das wird uns weiterhelfen.

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Das Papier des BDA zum „Haus der Erde“ mit Thesen und politischen Aufforderungen dazu sollte beim diesjährigen BDA-Tag diskutiert und verabschiedet werden. Nach der Absage des Jahrestags ist es mit Kommentaren versehen ein Teil dieser Ausgabe unserer Zeitschrift. Wie wird die Weitervermittlung der Thesen aussehen, wie kommt das Papier unter die Leute?

Susanne Wartzeck: Der BDA wird die Thesen auf allen Ebenen diskutieren. Es kann nicht sein, dass wir uns nur auf der Bundesvorstandssitzung oder auf der Ebene der Landesvorstände damit auseinandersetzen. Wir müssen unsere föderale Kraft nutzen und in den lokalen Gruppen darüber sprechen, welche Bedeutung die Thesen für jeden einzelnen haben. Wir brauchen das Feedback von unseren Mitgliedern. Wenn wir uns intern darüber klar geworden sind, dass wir das Papier so wollen, werden wir es politisch vermitteln. Ich werde mit Abgeordneten im Rahmen von parlamentarischen Frühstücken oder auch in anderen Zusammenhängen die Thesen erläutern und diskutieren. Das Gleiche müssen wir ebenso auf Landesebene schaffen, weil auch dort Befugnisse und Aufgabenfelder betroffen sind. Das ist vielleicht der schwierigere Sektor, weil sich viele Kommunen im Zuge der Pandemie verausgabt haben oder unter Steuerausfällen leiden. Wir werden auf eine Veränderung der Förderpolitik, auf mehr Mut zum Experimentieren, auf mehr Forschung bei innovativen Bauvorhaben drängen. Wir müssen erreichen, dass die gesamte Baubranche beginnt, in Materialkreisläufen zu denken.

Andreas Denk: Wir sprechen im Moment von größeren Mengen an Baustoffen, die wir nicht nur Gebäuden, sondern auch Städten zur Wiederverwertung entnehmen. Die gesetzliche Lage erschwert jedoch den Umgang mit Rückbau, Umbau, Wiederverwendung, Recycling und Upcycling. Für viele ressourcenschonende Verfahren gibt es schier unendliche Regelungs- und Anwendungsvorschriften, die sie schließlich unrentabel machen. Haben Sie eine Idee, wie man Abhilfe schaffen kann?

Susanne Wartzeck: Dafür ist ein politischer Rahmen notwendig, der es ermöglicht, „Tatbestände“ zu schaffen. Bei einfachen, gewachsenen Baustoffen wie Holz oder Naturstein ist das in der Regel kein Problem. Auch dafür gibt es Prüfverfahren. Aber die Verwendbarkeit wird nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen. Bei der Wiederverwendung von Bauteilen – einem Fenster beispielsweise – sieht das derzeit anders aus. Bei einer Prüfung im Einzelfall wird die Wiederverwendung eines alten Teils dreimal so teuer wie ein neues. Da muss es andere Möglichkeiten geben, um die statische Tauglichkeit oder Sicherheit nachzuweisen. Beim Umbau von Bestandsgebäuden registrieren wir erste Öffnungen der Verwaltung, die Prüfberichte von Statikern, also Annahmen der Sicherheit, akzeptieren. In diese Richtung muss es weitergehen.

Andreas Denk: Wir brauchen also eine Deregulierung von Gesetzen, Vorschriften und Normen, die der Wiederverwendung entgegenstehen. Und ohne eine aufgeschlossene Bauverwaltung wird es auch nicht gehen.

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Frankfurter Hof, Foto: Andreas Denk

Susanne Wartzeck: Das ist richtig. Die Verwaltung braucht Anreize in Form von Baukostenverringerungen, damit sie sich intensiver mit Wiederverwendung und Upcycling auseinandersetzt. Dies müsste in Form von direkten Zuschüssen geschehen, wenn solche Verfahren bei der Sanierung öffentlicher Gebäude Anwendung finden sollen.

Andreas Denk: Das erste Klimamanifest haben wir damals als Selbstverpflichtung der Architektenschaft verstanden. Dieser Impuls ist politischen Aufforderungen gewichen. Wäre es nicht ein weitreichendes Alleinstellungsmerkmal, wenn „Das Haus der Erde“ nicht nur Appell-, sondern auch Bekenntnischarakter hätte? Müssen wir nicht einfordern, dass sich unsere Mitglieder an diesen Kodex halten?

Susanne Wartzeck: Bestimmt gibt es eine größere Gruppe innerhalb des BDA oder der Architektenschaft allgemein, die sich zu diesen Forderungen bekennt. Deren Zustimmung ließe sich auch für ein Branding verwenden, das ein positives Image von Architekten in der Öffentlichkeit und bei Auftraggebern stärkt. Die Kenntnis der Grundregeln des nachhaltigen Bauens ließen sich sogar als grundsätzliches Kriterium in VgV-Verfahren einführen. So eine Außenwirkung wäre sehr wünschenswert und ein gutes Argument für unser Papier, für den BDA und für unsere Architekten und Architektinnen. Unter diesem Aspekt können wir dann sogar von einer Reform des BDA sprechen…

Dieser Text ist erschienen in der architekt 4/20 „material der stadt. material gewordenes zeichen – zeichen gewordenes material“.

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